Hamburg. Die Europäische Zentralbank hat die Zinswende abgesagt. So können Sparer auf die anhaltende Renditeschwäche von Festzinsanlagen reagieren.

Sparer warten vergebens auf die Zinswende. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat sie gerade abgesagt. Als Alternative zu Festgeld und deutschen Staatsanleihen mit Renditen weit unter der aktuellen Inflationsrate bleiben nur Aktien. Im vergangenen Jahr nahm die Zahl der Besitzer von Aktien oder Aktienfonds in Deutschland um 250.000 auf 10,3 Millionen Bürger zu.

Zum Tag der Aktie am heutigen Montag: Warum die Zinsen noch lange niedrig bleiben werden und wie der Einstieg in Aktien gelingen kann. Experten geben Tipps.

Warum steigen die Zinsen nicht?

„Die EZB wird länger als erwartet an ihrer lockeren Geldpolitik festhalten“, sagt Jochen Intelmann, Chefvolkswirt der Haspa. In diesem Jahr werde es keine Leitzinserhöhung mehr geben. Denn Zinserhöhungen passen nicht zur wirtschaftlichen Eintrübung. So hat die Commerzbank die Wachstumsprognose für dieses Jahr für Deutschland von 1,2 auf 0,6 Prozent halbiert. „Mittlerweile befinden wir uns in einem Graubereich zwischen einer ausgeprägten Wachstumsverlangsamung und einer Rezession. Wir erwarten deshalb, dass die EZB ihre Leitzinsen auch im kommenden Jahr nicht erhöhen wird“, sagt Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank.

Was bedeutet das für die Sparer?

Auf dem Sparbuch und dem Tagesgeldkonto gibt es bei den meisten Banken fast gar keine Zinsen mehr. Für die Anlagedauer von einem Jahr liegt die Durchschnittsverzinsung bei rund 0,18 Prozent Zinsen. Wer sein Geld fünf Jahre anlegt, bekommt 0,64 Prozent an Zinsen, wie eine Übersicht der FMH-Finanzberatung zeigt, die Bankkonditionen analysiert. Doch die aktuelle Inflationsrate in Deutschland liegt bei 1,5 Prozent. Bei unveränderter Inflationsrate hätte der Sparer bei 10.000 Euro nach fünf Jahren einen Kaufkraftverlust von 717 Euro. Dem würden im Schnitt nur 324 Euro an Zinsen gegenüberstehen. Unter dem Strich bleibt ein Verlust von knapp 400 Euro. Die deutschen Sparer haben im vergangenen Jahr knapp 40 Milliarden Euro durch niedrig verzinste Geldeinlagen verloren. Das sind 470 Euro pro Bundesbürger, stellt die Comdirect in einer Studie fest. „Das Fatale ist, dass die Sparer nicht sehen, wie ihr Erspartes an Wert verliert: Sie haben zwar mehr Geld auf ihrem Konto als vorher, aufgrund der Inflation können sie sich aber mit diesem Geld weniger leisten“, sagt Arno Walter, Vorstandsvorsitzender der Comdirect Bank.

Wie lange bleiben die Zinsen so niedrig?

„Von Zinsen müssen sich die Anleger verabschieden“, sagt Torsten Johannsen, Leiter der Vermögensanlage bei der Hamburger Otto M. Schröder Bank. Angesichts der weltweiten hohen Verschuldung „sind nachhaltig steigende Zinsen sehr unwahrscheinlich“. Die weltweite Verschuldung der privaten Haushalte, Unternehmen und Staaten liegt bei 250 Billionen Dollar. Auch Intelmann rechnet nicht damit, dass die Rendite von rund vier Prozent für zehnjährige Bundesanleihen von vor der Finanzkrise auf absehbare Zeit wieder erreichbar sind. Heute liegt die Rendite einer zehnjährigen Bundesanleihe bei 0,06 Prozent.

Welche Anlagealternativen gibt es?

„Wer eine Rendite erzielen will, kommt an der Aktie nicht vorbei“, sagt Intelmann. Für Anfänger und kleinere Beträge rät er wie auch sein Kollege Johannsen zu Investmentfonds. Wer zehn Jahre lang monatlich jeweils 100 Euro in einen Fonds mit weltweiten Aktien investierte, erzielte eine Rendite von 7,9 Prozent (s. Grafik) Aus eingezahlten 12.000 Euro wurden nach zehn Jahren rund 18.000 Euro. Aktionäre werden an den Gewinnen des Unternehmens in Form einer jährlichen Dividende beteiligt. „Wenn es an der Börse nicht so gut läuft, bleibt immer noch diese Ausschüttung“, sagt Johannsen. Doch dieses Mantra der Banken setzt sich kaum durch. Auf die Frage: „Hat sich Ihr Interesse an Aktien durch die niedrigen Zinsen erhöht?“ antworteten rund 82 Prozent der Menschen in einer repräsentativen Umfrage des Deutschen Aktieninstituts mit „Nein“. In der Hansestadt ist das Interesse größer: In Hamburg ist die Zahl der Aktionäre gegenüber dem Jahr 2015 um 47 Prozent gewachsen. 13,8 Prozent der Hamburger Haushalte besitzen Aktien und 15,4 Prozent Aktienfonds, geht aus einer Studie der Comdirect Bank hervor.

Was benötige ich für den Aktienkauf?

Ein Wertpapierdepot bei einer Bank ist notwendig. Hier sollte man von Anfang an auf die Kosten achten. Viele Direktbanken wie die ING bieten kostenlose Depots an. „Außerdem muss man sich bewusst sein, dass die Aktienanlage risikoreicher ist als ein Tagesgeldkonto“, sagt Doris Kappes von der Verbraucherzentrale Hamburg. „Das Geld, das man in Aktien investieren will, muss man übrig haben und für mehrere Jahre nicht benötigen.“ Die Verbraucherschützer raten zu einem Anlagehorizont von mindestens fünf bis zehn Jahren. Niemals sollte man sein gesamtes frei verfügbares Geld in den Aktienmarkt investieren.

Ist ein Einstieg jetzt nicht zu riskant?

Verbraucherschützer und Bankexperten sind sich hier einig: Der Zeitpunkt, zu dem mit regelmäßigem Aktiensparen begonnen wird, ist egal. „Selbst wenn die Kurse kurz nach dem Start des Sparplans einbrechen sollten, ist das keine Kata­strophe“, sagt Intelmann. „Denn für die gleiche Sparrate kauft man dann mehr Fondsanteile, von denen man bei einer künftigen Aufwärtsentwicklung wieder profitiert.“ Verbraucherschützerin Kappes sagt: „Man darf nur nicht die Nerven verlieren.“ Der richtige Zeitpunkt, um mit dem Aktiensparen zu beginnen, ist immer jetzt. Nur wer einen größeren Betrag investieren will, sollte den in mehrere Tranchen aufsplitten, rät Intelmann.

Wie kann ich regelmäßig investieren?

Die Stiftung Warentest rät zu sogenannten ETFs. Diese Exchange Traded Funds, also börsengehandelte Fonds, bilden einzelne Aktienindizes ab, etwa den Deutschen Aktienindex (DAX), den Weltaktienindex MSCI World oder den MSCI All Country World Index. „Letzterer enthält 2750 Unternehmen aus 23 Industrie- und 24 Schwellenländern“, sagt Sara Zinnecker­ vom Verbraucherportal Finanztipp. Der MSCI World Index enthält 1600 Einzelwerte, berücksichtigt die Schwellenländer aber nicht. Beide Indizes erzielten zwischen 2014 und 2018 gut acht Prozent Rendite jährlich. Schon mit einem Fondsanteil hat man anteilig sehr viele Aktien erworben und damit eine breite Risikostreuung. Die Fonds entwickeln sich so wie die Börsenindizes, die sie abbilden – in guten wie in schlechten Marktphasen. Die ETFs benötigen keinen­ Fondsmanager wie die aktiv gemanagten Fonds, weil sich die Zusammensetzung nur ändert, wenn im Index ein Wert ausgetauscht wird. Es reicht aus, den Sparplan auf einen oder zwei Fonds zu beschränken. Viele Anbieter werben mit Mindestbeträgen schon ab 25 Euro monatlich.

Welche Vorteile haben diese Fonds?

Weil sie ohne aktives Management auskommen, sind sie sehr kostengünstig. Die jährlichen Verwaltungskosten liegen in der Regel zwischen 0,20 und 0,50 Prozent. Bei aktiv gemanagten Fonds werden bis zu 1,50 Prozent fällig. Auch die Anschaffungskosten sind deutlich günstiger. Ausgabeaufschläge von bis zu fünf Prozent gibt es bei den ETFs nicht. Diese ETFs gibt es von vielen Anbietern wie Comstage, X-Trackers, iShares oder Lyxor International.

Wo bekomme ich ETF-Sparpläne?

Günstige Anbieter für solche Sparpläne sind Direktbanken wie Comdirect, Consorsbank oder ING. Bei Hamburger Filialbanken werden Kunden kaum Erfolg haben. Die Haspa bietet solche Sparpläne nicht an. Wer also persönliche Beratung für seinen ETF-Sparplan möchte, hat es schwer und muss auf andere Investmentfonds ausweichen.

Welche Risiken birgt die Anlageform?

Viele fürchten sich vor dem Auf und Ab der Kurse. Gegen übergroße Nervosität hilft, das Depot nicht täglich zu verfolgen. Bei Investmentfonds sind die täglichen Veränderungen des Anteilspreises in der Regel ohnehin gering, selbst wenn eine Aktie in dem Fonds zweistellig abstürzt. Aber vor größeren Krisen sind auch die Fonds nicht sicher. Nach der Finanzkrise stürzte auch der MSCI All Country World Index um 60 Prozent ab, der DAX um 70 Prozent. Doch je jünger man ist, desto unbesorgter kann man mit einem solchen Sparplan starten.