Hamburg . Das Unternehmen Wildwuchs weitet seine Produktion aus – und sucht per Crowdfunding neue Investoren für eine Abfüllanlage.
In einer unscheinbaren Fabrikhalle in Wilhelmsburg wird Großes vorbereitet. Zwischen riesigen Edelstahltanks entsteht eine Bühne für Musiker, vorne am Rolltor neben der Etikettiermaschine wird eine Sitzgruppe eingerichtet, ein paar Girlanden hängen an den Kesseln – für das große Fest am Wochenende. Denn am Sonnabend eröffnet die Wildwuchs Brauwerk Hamburg hier ihre neue Produktionsanlage. Sogar Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) soll sich angesagt haben. Alle Mitarbeiter sind mit den Vorbereitungen beschäftigt. Alle Mitarbeiter? Es gibt nur drei. Und sie sind Enthusiasten, Idealisten, die Hamburgs erste und bislang einzige Bio-Brauerei betreiben.
Bier nur regional vermarkten
An diesem Brauhaus mit angeschlossener Mini-Kneipe zur Verkostung hängt ihr berufliches Leben. Nicht nur, weil sie mit einer halben Million Euro für die neue Sudanlage, alles auf diese Karte setzen. Sondern auch weil ihnen das mit dem „Bio-Anspruch“ verdammt wichtig ist, wie sie selbst sagen. Sie bieten nur Craftbier aus rein ökologischem Anbau an, „Wer sich mit den Problemen unserer Erde befasst, mit der Trinkwasserverschwendung oder der Ressourcenknappheit, für den muss es ein Ansporn sein, nachhaltig zu produzieren“, sagt Friedrich Carl Richard Matthies. Und er guckt dabei sehr ernst.
Fiete, wie er kurz und knapp genannt wird, ist Geschäftsführer der Wildwuchs-Brauerei, Diplom-Braumeister und Bier-Sommelier. Er hat das Unternehmen bereits 2014 gegründet. Gebraut wurde damals in einem geliehenen Sudhaus in Bleckede, abgefüllt noch woanders. „Alles nicht sehr nachhaltig“, wie er heute sagt. Jetzt liegt alles zusammen in Wilhelmsburg. „Zu unserem Anspruch gehört möglichst regional zu sein. Deshalb engagieren wir uns auch in der Regionalwert AG, die sich für ökologische Landwirtschaft und die Vermarktung regionaler Produkte einsetzt.“ Das bedeutet, dass Fiete Matthies und seine Mitstreiter gar nicht den Wunsch haben, ihr Bio-Bier bundesweit zu vertreiben. „Hamburg und Umgebung“, sagt er. „Ich kann mir nichts Schlimmeres vorstellen, als dass unser Bier einmal im Hofbräuhaus in München ausgeschenkt wird.“ Er schüttelt sich.
Eigener Hopfen aus Finkenwerder
Das bedeutet aber auch, dass die Rohstoffe der Produktion so regional wie möglich sein müssen. Wer ein wenig von Gerstensaft versteht, weiß, wie schwer das sein muss. Denn zum Beispiel Hopfen, einer der wichtigsten Aromaträger im Bier, wird in großen Gärten in Franken, in der Bodenseeregion oder der Hallertau angebaut, also weit weg im Süden Deutschlands. Aber dafür hat Fiete Matthies eine Lösung: „Wir bauen unseren eigenen Hopfen auf einer kleinen Fläche in Finkenwerder an. 18 Pflanzen, das reicht für 3000 Liter Bier. Den Rest müssen wir noch aus Tettnang in Baden-Württemberg von einem Bio-Hopfen-Bauern dazukaufen.“ Das gleiche gilt für Bio-Gerste, die es in Norddeutschland nicht gibt. „Wir sind bemüht über die Regionalwert AG die Landwirte davon zu überzeugen. Aber es braucht Zeit, bis diese die Chancen realisieren, die sich daraus ergeben.“ Denn Ökoprodukte haben laut Fiete große Chancen. „Das ist der wachsende Markt.“
Trennung von Kehrwieder-Brauerei
Gelernt hat er das Brauhandwerk noch bei einem großen herkömmlichen Anbieter, der Radeberger Gruppe. Sein Diplom hat er an der TU Berlin gemacht, und dann bei verschiedenen Brauereien in Spanien und Frankreich gearbeitet, bevor er zusammen mit Oliver Wesseloh die in Hamburg bekannte und mehrfach prämierte Craft-Bier-Brauerei Kehrwieder ins Leben rief. Die Zusammenarbeit hielt aber nicht. Es war der ökologische Anspruch, der die Partnerschaft zerriss: „Wir haben uns getrennt, weil ich eben Bio-Bier brauen wollte, was Kehrwieder nicht macht.“
Und wie das bei idealistischen Unternehmen üblich ist, hängt eine ganze Familie an dem Unternehmen. Neben den drei hauptamtlich Beschäftigten, Fiete Matthies, dem Vertriebsleiter Max Friedrich und Mathies’ Cousin Sebastian Jost, sind zwei weitere Matthies-Brüder eingespannt. Einer, der die Finanzen überblickt und einer der die Etiketten der Wildwuchs-Bierflaschen passend mit Fiete Matthies’ Konterfei und seinem schwarzen Vollbart entworfen hat. In der Produktion sind sie aber nur zu dritt, und damit für alles zuständig: Brauen, abfüllen, etikettieren, und nach Feierabend fahren sie die Lieferungen aus.
„In den Hamburger Bioläden sind wir fast überall vertreten“, sagt Vertriebschef Friedrich. „Schwieriger ist es bei den Restaurants, da viele von ihnen feste Verträge mit den großen Bier-Konzernen haben.“ Vor allem kleinere Landgasthöfe in der Umgebung würden sich aber davon lösen, und nach dem lokal gebrauten Bio-Bier fragen. „2014 haben wir mit 40 Hektolitern angefangen. Im vergangenen Jahr haben wir 600 Hektoliter Bier hergestellt, sagt Matthies. Wenn alles gut läuft, sollen es in diesem Jahr 1200 Hektoliter werden. „Am Jahresende muss eine schwarze Null stehen.“ Von irgendetwas müssen die Jungs ja auch ihren Kredit für die neuen Anlagen abbezahlen, den sie ihrem Anspruch gemäß nicht bei irgendeinem x-beliebigen Geldinstitut aufgenommen haben, sondern bei der GLS Bank, der nach eigenen Angaben ersten Öko-Bank der Welt, die nachhaltige Projekte fördert.
Biersorten von 1,80 Euro bis 3,50 Euro
Abgefüllt und verschlossen wird das Bier, das je nach Sorte mit zwischen 1,80 Euro und 3,50 Euro pro Flasche nicht ganz günstig ist, aber noch per Hand. „Für eine moderne Abfüllanlage hat das Geld nicht mehr gereicht“, sagt Fiete Matthies. Aber auch hier bahnt sich eine Lösung an: „Damit unser Bier auch zukünftig keine lange Lkw-Reise zu einer externen Abfüllanlage antreten muss, brauchen wir externe Unterstützung.“ Mittels eines Crowdfundings suchen sie derzeit Geldgeber für kleinere Beträge. Insgesamt geht es um 28.000 Euro. 248 Unterstützer haben sich bereits gemeldet und 25.740 Euro gegeben. Den Rest, so hoffen die Jungbrauer, werden sie wohl bei der Party am Sonnabend einwerben können.