Hamburg. Tom Enders war 19 Jahre auf der ersten oder zweiten Führungsebene für Airbus tätig. Zum Abschied bekommt er eine große Summe.

Es fällt schwer, sich Airbus ohne Tom Enders vorzustellen. Seit nunmehr 19 Jahren ist er auf der ersten oder der zweiten Führungsebene für den europäischen Luftfahrt- und Rüstungskonzern tätig – also ununterbrochen seit der Gründung der damaligen EADS, die Anfang 2014 den Namen ihrer Passagierjetsparte annahm. Mit der Hauptversammlung an diesem Mittwoch endet die Amtszeit des 60-Jährigen als Vorstandschef von Airbus. An seine Stelle rückt dann Guillaume Faury, 51, der seit Februar 2018 das Zivilflugzeuggeschäft und damit den wichtigsten Bereich der Gruppe leitet.

Enders machte sich mit direkter Art nicht nur Freunde

Dass Enders sich so lange im Führungsgremium des Konzerns halten konnte, erstaunt ihn im Rückblick selbst, wie er kürzlich in einem Interview sagte. Das mag schon allein mit seinem persönlichen Hintergrund zu tun haben. Enders wuchs als Sohn eines Schäfers im Westerwald auf, als Jugendlicher musste er hart mit anpacken. Nach dem Abitur diente er als Fallschirmjäger bei der Bundeswehr. Er begann ein Studium der Geschichte, Politologie und Volkswirtschaft in Bonn, wechselte aber schon bald an die University of California in Los Angeles – und die Zeit dort hat ihn stark geprägt. Seine Sympathie für das angelsächsische Ideal einer marktorientierten Wirtschaftsordnung blieb immer offensichtlich.

Französische Führungskräfte hingegen, denen er später während seiner Karriere im länderübergreifenden Luftfahrtkonzern begegnete, waren praktisch ausnahmslos an Pariser Elitehochschulen ausgebildet, sie waren Meister der Diplomatie und eingebunden in ein Netzwerk, für das die enge Verflechtung zwischen Wirtschaft und Politik eine Selbstverständlichkeit ist.

So konnte es nicht ausbleiben, dass sich Enders jenseits des Rheins mit seiner geradlinigen, direkten Art und seinem unternehmerischen Selbstverständnis nicht nur Freunde machte. Schon bevor er im Juni 2012 als erster Deutscher alleiniger Konzernchef wurde – bis 2007 hatte es stets eine Doppelspitze mit einem Deutschen und einem Franzosen gegeben –, beschloss Enders, die Verwaltungssitze in München und Paris aufzugeben und die Zentrale in Toulouse anzusiedeln, wo bereits die Leitung der Ziviljet-Sparte angesiedelt war. Die Entscheidung diente vordergründig dem Abbau von Komplexität, man konnte sie aber durchaus auch symbolisch zu verstehen: Der Doppelsitz war Teil der sorgfältig gehüteten Machtbalance zwischen Deutschland und Frankreich im Unternehmen.

Airbus wurde entstaatlicht

Mit Beharrlichkeit hat Enders aus einem ursprünglich sehr stark politisch beeinflussten Konstrukt einen fast normalen Konzern gemacht. Zwar sind Deutschland und Frankreich noch mit je elf Prozent beteiligt (und Spanien mit vier Prozent), inzwischen aber beschränken sich ihre Einspruchsrechte praktisch darauf, eine feindliche Übernahme von Airbus abblocken zu können. Außer der Entstaatlichung hat Enders noch auf ein anderes Ziel hingearbeitet: Ihm ging es darum, aus der ehemals in vier Ländern – Deutschland, Frankreich, Spanien und Großbritannien – tätigen Firmenallianz ein integriertes „Unternehmen mit europäischen Wurzeln und internationaler Aufstellung“ zu machen. Heute hat Airbus nicht nur Endmontagewerke für die Kurz- und Mittelstreckenjets der A320-Reihe auch in China und in den USA, der Konzern arbeitet darüber hinaus mit zahlreichen Ingenieuren in Innovationszentren im kalifornischen Silicon Valley und in Indien. Das ist aus Sicht von Enders schon deshalb erforderlich, weil der Wettbewerb um Talente zunehmend global ausgetragen wird. Die Beschäftigung in Europa hat unter der Internationalisierung nicht gelitten: Seit Ende 2011 hat die Mitarbeiterzahl am Standort Hamburg um 700 auf 12.700 Personen zugenommen.

Fusion mit Rüstungskonzern BAE Systems scheiterte

Allerdings konnte Enders nicht alles durchsetzen, was er mit Airbus vorhatte: Sein Plan einer Fusion mit dem britischen Technologie- und Rüstungskonzern BAE Systems zum weltgrößten Anbieter der Branche noch vor Boeing scheiterte am Widerstand von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU); kurz darauf trat aber die neue Unternehmenssatzung mit einem stark verringerten Staatseinfluss in Kraft.

Zweifellos hat Airbus unter der Führung von Enders die Produktivität enorm gesteigert: Bei einer seit Ende 2011 insgesamt verringerten Belegschaft in der Ziviljet-Sparte kletterten die jährlichen Auslieferungen von 534 auf zuletzt 800 Maschinen. Die unbequeme Entscheidung, das A380-Programm wegen chronischer Nachfrageschwäche einzustellen, nahm der scheidende Vorstandsvorsitzende seinem designierten Nachfolger ab – getreu dem Selbstverständnis des Reserveoffiziers, ein „General mit Schlamm an den Stiefeln“ zu sein, wie sich Enders gegenüber dem „Manager Magazin“ einmal bezeichnete.

Ermittlungen wegen Korruptionsverdacht

Eine weitere Belastung konnte er aber nicht während seiner Amtszeit ausräumen: Die Ermittlungen gegen Airbus in Großbritannien, Frankreich und in den USA wegen möglicher Korruptionsfälle. Mit einer Selbstanzeige hatte der Konzern im Jahr 2016 die behördlichen Untersuchungen angestoßen. Offenbar waren bei mehreren Auftragsabschlüssen dubiose „Berater“ eingebunden, über die Schmiergelder geflossen sein könnten. Unklar ist, wie viel Enders selbst von diesen Vorgängen wusste. Jedenfalls warnte er bereits 2017 in einem Brief an die Mitarbeiter, die „Möglichkeit schwerwiegender Konsequenzen, einschließlich erheblicher Strafen für das Unternehmen“ sei durchaus gegeben.

Viele Branchenbeobachter werden Enders schon deshalb vermissen, weil er immer ein Mann der klaren Worte war, der nicht nur bei inoffiziellen Gelegenheiten ungewöhnlich offen Einblicke in seine Einschätzung des wirtschaftlichen und politischen Umfelds gewährte. Er beließ es aber nicht bei Worten: Aus Verärgerung über die Entscheidung der damaligen schwarz-gelben Bundesregierung, im Libyen-Konflikt im Jahr 2011 nicht militärisch einzugreifen, gab Enders sein CSU-Parteibuch – er lebt am Tegernsee – zurück.

Fallschirmspringer mit Pilotenschein

Im Urteil der Finanzmärkte hat der Manager, der jeden Morgen joggt und noch immer gelegentlich mit dem Fallschirm aus Flugzeugen springt, den Konzern ganz offensichtlich erfolgreich geführt, denn während seiner Amtszeit hat sich der Börsenwert von Airbus mehr als vervierfacht. Das könnte auch erklären, warum er das Unternehmen einem Bericht der Zeitung „Le Monde“ zufolge mit einem Abschiedspaket von immerhin bis zu 36,7 Millionen Euro verlässt. Zwar kritisierte der französische Finanzminister Bruno Le Maire den Betrag als „exzessiv“. Tatsächlich aber sind derartige Pakete zum Dienstzeitende von Chefs großer Firmen grundsätzlich keineswegs unüblich. So erhielt etwa Stefan F. Heidenreich, Beiersdorf-Vorstandsvorsitzender bis Ende 2018, für sein letztes Jahr an der Spitze eine Gesamtvergütung von 23,45 Millionen Euro – wobei der Hamburger Kosmetikkonzern an der Börse nicht einmal ein Viertel des Wertes von Airbus hat.

Von dem Abschiedspaket für Enders entfallen rund 26,3 Millionen Euro auf Rentenzahlungen; die Summe beruht jedoch auf der Annahme, dass Enders 80 Jahre alt wird, sonst wäre sie entsprechend geringer. Hinzu kommen Boni und Aktienoptionen im aktuellen Wert von fast 7,3 Millionen Euro sowie eine Prämie von 3,2 Millionen Euro dafür, dass er nicht schon bald für ein anderes Unternehmen der Branche arbeitet.

Pilotenschein für Hubschrauber

Das hat Enders nach eigenen Angaben aber ohnehin nicht mehr vor. Fast 30 Jahre in der Luftfahrtindustrie seien genug, sagte er. Was er außerhalb des Berufslebens plant, deutete er nur an. Er wolle mehr Zeit mit der Familie verbringen, sagte der verheiratete Vater von vier Söhnen, außerdem war die Rede von „fliegerischen Projekten“ privater Art. Den Pilotenschein für Hubschrauber hat Enders schon.