Hamburg. Digitaldienstleister hat inzwischen weltweit 1200 Mitarbeiter. Firmenchef Christian Tiedemann arbeitet im Coworking-Büro.
Der Arbeitsplatz von Christian Tiedemann misst elf Quadratmeter. Gerade Platz genug für Schreibtisch, Regal, Pflanze und sein Fahrrad. Es gibt keinen Bildschirm für Präsentationen, keine Besuchersessel, kein Vorzimmer. Genau genommen ist der kleine Raum im Erdgeschoss der ehemaligen Oberpostdirektion am Gorch-Fock-Wall nicht mal sein Büro. Der Chef des Hamburger Digitaldienstleisters PIA Group hat sich mit seinem engsten Team in einem Coworking-Space eingemietet, teilt sich mit Start-up-Gründern die Arbeitsflächen.
Ziemlich ungewöhnlich für jemanden, der ein Unternehmen mit 1200 Mitarbeitern führt. „Mich stört das nicht“, sagt Tiedemann. Er ist viel unterwegs – zur Gruppe gehören inzwischen elf Gesellschaften mit Standorten in der ganzen Welt.
Massiver Wachstumskurs
PIA ist massiv auf Wachstumskurs. Anfang des Jahres vermeldeten die Hamburger die Übernahme der UDG United Digital Group mit 400 Mitarbeitern und katapultierten sich damit in die Topliga der Internetagenturen. Mit einem Honorarumsatz von zusammen 116 Millionen Euro steht die Gruppe jetzt rechnerisch auf Platz 1 der Bestenliste des Bundesverbands Digitale Wirtschaft. „Wir melden unseren Anspruch auf die führende Position als größter digitaler Dienstleister Deutschlands an“, hatte Christian Tiedemann nach der Genehmigung durch die Kartellbehörden im März gesagt.
Der 53-Jährige, der fast zwei Jahrzehnte zunächst bei der Werbeagentur Scholz & Friends und nach dem Verkauf beim britischen Kommunikationskonzern WPP unter Vertrag stand, hatte den Deal eingefädelt. Wenn man ihn danach fragt, lächelt er fein. Angaben zur Höhe der Investition will der studierte Betriebswirt, der sich als hanseatischer Kaufmann versteht, nicht machen.
Auftraggeber verlangen Komplettpakete
Für das Gespräch hat er in einen der Konferenzräume direkt unter dem Dach der modernisierten Postdirektion gebeten. In dem Gebäude sitzen außer der Muttergesellschaft PIA vier Tochterunternehmen, darunter Performance Media mit 250 Mitarbeitern. Die digitale Media-Agentur ist eins der sechs Gründungsmitglieder der Gruppe.
PIA steht für Performance Interactive Alliance. In der Branche geht inzwischen gar nichts mehr ohne englische Vokabeln und Abkürzungen. Wenn man Tiedemann fragt, was PIA macht, muss er einen Moment nachdenken, bevor er eine Erklärung ohne Fachbegriffe parat hat: „Unsere Agenturgruppe berät und begleitet Kunden bei der digitalen Transformation ihrer Geschäftsaktivitäten“, sagt Tiedemann, der vor zwei Jahren den Chefposten bei PIA übernommen hatte. Zum Leistungsspektrum gehören Services wie die Optimierung von E-Commerce-Shops, Platzierung von Online-Werbung, Datensammlung für die Analyse des Verhaltens von potenziellen Kunden oder auch die Bespielung von Social-Media-Kanälen.
Der Zusammenschluss mehrerer Firmen zu PIA war 2014 unter Beteiligung des Finanzinvestors Equistone Partners Europe mit dem Ziel erfolgt, gemeinsam neue Geschäftsfelder zu erschließen und größere Kunden zu gewinnen. Außer Performance Media hatten unter anderem die Social-Media-Spezialisten Delasocial und der SEO-Optimierer Blue Summit ihre Unternehmen mit einem Managementbeteiligungsmodell an die neue Dachmarke verkauft. In den vergangenen Jahren sind fünf weitere Firmen dazugekommen, darunter zwei eigene Gründungen zur Abrundung des Portfolios. „Marketing und Vertrieb verändern sich rasant“, sagt Tiedemann. Die Auftraggeber wünschten sich Partner, die Komplettpakete für die Lösung ihrer Probleme anbieten könnten.
Miele, Media-Markt, Tchibo, Otto, VW
Dabei liest sich die PIA-Kundenliste wie das Who is Who deutscher Konzerne. Miele, Media-Markt, Tchibo, Otto oder Volkswagen sind darunter. Insgesamt betreut die Gruppe 350 Firmen. Größter Kunde ist der Autohersteller Porsche, der vom Neuzugang UDG kommt und für dessen Internetseiten die Hamburger zuständig sind: von den Informationen über einzelne Modelle bis zum Konfigurator für den Autokauf. 80 bis 100 Mitarbeiter sind nur mit diesem Kunden beschäftigt.
In der Branche gibt es bereits seit Längerem einen Konzentrationsprozess. Auch der Managementberatungs- und Technologiekonzern Accenture mit seiner Digitaltochter Accenture Interactive ist auf Einkaufstour. 2017 hatte das Unternehmen unter anderem die Hamburger Digitalagentur SinnerSchrader gekauft, im vergangenen Herbst verleibte es sich die renommierte Werbeagentur Kolle Rebbe ein. „Der fragmentierte deutsche Online-Marketing-Markt konsolidiert sich“, sagt Tiedemann. In Zukunft werde es einige wenige sehr große Anbieter mit unterschiedlichen Schwerpunkten geben und eine Reihe von kleineren Spezialisten. Daran, dass PIA bei den Großen dabei sein will, lässt der Chef keinen Zweifel. Er sieht die Gruppe gut aufgestellt, kann sich aber auch noch „zwei bis drei Zukäufe“ vorstellen. Es gehe darum mitzuhalten bei Zukunftsthemen wie künstliche Intelligenz, Sprachsteuerung und Machine Learning (automatisiertes Lernen).
Hamburg traditioneller Medien- und Kreativstandort
Sein Wechsel zu PIA hat auch damit zu tun, dass der erfahrene Agentur-Builder noch mal neu durchstarten wollte. „Die Management-Herausforderung liegt nicht im Zukauf von Unternehmen, sondern in der anschließenden Integration in die PIA Group“, sagt er. Tiedemann sieht sich in der Rolle eines Trainers, der seine Mannschaft in unterschiedlichen Formationen je nach „Gegner“ aufs Spielfeld stellt. Hamburg sei dafür ein attraktiver Ort. „Die Stadt ist ein traditioneller Medien- und Kreativstandort“, sagt der Wahlhanseat mit niedersächsischen Wurzeln, der mit seiner Familie in Harvestehude wohnt. In den nächsten Monaten will er mit seinem Team aus dem Co-Working-Büro in eigene Räume umziehen. An derselben Adresse, im historischen Postgebäude.