Hamburg. Zweiter Teil der Abendblatt-Serie: Mit Kabel New Media wurde der Hamburger Unternehmer trotz einer Insolvenz reich.

Das schnelle Geld. Mit dem Internet. Kaum fertig mit dem Studium, und schon Millionär. Zur Jahrtausendwende war das nicht unrealistisch. Junge Durchstarter hielten damals Reden – vor Tausenden Fans, die glaubten, nur wenige Klicks vom großen Vermögen entfernt zu sein.

Das Internet war auch Motor des Erfolgs für Peter Kabel. Schnell ist er Herr über 900 Mitarbeiter, Entrepreneur des Jahres 2000. Sein Unternehmen Kabel New Media wird an der Börse mit 600 Millionen Euro bewertet. Doch dann sacken die Aktien der Digitalagentur von 80 Euro auf 50 Cent ab, in den Wirren des Neuen Marktes muss die Firma 2001 Insolvenz anmelden. Kabel, einstiger Star, wird zum Symbol für das schnelle Geld, aber auch für das rasante Geldverbrennen.

Gespür für das richtige Timing

Er selber beweist damals − anders als viele Anleger − jedoch ein Gespür für das richtige Timing, als er Anteile an seiner Firma noch vor dem Crash verkauft und Millionen verdient. Die Firmen wuchsen in der ersten Euphorie um das World Wide Web zu schnell, die Visionen der Gründer – schon früh prophezeite Kabel, dass irgendwann der Kühlschrank Lebensmittel im Netz nachbestellt – kamen für die damalige Steinzeit des Internets oft zu früh.

Heute, 20 Jahre später, hat sich die digitale Welt ein paarmal um ihre eigene Achse gedreht. Jeder hat ein Smartphone, Google und Amazon gehören zum Alltag wie früher Plattenspieler und Walkman. Bei Kabel zu Hause in Ottensen hat „Alexa“ das Sagen, das kleine Steuerungsgerät für Einkäufe, Musik oder Licht, das auf Befehle wie „Spiele Klavierkonzert von Beethoven“ prompt reagiert. „Ich benutze das gar nicht so oft“, sagt der 57-Jährige lachend, „vielleicht bin ich dafür schon zu alt.“ Jedoch könne sich seine 14 Jahre alte Tochter ein Leben ohne solch ein Gerät wohl nicht mehr vorstellen. Gestern noch hätten sie mit der Internetdame „Teekesselchen“ gespielt, und das Raten klappe mit „Alexa“ ganz gut, freut sich Kabel.

Verantwortung bei Werbeagentur Jung von Matt

Für den Familienvater, der neben der Tochter einen 25 Jahre alten Sohn aus erster Ehe hat, ist die Sprachbox nicht nur Spielpartner, sondern auch Prototyp dafür, wie sich das Internet noch einmal neu erfinden wird. „Die Revolution durch das Smartphone war nur die erste Veränderung“, prognostiziert Kabel. Nun bringe die natürliche Sprache, die Geräte verstehen und anwenden können, eine weitere fundamentale Veränderung in unser Leben.

Mit seiner Kabel New Media wurde der Hamburger vor 20 Jahren zum Internetpionier, anschließend übernahm er Verantwortung bei der Werbeagentur Jung von Matt. Und noch heute ist er ein Kommunikator mit Freude am Formulieren und Fabulieren, ganz Visionär.

Unternehmertum in den Genen

Um seine Ideen umzusetzen, fliegt er alle paar Wochen nach Indien. Dort beteiligt er sich an Firmen, die ihre Geschäftsmodelle auf dem natürlich kommunizierenden Internet aufbauen. Beispiel „Niki“: Das Start-up, das Kabel beim Wachsen unterstützt, setzt auf die neue Mensch-Maschine-Kommunikation. Ein Reisender spricht oder tippt seinen Wunsch wie „Ich brauche ein Busticket nach Bangalore“ in sein Smartphone. Sofort erscheinen Angebote verschiedener Reiseagenturen, und das Ticket wird auf Wunsch mit QR-Code auf das Handy geliefert.

Kabel sieht sich als Mann, der das Unternehmertum in den Genen hat. Sein neues Spielfeld Indien ist daher alles andere als ein Zufallsprodukt. „Indien bietet weit mehr als einen riesigen Markt“, sagt Kabel, der selber schwäbische und ägyptische Wurzeln hat. Dort gebe es nicht nur 300 Millionen Smartphones. „In Indien funktionieren die Dinge trotz der Regierung, in China wegen der Regierung.“ Der Markt biete ein angelsächsisches Rechtssystem, mit den Leuten könne man Englisch sprechen.

Europäer noch oft an der Seitenlinie

„Ich wundere mich, dass wir Europäer da noch so oft an der Seitenlinie stehen“, sagt Kabel über die Zurückhaltung hiesiger Firmen in Delhi oder Bangalore. Kabel jedenfalls ist zufrieden mit seinem Engagement in dem aufstrebenden Land. Er habe sich mit seiner Firma aecal mit Sitz am Pferdemarkt bereits bei 14 indischen Start-ups beteiligt und drei „sehr erfolgreich“ verkauft.

Eine Konstante in Kabels Leben ist sein Job als Dozent an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW). Zum Gespräch ist er in einen Lehrsaal gekommen, als legerer Professor mit blauem Sakko und Jeans. Bereits in den 90er-Jahren gab er hier sein Wissen an die Studenten weiter, eine Aufgabe, die dem studierten Kommunikationsdesigner Freude macht.

HAW bietet Chancen für Innovationen

Und das sei das Wichtigste, findet Kabel, dessen Frau eine eigene Modemarke führt und sich ebenfalls mit dieser Arbeit verwirklicht hat. „Ich verstehe diese Diskussion um die Work-Life-Balance nicht“, sagt Kabel. Wenn seine Studenten davon anfingen, klinge dies immer nach Leiden im Beruf und großen Opfern. Für ihn war die Arbeit immer, auch wenn er das Scheitern mit Kabel New Media „als die Hölle“ in Erinnerung hat, Freude und Leidenschaft. Unternehmer sein sei Spaß am Umsetzen von Ideen. „Ohne, dass ich dazu die Erlaubnis eines Chefs benötige.“ Nur eines, das gibt er seinen Studenten mit auf den Weg, sei nicht das Ziel: Schnell reich zu werden.

In der HAW sieht er einen Freiraum, der Chancen bietet für Innovationen, ohne gleich an Effizienz denken zu müssen. Jüngst habe sein Forscherteam ein Programm entworfen, das Besatzungen privater Flüchtlingsschiffe bei psychischen Belastungen auf See helfen kann. „Sie haben auf dem Meer kaum jemanden, mit dem sie über ihre Erfahrungen reden können“, argumentiert Kabel für den digitalen Zuhörer. Wenn künstliche Intelligenz beim Dialog mit dem Flüchtlingshelfer erkenne, dass ein posttraumatisches Syndrom vorliegt, könne das Programm Therapien oder Meditation vorschlagen.

IBM interessiere sich bereits für diese Entwicklung. Kabel ist sich der Chancen durch künstliche Intelligenz bewusst, aber richtig durchstarten will er mit einer eigenen Firma nicht mehr. „Ich bin zwar Unternehmer, aber im Rampenlicht möchte ich nicht noch einmal stehen“, sagt Kabel. „Schließlich habe ich meine Lektion gelernt.“

Am nächsten Sonnabend lesen Sie: Petra Vorsteher bringt Werbung in die App