Hamburg. Insolventer Hamburger Windturbinenhersteller verliert an der Börse weiter an Wert. Firmengründer zeigt sich schwer betroffen.

Einen Tag nach der Insolvenz des Windradherstellers Senvion meldet sich der Unternehmensgründer im Abendblatt zu Wort. Hamburgs ehemaliger Umweltsenator Fritz Vahrenholt (SPD) hatte Repower Systems, wie Senvion bis 2014 hieß, 2001 durch den Zusammenschluss mehrerer kleiner Unternehmen der Windkraftindustrie ins Leben gerufen und bis zur Übernahme durch den indischen Konzern Suzlon 2007 geführt. Er zeigte sich betroffen: „Ich habe gestern Abend von der Insolvenz erfahren. Und ich muss sagen, mir geht es richtig schlecht. Diese Firma ist Teil meines Lebenswerks gewesen.“ Vahrenholt machte auch Managementfehler seiner Nachfolger für die Pleite verantwortlich. Die Aktie verlor am Mittwoch erneut kräftig. Bis zum Nachmittag ging es fast 30 Prozent auf 46 Cent hinunter. Das Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen.


Warum meldete Senvion Insolvenz an?
Verzögerungen bei Projekten im vergangenen Jahr haben zu einem geringeren Umsatz und Strafzahlungen an Kunden geführt. Dadurch stehen derzeit weniger liquide Mittel zur Verfügung. Rund 100 Millionen Euro fehlen kurzfristig. Laut Insidern sind die Hedgefonds Anchorage und Davidson Kempner bereit, Kredite in dieser Höhe bereit zu stellen. Der Finanzinvestor und Hauptaktionär Centerbridge, der 71 Prozent an Senvion hält, steckte in den vergangenen Monaten schon 82 Millionen Euro in das Unternehmen.

Nun soll er laut Kreisen bereit sein, seine Anteile mit den beiden Hedgefonds zu teilen. Von einer 400 Millionen Euro schweren Senvion-Anleihe kauften Anchorage und Davidson Kempner die Mehrheit zusammen und wollen die Papiere in Aktien tauschen. Allerdings sperren sich laut der Nachrichtenagentur Reuters die Banken – allen voran Deutsche Bank und BayernLB – gegen diese Lösung. Mit der neuen Finanzspritze sehen sie demnach die Wahrscheinlichkeit sinken, ihre Kredite über 950 Millionen Euro zurückzubekommen. Sprecher beider Geldhäuser wollten sich zu dem Fall nicht äußern.


Wie viele Mitarbeiter sind betroffen?

Weltweit beschäftigt Senvion etwa 4300 Menschen. In Deutschland sind rund 1900 Mitarbeiter von der Insolvenz betroffen. In der Zentrale in Hamburg sind es 440 Personen, am Entwicklungszentrum in Osterrönfeld (Schleswig-Holstein) 500, am benachbarten Servicestandort Büdelsdorf 340, im Fertigungswerk in Bremerhaven 260 Menschen.


Wie geht es der Windkraftbranche?
Im Zuge der Energiewende galt die Stromerzeugung aus Windkraft einst als Wachstumsbranche. In den vergangenen zwei Jahren war vom Boom nicht mehr viel zu spüren. Das liegt auch an einer geringeren staatlichen Förderung. 2017 schaffte Deutschland sein Modell mit festen Einspeisevergütungen ab. Seitdem werden Aufträge über Auktionen vergeben. Andere Staaten in Europa folgten. So hat nun der günstigste Anbieter die besten Chancen für den Zuschlag.

Dadurch kam es in der Branche zu harten Preiskämpfen. Die Firmen verdienten weniger, strichen Jobs und schlossen Standorte – Senvion machte zum Beispiel die Produktionsstätte in Husum (Schleswig-Holstein) und Eberswalde/Trampe (Brandenburg) zu. Andere Hersteller schlossen sich zusammen: Siemens ging eine Fusion mit Gamesa aus Spanien ein. Nordex aus Langenhorn schloss sich mit dem ebenfalls spanischen Hersteller Acciona zusammen. „Mein großer Traum war immer eine Fusion mit Nordex“, sagte Vahrenholt. „Die zwei größten norddeutschen Firmen der Branche vereint, die sich onshore wie offshore wunderbar ergänzt hätten – das wäre ein schlagkräftiges Unternehmen geworden.“

Der Nordex-Vorstand habe aber damals nicht gewollt. Zu den aktuellen Schwierigkeiten will der Firmengründer nichts sagen. „Dafür bin ich zu lange ‘raus.“ Aber in der Firmengeschichte seien einige Fehler gemacht wurden. „Man hätte beispielsweise die Entwicklung von Offshore-Windkraftanlagen weiter vorantreiben müssen. Windräder an Land konnten alle Unternehmen produzieren – die großen wie Vestas und Siemens genauso gut oder besser als wir, weil sie schon länger im Geschäft waren. Aber Offshore fingen alle bei Null an. Das war eine Riesenchance“, sagte Vahrenholt. Zudem sei die Finanzkraft nicht mit dem rasanten Wachstum der Firma mitgewachsen. „Repower hätte sich frühzeitig um Partner kümmern müssen“, sagte Vahrenholt. „Aber das war von den Eigentümern nicht gewünscht.“

Wie will Senvion wieder Erfolg haben?
Firmenchef Yves Rannou hält das Geschäftsmodell für „grundsätzlich solide und stark“. Es stützt sich auf zwei Pfeiler: der Produktion und Montage von neuen Windturbinen sowie dem Servicegeschäft. Das Auftragsbuch soll fünf Milliarden Euro schwer sein. Davon entfallen 2,8 Milliarden Euro auf das Wartungsgeschäft. Die Verträge liefen über mehrere Jahre, seien profitabel und ertragssicher. „Darauf wird zukünftig stärker der Fokus liegen“, heißt es aus Konzernkreisen.

Jedes Projekt solle nochmals intensiv auf Profitabilität überprüft werden. Derzeit ist das Unternehmen in 26 Märkten aktiv. Traditionell sind das der Hauptmarkt Deutschland, die USA und andere europäische Staaten. Hoffnung setzt man auf Indien, Chile, Argentinien und Australien, wo der Markteinstieg bereits erfolgte. Auch das Portfolio könnte zusammengestrichen werden. Von den 15 Varianten an Turbinen könnten kaum verkaufte Modelle eingestellt werden, heißt es von Insidern. So könnten die Stückzahlen pro Variante erhöht werden. Unterm Strich werde damit die Profitabilität gesteigert.


Was sagt die Politik?
„Mein Interesse ist es, die Arbeitsplätze zu erhalten und das Unternehmen weiter am Markt zu halten“, sagte Hamburgs Wirtschaftssenator Michael Westhagemann (parteilos). Er habe bereits mit Rannou und der Gewerkschaft telefoniert über Lösungen gesprochen. Die Gespräche sollen fortgesetzt werden. „Das ist eine bittere Meldung, in Schleswig-Holstein betrifft das 1000 Arbeitsplätze“, sagte Schleswig-Holsteins Wirtschaftsminister Bernd Buchholz (FDP).

Man sei mit Unternehmen und Arbeitnehmervertretern in Kontakt. Den von der IG Metall Küste geforderten Staatshilfen erteilte er zunächst eine Absage. Das Land sei derzeit nicht gefragt. „Es geht nicht um öffentliche Unterstützungsleistungen durch das Land. Das ist zum jetzigen Zeitpunkt auch beihilferechtlich gar nicht zulässig.“