Hamburg. Ab einem Streitwert von 1000 Euro übernimmt das Portal iubel zivilrechtliche Streitigkeiten gegen Erfolgshonorar.
Recht bekommen kann teuer werden. Mehr als zwei Drittel der Deutschen haben Angst vor den Kosten eines Rechtsstreits, ermittelte der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft in einer Umfrage. Deshalb würden viele darauf verzichten einen Anwalt einzuschalten, so der Verband. So liegen bei einem Streitwert von 3000 Euro die Gerichtskosten plus Vergütung für beide Anwälte in zwei Instanzen zusammengerechnet bei rund 3500 Euro. Dieses Risiko schreckt viele ab, denn in Deutschland gilt der Grundsatz: Wer verliert, zahlt.
Zwei Hamburger Brüder wollen das nun ändern. Jan und Niclas Stemplewski gründeten Anfang des Jahres das Rechtsportal iubel (sprich Jubel). Die Idee für den Namen iubel stammt aus der Verbindung des lateinischen Wortes ius für Recht und dem deutschen Wort Jubel. Die beiden promovierten Brüder, die auch Anwälte sind, wollen ihre Kunden zum Jubeln über einen gewonnenen Rechtsstreit bringen.
Finanzierung ab 1000 Euro Streitwert
Egal ob Dieselskandal, Arbeits- oder Verkehrsrecht: Das Internetportal bietet die Finanzierung von zivilrechtlichen Streitigkeiten ab einem Streitwert von 1000 Euro an. Der Kunde hat kein Kostenrisiko, wenn sein Fall angenommen wird. Allerdings kassiert iubel im Erfolgsfall eine Provision. „Sie hängt vom Risikoprofil des jeweiligen Falls sowie dem Leistungsumfang ab und liegt zwischen 17,5 und 42 Prozent der erstrittenen Summe“, sagt Niclas Stemplewski. Recht bekommen hat also auch seinen Preis. Aber bei einem Misserfolg muss iubel die Kosten allein tragen. „Doch unsere Erfolgsquote liegt bei über 90 Prozent“, sagt Niclas Stemplewski.
Im Unterschied zu den Internetportalen wie MyFlyRight oder EUFlight, die sich nur um die Entschädigung für verspätete Flüge kümmern, möchte iubel möglichst viele Rechtsbereiche abdecken. Dabei geht es vor allem um Arbeitsrecht, Mietrecht, Klagen im Dieselskandal, Verkehrsrecht und einige andere Bereiche. Aktueller Schwerpunkt ist dabei der Dieselskandal. „Wir unterstützen allein mehr als 300 Klagen gegen VW“, sagt Jan Stemplewski.
Datenbank füttern
Die Digitalisierung der Rechtsbranche steckt noch in den Anfängen. In den Gerichten wird noch viel Papier bewegt. Die Urteile von Amtsgerichten werden kaum veröffentlicht. Dabei sind Urteile sehr formalisiert und lassen sich gut auswerten. „Doch diese Brille hat bisher kaum einer auf“, sagt Niclas Stemplewski. Zusammen mit seinem Bruder entwickelte er einen eigenen Algorithmus, der die Erfolgswahrscheinlichkeit von Fällen berechnet.
Grundlage des Modells ist die statistische Analyse juristischer Fälle. Rund 20 Faktoren wie Streitwert, rechtliche Anspruchsgrundlage und voraussichtliche Verfahrensdauer fließen in die Erfolgsprognose ein. Die dafür notwendige Datenbank wird mit Gerichtsurteilen, relevanten Statistiken und den Daten der eigenen abgeschlossenen Fälle gefüttert. Denn möglichst schnell soll der Rechtssuchende erfahren, ob sein Fall aussichtsreich ist und übernommen wird. „Wenn alle Unterlagen zusammen sind, erfolgt das innerhalb von 24 Stunden“, sagt Jan Stemplewski. Die potenziellen Mandanten schildern ihren Fall anhand strukturierter Fragen auf der Internetseite von iubel.
150 Anwälte mit im Boot
Das Hamburger Start-up ist allerdings nur ein Vermittler und sorgt für die Finanzierung. Bearbeitet werden die Fälle von 150 Rechtsanwälten in Deutschland. „Wir selbst sind zwar beide Juristen, werden aber nicht als Anwälte aktiv“, sagt Jan Stemplewski. Ihr Geschäftsmodell steht auch Anwälten offen. Denn auch die haben Mandanten, die ihr Recht zwar gerne durchsetzen würden, aber wegen des Kostenrisikos davor zurückschrecken. So können auch Anwälte anfragen, ob iubel die Finanzierung übernimmt. „Wenn die Erfolgsaussichten groß genug sind, bieten wir einen Sofort-Rechtsschutz und übernehmen alle Kosten vom Anwalt über das Gericht bis hin zu Gutachtern und Zeugen“, sagt Niclas Stemplewski. Jeder angenommene Fall wird sofort mit Kapital hinterlegt.
Nach eigenen Angaben ist das Unternehmen für anderthalb bis zwei Jahre finanziert. Das Geld kommt von den Vermögensverwaltungen reicher Familien, und auch die Investitions- und Förderbank Hamburg (IFB) unterstützt das Start-up mit 150.000 Euro. Darüber hinaus hat iubel mit den Business Angels Stefan Wiskemann und Michael Weinreich sowie dem Berliner Finanzierer Motu Ventures weitere renommierte Investoren an Bord geholt, die die Firma finanziell und beratend unterstützen.
Kritik von Verbraucherschützern
Geplant ist, im Jahr 2021 mit einer hohen fünfstelligen Zahl an betreuten Fällen einen Umsatz von 58 Millionen Euro zu generieren. Der Markt ist sehr groß: Das jährliche Streitwertvolumen wird auf 10,6 Milliarden Euro geschätzt, nur bezogen auf Forderungen, die zwischen 1000 und 50.000 Euro liegen. Auf diese Größenordnung will sich iubel konzentrieren. Bisher verzeichnet das Rechtsportal 3000 Anfragen. Eine hohe dreistellige Zahl davon sei übernommen wurden, sagt Jan Stemplewski. Doch eine Ablehnung muss nicht bedeuten, dass der Fall vor Gericht keine Chancen hat. „Es kann auch sein, dass es aus ökonomischen Kriterien eine Ablehnung gibt“, räumt Niclas Stemplewski ein.
Verbraucherschützer sehen solche Portale denn auch kritisch. „Wenn offensichtlich nur die sehr aussichtsreichen Fälle angenommen werden, ähnlich wie bei den Flugrechtsportalen, dann kann der Kunde seine Interessen auch selbst über einen Rechtsanwalt vertreten und spart die Provision“, sagt Julia Rehberg, Rechtsexpertin der Verbraucherzentrale Hamburg.
Unterschied zur Rechtsschutzversicherung
Wer sich vor den finanziellen Folgen eines Rechtsstreits schützen möchte, konnte bisher eine Rechtsschutzversicherung abschließen oder sich an einen Prozessfinanzierer wenden. Letztere werden aber meist nur bei hohen Streitwerten tätig und verlangen ebenfalls eine Erfolgsbeteiligung. Auch bei der Rechtsschutzversicherung muss eine Deckungszusage für den konkreten Rechtsstreit vorher eingeholt werden.
iubel sieht sich dabei eher in der Nähe der Rechtsschutzversicherer, nur mit einem anderen Ansatz. „Langfristige Verträge entsprechen nicht mehr dem Zeitgeist“, sagt Jan Stemplewski. „Junge Leute möchten eine Dienstleistung erst dann zahlen, wenn sie sie wirklich in Anspruch nehmen. Das gilt für Carsharing ebenso wie für Rechtsschutz.“