Hamburg. Firmen in der Region überraschen mit neuen Produkten. Wir erzählen die Geschichte. Diesmal: Espresso von Becking.
Es gab eine Zeit in der mehr als 90-jährigen Geschichte der Hamburger Firma Becking Kaffee, da galt der eherne Grundsatz: „Mit dem Einzelhandel lassen wir uns nicht ein, das gibt nur Ärger.“ Der Gründer Wilhelm Becking handelte nach dieser Maxime, sein Sohn Helmut tat es ihm noch bis zum Anfang der 2000er-Jahre gleich. Die Beckings gingen stattdessen einen Weg, der im vergangenen Jahrhundert hierzulande einen steilen Aufschwung nahm: den Versandhandel. Und bei Becking gab es schon damals einen Vertriebsweg, der in Zeiten der online abgeschlossenen Rasierklingen- und Windel-Abonnements, erstaunlich aktuell wirkt: das Kaffee-Abo.
„Das Unternehmen hatte einen sehr großen Kundenstamm in ganz Deutschland, der Kaffee röstfrisch aus Hamburg mit der Post bezog“, sagt Heyko Wychodil. Er ist heute einer der drei Eigentümer und Vorstände der Becking AG. „In den 50er-Jahren war echter Bohnenkaffee noch ein Luxusprodukt. Deshalb wurde er sogar in 50-Gramm-Portionen an Kunden verschickt, die sich ausnahmsweise mal etwas besonders Gutes gönnen wollten.“
Vor 20 Jahren war das Ende nah
Wychodil ist eigentlich Anwalt, er kennt die Firmenhistorie aus vielen Gesprächen mit Helmut Becking. Er ist einer seiner Nachfolger. Becking war vor fast 20 Jahren schon fest entschlossen, den Geschäftsbetrieb komplett einzustellen. Den Firmensitz an der Harkortstraße in Altona hätte er über kurz oder lang aufgeben müssen. „Es gab keine Erben und keine Nachfolger. Er wollte die Mitarbeiter abfinden und dann aufhören“, sagt Wychodil. Gemeinsam mit dem Unternehmensberater Jürgen Schacht habe er Becking aber überzeugen können, dass es das Beste für die Beschäftigten sei, wenn sie ihren Arbeitsplatz behalten. Anwalt und Berater übernahmen das Unternehmen und holten Sönke Plautz zu Becking. Plautz ist der Kaffeeexperte im Team der Anteilseigner. Er ist der Mann für die Technik, zuständig für das Rösten und Abfüllen.
Fast 20 Jahre später verschickt Becking zwar immer noch Kataloge an seinen treuen aber schwindenden Stamm privater Kunden, ist mit Spezialitäten-Kaffees und Klassikern wie dem Hamburger Kapitänskaffee aber längst auch in den Regalen norddeutscher Supermärkte vertreten. Seit Kurzem auch mit Kaffeekapseln. Später als viele andere Anbieter, aber konsequent. „Die Kapseln sind zu 100 Prozent biologisch abbaubar und die ersten in dieser Kategorie, die absolut sauerstoffdicht sind“, sagt Plautz. Aus seiner Sicht ist das die derzeit beste Antwort auf die Kritik an den umstrittenen Kapseln.
Werden sie aus Aluminium oder Plastik gefertigt, gelten sie als schwere Umweltsünde. Sind die Minibehälter für eine Tasse aus der Kapselmaschine aus biologisch abbaubaren und kompostierbaren Materialien hergestellt, galten sie bislang als nachteilig für Haltbarkeit und Aroma. „Die von uns genutzte Kapsel besteht aus nachwachsenden Rohstoffen, der Deckel aus Papier ist mit lebensmittelechtem Lack luftundurchlässig versiegelt“, sagt Plautz.
Für das Nespresso-System
Beckings Kapseln passen in die in Deutschland weit verbreitete Nespresso-Maschine. „Es ist ein Trend, an dem wir nicht vorbeigehen wollten“, sagt Heyko Wychodil. Man wolle niemanden zur Kapsel bekehren, „aber viele Verbraucher haben die Vorteile einer kurzen Aufbrühzeit bei immer gleichem Aroma erkannt“. Das zeigen auch die Zahlen im jüngsten Tchibo-Kaffeereport. Demnach stand 2018 in fast jedem vierten deutschen Haushalt eine Kapselmaschine, sieben Jahre zuvor nur in 13 Prozent. In Hamburg waren es zuletzt sogar 27,1 Prozent. Und mehr als 47 Prozent aller Kapselmaschinenbesitzer nutzen sie nach eigenen Angaben häufig.
Becking Kaffee, seit 2015 mit allen Abteilungen in einem in der Firmenfarbe orange gestrichenen Neubau an der Leverkusenstraße (Bahrenfeld) ansässig. ist einer der ersten Nutzer der neuen Kapselart eines deutschen Herstellers. Auch die Hamburger Bio- und Fairtrade-Kaffeerösterei Maya nutzt sie seit Kurzem, um ebenfalls erstmals und mit ruhigem Gewissen Kapseln anzubieten.
In gut sortierten Supermärkten
Für Heyko Wychodil und Sönke Plautz sollen die Einzelportionen auch ein Türöffner zur weiteren Expansion im Handel sein. Becking Kaffee steht in mehr als 200 gut sortierten Edeka-Filialen im Regal. In Hamburg etwa bei Struve, Niemerszein und Glasmeyer. Sie gehörten zu den Ersten, die nun auch die Kapseln in ihre Sortimente aufnahmen. Sie gibt es derzeit in sieben Sorten.
Alles in allem stellen die knapp 20 Mitarbeitern heute um die 40 Sorten Spezialitäten- und Manufaktur-Kaffees her. Zu Zeiten von Helmut Becking waren es nur eine Handvoll. Eine „sechsstellige Summe“, sagt Wychodil habe die Firma in das Projekt Becking-Kapsel investiert, 180.000 Stück wurden vorproduziert. Der Umsatz soll 2019 von 2,3 auf 2,5 Millionen Euro wachsen.