Hamburg . Präsident Josef Katzer spricht im Interview über Personalengpässe, Auftragsfluten und Veränderungen in der Handwerkskammer.

Seit knapp zehn Jahren lenkt Josef Katzer als Präsident die Geschicke der Hamburger Handwerkskammer. In wenigen Wochen hört der 63-jährige auf. Das Abendblatt hat zum Ende seiner Amtszeit mit Katzer, der hauptberuflich eine eigene Gebäudereinigungsfirma leitet, über die vergangene Dekade, die langen Wartezeiten auf Handwerker und den akuten Fachkräftemangel quer durch alle Gewerke gesprochen.

Hamburger Abendblatt: Was waren aus Ihrer Sicht die wichtigsten Themen, die Sie in Ihrer Amtszeit angeschoben haben?

Josef Katzer Wir haben in den vergangenen zehn Jahren eine umfangreiche und nicht ganz einfache Reform der Handwerkskammer durchgeführt. So haben wir die Kammer vor allem wirtschaftlich und organisatorisch auf neue Beine gestellt. Diese Handwerkskammer ist nicht mehr die gleiche wie vor zehn Jahren.

Was heißt das konkret?

Wir haben unsere Buchhaltung komplett umgestellt. Dadurch wurden erst die tatsächlichen Verbindlichkeiten, welche unsere Kammer hatte, aufgedeckt. Allein für die Pensionsrückstellungen fielen 18 Millionen Euro Verbindlichkeiten an – das war vorher schlichtweg nicht bekannt. Darauf haben wir mit einem maßvollen, aber notwendigen Sparkurs reagiert. Zudem haben wir die Kammer ins digitale Zeitalter überführt und mittlerweile Millionen von Dokumenten sowie die Eingangs- und Ausgangspost digitalisiert. Zudem fühlt sich hier niemand als bürokratischer Beamter im früheren Sinn, sondern wir sind ein Dienstleistungsunternehmen – und das leben unsere Mitarbeiter auch. Der Zusammenhalt ist dabei nicht nur innerhalb der Kammer groß, sondern im gesamten Hamburger Handwerk. Des Weiteren haben wir gegen den Widerstand vieler Kritiker die umfangreiche Hamburger Imagekampagne für das Handwerk auf den Weg gebracht. Das war eines meiner Herzensprojekte. Denn mir war früh klar, dass wir so eine Kampagne brauchen, wenn wir dem Fachkräftemangel, den damals nur wenige voraussahen, erfolgreich begegnen wollen.

Was konnten Sie nicht durchsetzen?

Dazu zählt sicherlich die Frauenquote in den ehrenamtlichen Gremien der Kammer, für die ich im Handwerk aber keine Mehrheit gefunden habe. Selbst viele Frauen in den Innungen haben die Quote abgelehnt. Allerdings hätten wir die Quote in Hamburg auch rechtlich gar nicht durchsetzen können, weil die Handwerksordnung dies nicht zulässt. Hier müsste es zunächst auf Bundesebene rechtliche Änderungen geben.

Trotz Imagekampagne suchen Hamburger Handwerksbetriebe verzweifelt Personal. Welche Gewerke sind besonders betroffen?

Offizielle Statistiken dazu gibt es keine. Aber es gibt kaum einen Handwerker, der nicht sofort neues Personal einstellen würde. Aber das ist kein spezielles Problem des Handwerks, von diesem Fachkräftemangel ist die gesamte Wirtschaft betroffen. Ob Restaurants, Pflegeheime, Polizei oder Feuerwehr – überall wird Personal gesucht.

Was sind die Gründe?

Zum einen läuft die Konjunktur seit Jahren exzellent, was zu einem starken Fachkräftebedarf führt. Aber auch die Politik und die Wirtschaft haben Fehler gemacht. Schon vor vielen Jahren hätte die Digitalisierung und Automatisierung in der Industrie vorangetrieben werden müssen. Dadurch wären viele Beschäftigte freigesetzt worden, die heute in anderen Jobs arbeiten könnten.

Spielt mit Blick auf die vielen offenen Stellen im Handwerk nicht auch die vergleichsweise niedrige Bezahlung eine Rolle?

Hier muss man genau hinschauen: Das Lebenseinkommen eines Meisters und eines durchschnittlichen Akademikers ist so gut wie identisch. Zudem kann man in manchen Gewerken – ich denke an die boomende Baubranche – derzeit weit überdurchschnittlich verdienen.

Das hilft einer jungen Friseurin, die 1624,50 Euro brutto bekommt auch nicht weiter. Wie soll man mit diesem Gehalt in Hamburg als alleinerziehende Mutter leben – ohne staatliche Unterstützung?

Da gebe ich Ihnen recht: Friseure und andere verdienen aus meiner Sicht zu wenig. Gerade in einer teuren Großstadt wie Hamburg müssen die Löhne so auskömmlich sein, dass man als Handwerkerin davon ohne staatliche Unterstützung leben kann.

Warum ändern Sie daran als Kammerpräsident nichts?

Als Handwerkskammer sind wir nicht für die Tarifpolitik in den einzelnen Gewerken zuständig.

Aber sie könnten ja mit den jeweiligen Unternehmen reden.

Wir reden viel miteinander. Aber am Ende entscheidet über den Lohn auch der Markt. Und würden die Preise für Friseurleistungen wegen deutlich gestiegener Löhne um fünf Euro angehoben, würden die Kunden zu Billiganbietern gehen oder sich ihre Haare privat schneiden lassen. Doch Friseure sind nicht das ganze Handwerk. Ich kenne Feinmechaniker, die gehen mit brutto 4500 Euro im Monat nach Hause oder Dachdecker, die brutto 5000 Euro verdienen. Wir haben im Handwerk das ganze Spektrum – wie in der Industrie.

Was kann man dennoch für die schlechter bezahlten Handwerker tun?

Man sollte die Lohnnebenkosten senken, übrigens für alle Beschäftigten. Dann bliebe den Arbeitnehmern zumindest netto mehr im Portemonnaie.

Wenn der Staat aber die Rentenversicherungsbeiträge senken würde, wäre das Loch in der Rentenkasse noch größer ...

Es gibt ja noch mehr Stellschrauben, wie zum Beispiel die Arbeitslosen- und Krankenversicherung – sowie die Lohnsteuer und der Solidaritätszuschlag.

Ist es nicht zu einfach, sich seitens der Wirtschaft ständig über hohe Staatsabgaben aufzuregen, statt selbst Löhne zu bezahlen, von denen Beschäftigte anständig leben können?

Wenn das so einfach wäre. Ich gebe Ihnen ein Beispiel aus meinem Betrieb. Sobald ich meine Preise als Gebäudereiniger um nur zwei Prozent anhebe, habe ich sofort einen starken Auftragseinbruch. Dann hätten meine Beschäftigten zwar etwas mehr Lohn, aber ich müsste wegen der schwächeren Auftragslage zugleich einen Teil der Belegschaft entlassen. Das darf ja nicht das Ergebnis von Lohnerhöhungen sein. Wir haben immer höhere Steuereinnahmen und der Bürger wird daran nicht beteiligt, das ist nicht in Ordnung.

Auf Kundenseite gibt es immer mehr Beschwerden über die langen Wartezeiten auf Handwerker. Wird sich an dieser Situation in absehbarer Zeit etwas ändern?

Nein.

Das ist eine sehr kurze Antwort.

In einigen Gewerken wird sich die Situation einfach nicht entspannen. So haben wir in Hamburg einen extremen Bauboom, der auch die nächsten Jahre anhalten wird. Deshalb werden die Kunden auch in Zukunft lange auf Dachdecker und andere Beschäftigte in Gewerken rund ums Bauen warten müssen. Hier fehlen einfach die Mitarbeiter.

Reden wir über ein von Ihnen stark forciertes Projekt – die von der Stadt finanzierte Meistermeile für kleinere Handwerksbetriebe am Offakamp. Die Vermietung läuft ja eher schleppend ...

Was haben Sie für Zahlen?

… nach unseren Zahlen sind erst 21,4 Prozent vermietet.

Das ist doch Schnee von gestern. Wenn Sie die Verträge nehmen, die unterschrieben sind, sich auf dem Postweg befinden oder irgendwo noch in der Verwaltung hängen, dann kommen Sie auf 36 Prozent – das sind feste Vermietungen. Und das ist ein voller Erfolg. Ebenso wie die Tatsache, dass das Erdgeschoss bereits voll vermietet ist und es schon eine Warteliste von Betrieben gibt, die in das Erdgeschoss ziehen wollen. Das allein zeigt, dass der Bedarf vorhanden und der Standort richtig ist.

70 Prozent hatten Sie einst angepeilt.

Wir waren auch schon bei 70 Prozent. Wenn Sie aber einen Partner haben, der den Interessenten nicht einmal sagen kann, wann genau sie in die Meistermeile einziehen können, dann muss man sich nicht wundern, dass die potenziellen Mieter abspringen.

Mit dem Partner meinen Sie die städtische Sprinkenhof AG?

So ist es. Wir haben lange Zeit von Sprinkenhof weder die genauen Einzugstermine noch die Mietpreise erfahren.

Wann wird die Meistermeile eröffnet?

Die ersten Mieter ziehen gerade ein. Die offizielle Eröffnung ist im Frühsommer geplant. Zu Erinnerung: Eigentlich sollte die Eröffnung schon 2017 sein.

Wann wird die Vermietung Ihrer Meinung nach bei 70 Prozent liegen?

Ich denke im Frühjahr 2020.

Was ist die dringlichste Aufgabe für Ihren Nachfolger als Kammerpräsident?

Aus meiner Sicht ist ein wichtiges Thema der Zukunft: Die Kammer sollte ein Konzept entwickeln, wie man in den kommenden Jahren dem zunehmenden Unternehmermangel begegnen will. Denn nach dem Fachkräftemangel kommt auf Hamburg ein Unternehmermangel zu. Immer weniger junge Menschen wagen den Schritt in die Selbstständigkeit. Das muss sich ändern.

Was kann die Handwerkskammer tun?

Teil eines umfangreichen Konzepts könnte eine Kampagne für das Unternehmertum im Handwerk sein und gemeinsame Aktionen mit Politik und anderen Wirtschaftsbereichen in Hamburg. Aber ich möchte meinem Nachfolger nicht vorgreifen.

Wie wollen Sie Ihre neue Freizeit nutzen?

Ich werde noch ein Jahr in meinem Unternehmen leitend tätig sein und politisch nichts mehr machen.

Wieviel Zeit pro Woche haben Sie mit Ihrer Arbeit als Kammerpräsident verbracht?

Das war ein Fulltime-Job. Nun freue ich mich auf mehr Freizeit mit meiner Frau – so werden wir sicherlich endlich häufiger in die Oper gehen und mehr reisen.