Hamburg. Airy Greentech peilt 2019 bereits eine Million Euro Umsatz an. Wissenschaftler bestätigen Wirkung des Produkts.
Es läuft ganz gut für das erst vor erst vier Jahren gegründete Unternehmen. „Im vergangenen Jahr belief sich der Umsatz auf 748.000 Euro, 2019 wird er voraussichtlich auf mehr als eine Million Euro wachsen“, sagt Peer-Arne Böttcher, Mitgründer, Gesellschafter und Geschäftsführer der Hamburger Airy Greentech GmbH. Vor ein paar Wochen reiste Böttcher – in der Stadt auch als Gründer des Business Club Hamburg bekannt – mit der Delegation aus der Hansestadt zur weltgrößten Digital- und Kreativmesse South by Southwest nach Austin (Texas), um neue Kontakte zu knüpfen. Die US-Weltraumbehörde berichtete unlängst ausführlich über das Geschäftsmodell der Firma aus Hamburg-Volksdorf, Germany, das sich auf Nasa-Forschungsergebnisse beruft. Das Unternehmen, sagt Böttcher, sei derzeit in 30 Ländern aktiv. „In ganz Europa, mit Schwerpunkt Deutschland.“
Das ist deshalb erstaunlich, weil Airy ein auf den ersten Blick eher schlichtes Produkt zu happigen Preisen anbietet: Einen hierzulande hergestellten Blumentopf aus Plastik in zwei Größen für 79,90 und 99,90 Euro. Das Sortiment soll schon bald um einen kleinen Topf wachsen, künftig werden die Behälter im Komplettpaket mit Mineralsubstrat und Pflanze angeboten. Dann zu Preisen zwischen 49,80 und 129,80 Euro.
„Hochleistungsfähiges Luftreinigungssystem“
Doch Böttcher und Mitgründer Helge Knickmeier, die gemeinsam die Mehrheit an dem Unternehmen halten, vermarkten nicht einfach Plastikblumentöpfe. Ein Airy-Topf, lautet das Produktversprechen, sei ein „hochleistungsfähiges Luftreinigungssystem“, das „Schadstoffe aus der Raumluft filtern“ könne. Weil die Wurzeln der Pflanze in einem Airy – anders als in einem handelsüblichen Pflanzgefäß – ständig belüftet werden. Durch Einlassschlitze im Topfrand und in einem Innentopf. Mittels zwei bis drei Pflanzen in einer 50 Zentimeter langen, kastenförmigen Airy Box könnten binnen 24 Stunden „bis zu 75 Kubikmeter Raumluft von Schadstoffen befreit werden“, wirbt das Unternehmen.
„Schon seit Kindertagen reagiere ich allergisch zum Beispiel auf Ammoniak aus Putzmitteln oder auf Lösemittel aus Nagellack. Und wenn ich beim Tanken mit der Nase zu dicht an den Einfüllstutzen gerate, kann das bis zur Atemnot führen“, erzählt Produkterfinder Knickmeier. Anfang der 2000er-Jahre sei er dann auf eine Nasa-Studie aufmerksam geworden. Demnach können Pflanzen zum Beispiel Formaldehyd aus der Luft aufnehmen. Bei Tests stellten die US-Forscher fest, dass dieser Effekt fast genauso intensiv eintritt, wenn die Blätter entfernt werden. Der Umkehrschluss: Es sind offenbar die Wurzeln, die Formaldehyd aufnehmen. „Ich habe dann einfach mit einem Lötkolben, Schlitze in einen Plastiktopf gebrannt, ihn bepflanzt und in mein Schlafzimmer gestellt. Danach habe ich besser geschlafen“, sagt Knickmeier.
Auch Ralf Dümmel soll Interesse haben
Der Weg von der persönlichen Erfahrung zum offenbar erfolgreichen Geschäftsmodell nahm Um- und Irrwege und kam erst 2015 so richtig in Gang, nachdem Knickmeier und Böttcher sich in Hamburg kennengelernt hatten. Die ersten Blumentöpfe, die die Luft reinigen sollen, verkaufte Airy während einer Crowdfunding-Kampagne, die Geld ins Unternehmen spülte. Heute werde ein großer Teil des Umsatzes über den eigenen Online-Shop und über Amazon erzielt. Im Airy-Shop des Online-Marktplatzes haben bislang knapp 50 Kunden die luftigen und pflegeleichten, weil mit Wasserspeichern ausgestatteten, Töpfe aus Polypropylen bewertet – im Schnitt mit 3,5 von fünf möglichen Sternen. Den Preis bewerten viele Käufer kritisch, manche schreiben, die Luft in dem Raum, in den sie den Airy-Topf samt Pflanze platziert haben, sei jetzt „frischer“ und sie könnten nun auch besser schlafen.
Böttcher und Knickmeier arbeiten derweil an der Expansion. Derzeit laufe für das Unternehmen mit aktuell acht Anteilseignern und sechs Vollzeit-Arbeitsplätzen eine weitere Finanzierungsrunde, sagt Böttcher. Er schildert die Airy-Zukunft in blühenden Farben. Mit dem „Höhle der Löwen“-Juror Ralf Dümmel habe man einen Partner für das Online-Geschäft gefunden, Verträge mit Gartenmarktketten seien bereits unterschrieben, Kooperationen mit Büropflanzendiensten geplant, es liefen Gespräche mit möglichen Vertriebspartnern aus China und Indien. Und im Herbst, sagt Böttcher, sollen er und die Blumentöpfe einen Tag lang im Teleshopping-Kanal QVC präsent sein. Zu diesem Zeitpunkt solle auch bereits ein von der Universität Saarbrücken entwickeltes und ultrasensibles Messgerät für die Raumluftgüte auf dem Markt sein, für das Airy die Exklusivrechte besitze. Kostenpunkt: Um die 1000 Euro. „Das ist sicher eher etwas für Firmenkunden, die um das Wohlergehen ihrer Mitarbeiter am Arbeitsplatz bemüht sind.“
Wissenschaftliche Belege
Airy ist in diesem Geschäftsfeld nicht allein, andere Unternehmen verlangen deutlich weniger für ihre Luftmesser. Bosch bietet einen Rauchwarnmelder an, der zugleich flüchtige organische Verbindungen in der Raumluft misst, das Hamburger Start-up iDevices ist mit einem Luftgütemesser für private Haushalte am Markt. Breeze, im Jahr 2017 einer der Gewinner des Hamburger Gründerpreises, konzentriert sich vor allem auf Messgeräte für Firmenbüros und Werkhallen.
Die Airy-Gründer selbst sind darum bemüht, außer eigenen positiven Erfahrungen und den Stimmen dankbarer Kunden auch wissenschaftliche Belege für die luftreinigende Wirkung ihrer wurzelbelüfteten Töpfe beizubringen. Diese wurden im Auftrag der Hamburger vom Fraunhofer Institut für Holzforschung im Labor darauf getestet, ob sie tatsächlich eine hohe Formaldehydkonzentration in der Luft reduzieren können.
Eigens entwickeltes Spezialsubstrat
Ergebnis: Bei einem Airy-Topf mit normaler Blumenerde und Drachenbaum war die Konzentration des Gases am Ende um 63 Prozent geringer, beim Airy mit dem eigens entwickelten Spezialsubstrat und Pflanze um 49 Prozent, bei einem normalen Topf mit Blumenerde und Drachenbaum lediglich um 30 Prozent. Dass es vorwiegend die gut belüfteten Pflanzenwurzeln waren, die der Luft den chemischen Stoff entzogen, glauben die Wissenschaftler indes nicht. Sie verweisen in ihrem Bericht auf die hohe Wasserlöslichkeit von Formaldehyd und schreiben wörtlich: „Dies erklärt die hohe Wirkung der Airy-Blumentöpfe, die ein innenliegendes Wasserreservoir aufweisen.“