Norderstedt . Beiersdorf-Tochter erwirbt innovatives Londoner Start-up – und verkauft mehr online. Wachstum auch mit Elektroautos
Wenn man darüber redet, was das Unternehmen Tesa ausmacht, reicht es schon lange nicht mehr, über Klebebänder zu sprechen. In einem Konferenzraum in der Norderstedter Firmenzentrale hat Vorstandschef Robert Gereke einen Teil einer Autoproduktion aufbauen lassen. „Während des Herstellungsprozesses, beispielsweise für die Tauchlackierung, sind bis zu 220 Löcher in einer Karosserie nötig“, erklärt Gereke. Die müssen später natürlich wieder verschlossen werden, damit der Wagen dicht ist. Hole Covering nennt sich das in der Fachsprache. Bislang ist das zumeist Handarbeit. Doch es geht auch anders. Per Knopfdruck setzt sich ein Roboterarm in Bewegung. Der Kopf ist eine Art überdimensionierter Klebeband-Abbroller, der die passenden Klebestanzteile an die richtigen Stellen appliziert. Plopp, plopp, plopp. Alle zwei Sekunden ist ein Loch dicht. Gereke liebt dieses Geräusch. Denn das Automatisierungskonzept, das Tesa gemeinsam mit einem Partner entwickelt hat, bietet beachtliches Potenzial. Zehn Milliarden solcher Öffnungen müssen pro Jahr in der Automobilindustrie geschlossen werden. „Bislang haben wir mit unseren Produkten einen Marktanteil von zehn Prozent“, sagt der Tesa-Chef. „Das wollen wird erhöhen.“ Im April wird der erste Prototyp beim Autobauer Fiat Chrysler eingesetzt.
Umsatz steigt um knapp sieben Prozent
Tesa, in Deutschland quasi das Synonym fürs Kleben, erwirtschaftet inzwischen drei Viertel des Umsatzes als Zulieferer für die Industrie. Und die Geschäfte liefen im vergangenen Jahr wieder positiv. „Wir haben uns 2018 gut entwickelt, auch wenn es im zweiten Halbjahr schwieriger wurde“, sagt Chemiker Gereke, der den Konzern mit knapp 5000 Mitarbeitern seit 2016 führt. Der Umsatz der Beiersdorf-Tochter legte um 6,8 Prozent auf 1,34 Milliarden Euro zu. Der Betriebsgewinn vor Steuern und Zinsen (Ebit) stieg auf 210 Millionen Euro (2017: 207,5 Millionen Euro). Die Umsatzrendite sank leicht auf 15,7 Prozent von 16,5 Prozent im Vorjahr. Als Grund für den Dämpfer zum Jahresende nannte der 62-Jährige den Konjunktur-Rückgang in der Automobilindustrie, der spürbare Auswirkungen auf Zulieferer gehabt habe. „Unser Erfolg gibt uns den Spielraum weiter in Innovation sowie den Ausbau unserer Präsenz in den Wachstumsregionen sowie den digitalen Handel zu investieren“, so Gereke.
Tesa künftig auch in Batterien von E-Autos
Zu den Schwerpunktthemen für dieses Geschäftsjahr zählt deshalb erneut die E-Mobilität. Bislang habe Tesa als Klebe-Spezialist, der mit 64 Tochterunternehmen und 14 Produktionsstätten weltweit zu den führenden Unternehmen der Branche gehört, bei der Produktion von Motoren keinen Anteil. „Das ist bei einer Elektro-Batterie ganz anders. Da gibt es zig Möglichkeiten“, sagt der Tesa-Vorstandschef. Schon jetzt liefere das Unternehmen Produkte an Autohersteller wie Volkswagen. Allerdings noch in sehr kleinen Stückzahlen. Das, so die Hoffnung, werde sich ändern, wenn die die Produktionszahlen der E-Flotten hochgefahren würden. „Wir sind vorbereitet.“
Werk in China: Ausbau für 30 Millionen Euro
Stärkster Wachstumstreiber ist erneut der Bereich Elektronik, vor allem in Asien. In mobilen Endgeräten ist schon lange kein Platz mehr für Schrauben, stattdessen wird vom Display bis zum Akku alles verklebt. Besonders erfolgreich waren dabei Tesa-Produkte für die wiederablösbare Batterieverklebung, neue doppelseitig klebende Spezialschäume für die Montage von Bildschirmen und sogenannte optisch klare Klebebänder, die für die Herstellung von Spielkonsolen, E-Readern und künftig auch biegbaren Handy genutzt werden. Um die Nachfrage schneller zu befriedigen, hatte Tesa im Dezember mit dem Ausbau des Werks im chinesischen Suzhou begonnen. Das Investitionsvolumen beträgt 30 Millionen Euro. Ein zweiter Standort in Asien ist in Planung.
Tesa-Seifenspender verkaufen sich gut
Insgesamt hat Tesa das Investitionsvolumen 2018 auf 143 Millionen Euro mehr als verdoppelt. „Zukäufe sind heute fester Bestandteil unserer Wachstumsstrategie“, sagt Gereke. Dabei geht es vor allem auch um den Zukauf von innovativen Produkten im Bereich der 300 Büro-, Haushalts- und Handwerkeranwendungen, also dem klassischen Tesa-Erbe. Unter anderem hatte Tesa die Firma Nie wieder Bohren übernommen und damit ein Sortiment von Haken- und Sanitär-Accessoires aufgebaut, die angeklebt statt angebohrt werden. In den Baumarktregalen gibt es Tesa-Seifenspender, Tesa-Klopapierhalter und Tesa-Ablagekörbe. „Das läuft gut.“
Klebe-Knete Sugru gibt es nur online
Weiterer Neuzugang ist das Londoner Start-up FormFormForm mit seinem formbaren, wasserdichten Silicon-Kleber Sugru. „Das ist wie die Knete, die man aus der Kinderzeit kennt, und dann aushärtet“, erklärt Gereke. Das Produkt, das in Großbritannien mit einem Erfinderpreis aus gezeichnet wurde und in verschiedenen Farben angeboten wird, zielt auf junge und nachhaltig orientierte Kunden, die schnell mal etwas selbst reparieren wollen anstatt es wegzuwerfen - zum Beispiel Löcher an Schuhsohlen oder Handykabel. Mit Sugru betritt das Traditionsunternehmen Tesa Neuland, denn bislang ist die Klebe-Knete nur online und nicht im stationären Handel erhältlich. „Für uns geht es dabei auch darum, von dem Start-up zu lernen“, so Gereke. Schon jetzt ließe sich mit dem Ladengeschäft kein Wachstum mehr erreichen. „Wir kämpfen mit den günstigeren Handelsmarken.“ Das Plus von knapp vier Prozent komme über den Online-Handel. Ein Bestseller im vergangenen Jahr waren – ziemlich überraschend – Fliegengitter. Auch in China gibt es Tesa-Produkte ab nächster Woche online. Der Flagship-Store auf dem Online-Marktplatz Alibaba wird allerdings nur für Industrieprodukte verkaufen.
Gedämpfte Aussichten für 2019
Trotz des wachsenden Produktportfolios und Investitionsplänen dämpft Tesa die Erwartungen für das laufende Geschäftsjahr. Das Unternehmen rechnet nur mit einem leicht über der Marktentwicklung liegenden Umsatzplus von drei bis vier Prozent. Auch für die Ebit-Umsatzrendite werden niedrigere Werte erwartet. Mit dem klassischen Tesa-Film hat das wenig zu tun: Der macht nur noch fünf Prozent der Erlöse aus.