Hamburg. Guillaume Faury hat Tom Enders abgelöst. Auf den Franzosen warten jetzt große Herausforderungen.

Noch vor weniger als 18 Monaten war Guillaume Faury der Chef der Airbus-Hubschraubersparte – und er hätte sich damals wohl nicht träumen lassen, schon bald den gesamten europäischen Luft- und Raumfahrtkonzern zu leiten. Als Favoriten für die Nachfolge von Tom Enders galten damals andere. Doch Faury, der mit Ablauf der Hauptversammlung am Mittwoch das Amt des Vorstandsvorsitzenden übernommen hat, ist keineswegs als Verlegenheitskandidat in diese Position gerutscht.

Denn der 51-jährige, der seit Februar 2018 das Airbus-Zivilljetgeschäft leitet, besitzt eine Reihe von Qualitäten, die ihn für den neuen Top-Job hervorragend qualifizieren. So ist er mit den technischen Besonderheiten der Branche bestens vertraut. Nach dem Studium an einer Elite-Hochschule in Paris begann er seine Karriere im Jahr 1992 als Flugtestingenieur für den deutsch-französischen Kampfhubschrauber Tiger. Zunächst war Faury bei einer Regierungsbehörde angestellt, bevor er 1998 zu Eurocopter (heute: Airbus Helicopters) wechselte und dort verschiedene Führungspositionen übernahm.

Was Faury besonders macht

Neben seiner Vertrautheit mit dem Luftfahrtsektor hat Faury etwas, das ihn von etlichen Kollegen unterscheidet: Managementerfahrung in einer anderen Industrie. Denn zwischen 2009 und 2013 arbeitete er für den Autobauer Peugeot, wo er den Forschungs- und Entwicklungsbereich leitete. Unter seiner Führung kam dort die Hybrid-Antriebstechnologie deutlich voran. „In der Autobranche herrscht ein extrem hoher Wettbewerb, und das Tempo, in dem Verbesserungen in die Verfahren und Produkte einfließen, hat mich beeindruckt“, sagte Faury im Juni vorigen Jahres im Gespräch mit dem Abendblatt.

Natürlich ließen sich die Produktionsverfahren wegen der sehr unterschiedlichen Stückzahlen nicht direkt aus der Autoindustrie auf den Flugzeugbau übertragen. Doch wie gerade in Hamburg in der neu eröffneten vierten A320-Endmontagelinie sehe, sei auch bei Airbus „ein höherer Grad an Automatisierung und ein verstärkter Einsatz von Robotern möglich.“

Er kann mit Krisen umgehen

Faury hat zudem bereits bewiesen, dass der Hobby-Segler kein Schönwettermanager ist, sondern mit Krisen umgehen kann. Kurz nachdem er im Mai 2013 zur Airbus-Hubschraubersparte zurückkehrte und deren Leitung übernahm, fuhren die wichtigsten Kunden aus dem zivilen Sektor, die Öl- und Gasförderer, wegen des drastischen Einbruchs der Energiepreise die Bestellungen kräftig zurück. Die polnische Armee stornierte aus politischen Gründen einen Großauftrag über 50 Helikopter. Zudem gab es technische Schwierigkeiten mit dem Spitzenmodell H225 „Super Puma“: Zwei Maschinen hatten bereits 2012 wegen Schäden am Rotorgetriebe notwassern müssen, eine dritte stürzte im April 2016 vor der norwegischen Küste ab.

Das Unglück mit 13 Todesopfern führte zu einem monatelangen Startverbot für diesen Typ. Faury reagierte auf die Probleme, indem er die Hubschrauberfertigung nach dem Muster der Airbus-Ziviljetsparte in Kompetenzzentren organisierte – was mit dem Abbau von fast 600 Stellen verbunden war, der aber weitgehend auf freiwilliger Basis und relativ geräuschlos erfolgte. Außerdem leitete Faury die Expansion in neue Märkte ein, zum Beispiel mit dem Flugtaxi „CityAirbus“, das demnächst erstmals abheben soll.

Unbelastet vom Korruptionsverdacht

Abgesehen von der fachlichen Qualifikation weist der neue Konzernchef eine Eigenschaft auf, die aus Sicht des Verwaltungsrats zweifellos äußerst wünschenswert erschien: Faury gilt als unbelastet vom Korruptionsverdacht, der noch immer wie eine dunkle Wolke über dem Unternehmen schwebt; die Ermittlungen in mehreren Ländern wegen möglicher Schmiergeldfälle dauern noch an. Jedenfalls steht er, wie Enders anlässlich der Nominierung von Faury zu seinem designierten Nachfolger im Oktober sagte, „für eine neue Generation von Führungspersönlichkeiten, die Airbus im kommenden Jahrzehnt benötigt“. Der Konzern brauche für die 2020-er Jahre „frische Kräfte“.

Faury, der aus der Normandie stammt, verheiratet ist und drei Kinder hat, wirkt zurückhaltender als Enders und nicht so „zackig“ wie der Reserveoffizier der Fallschirmjägertruppe. Doch als Freizeit-Triathlet ist der Franzose ebenfalls an Härten gewöhnt. Faury könne zuhören, vertrete aber auch deutlich seine Meinung, sagt ein Gewerkschaftler, der den neuen Konzernchef noch aus seiner Zeit im Hubschrauber-Bereich kennt. Er arbeite teamorientiert, sei sehr analytisch und stelle den Erfolg des Unternehmens in den Mittelpunkt.

Kontinuität in der Konzernführung

Zwar versprach Faury bei der Bilanzvorlage im Februar Kontinuität in der Konzernführung. Das bedeute aber auch, dass die Organisation weiter vereinfacht werden könne. Sein Vorgänger hatte bereits eine Reihe von Aufgaben der Konzernebene und der Ziviljetsparte personell zusammengeführt, sie haben formal aber noch immer separate Leitungsgremien. Das könnte Faury ändern.

Doch auch rein operationell hat er eine Reihe von anspruchsvollen Aufgaben zu lösen. So muss er dafür sorgen, dass der „Endspurt“ des Produktionshochlaufs der A320-Flugzeugfamilie auf monatlich 60 Maschinen bis Mitte 2019 ohne Stolpern gemeistert wird – und eine weitere Steigerung auf 63 Flieger pro Monat bis zum Jahr 2021 ist bereits angepeilt. Daneben baut Airbus aktuell eine Fertigungslinie für den ursprünglich von der kanadischen Firma Bombardier entwickelten A220 in Mobile/Alabama auf, wo schon seit 2015 Flugzeuge der A320-Reihe gebaut werden.

Neues Modell von Boeing

Auch wenn der US-Rivale Boeing derzeit durch die beiden Abstürze von 737-MAX-Jets geschwächt ist, könnte er Airbus im nächsten Jahrzehnt mit einem neuen Modell unter Druck bringen: Experten erwarten für das Jahr 2027 eine Boeing 797 mit Platz für rund 250 Passagiere und einer Reichweite am unteren Rand des Langstreckenbereichs. Darauf müsste Faury rechtzeitig eine Antwort finden. Auch beim A350, dem Spitzenmodell nach dem bevorstehenden Produktions-Aus des A380, stehen Entscheidungen an. Hier geht es um die Frage, ob die Maschine gegen Mitte des nächsten Jahrzehnts mit einer noch sparsameren Triebwerksgeneration ausgestattet werden soll, sowie um eine mögliche Fertigungsratenaufstockung.

Eine für Faury persönlich relevante Kenngröße aber wird nicht steigen: Sein Jahresbasisgehalt, das auch die Schlüsselgröße für erfolgsabhängige Boni ist, wird einem Bericht der „Welt“ zufolge mit 1,35 Millionen Euro um zehn Prozent niedriger ausfallen als das von Enders. Ein Airbus-Sprecher hatte das mit der langjährigen Unternehmenszugehörigkeit des bisherigen Chefs erklärt.

Wechsel auch im Verwaltungsrat

Nachdem nun ein Franzose auf einen Deutschen an der Vorstandsspitze von Airbus gefolgt ist, steht auch im Verwaltungsrat ein Wechsel an: Der ehemalige Telekom-Vorstandschef René Obermann soll im nächsten Jahr der Vorsitzende des Aufsichtsgremiums werden. Der bisherige Amtsinhaber Denis Ranque will den Posten im April 2020 nach sieben Jahren räumen.