Hamburg. Fast 70 Jahre lang war der Wälzer ein Schaufenster in die bunte Warenwelt. Nun endet ein Stück Wirtschaftsgeschichte.
656 Seiten. Der Otto-Katalog Frühjahr/Sommer 2019 ist noch einmal so dick, dass er kaum durch den Briefkastenschlitz passt. Mode und Technik, Sportartikel, Heimtextilien, Waschmaschinen, Spielsachen – seit fast 70 Jahren gibt es das Guckloch in die Vielfalt der Warenwelt frei Haus. Am Donnerstag ist die letzte Charge des Konsumwälzers in Millionenauflage in der Nürnberger Prinovis-Druckerei über die Maschinen gelaufen .
Damit endet eine Ära. Otto, inzwischen vom Versandhändler zum E-Commerce-Unternehmen gewandelt, stellt den Hauptkatalog ein. Am 4. Dezember wird er zum letzten Mal ausgeliefert.
„Unsere Kunden haben den Katalog selbst abgeschafft, weil sie ihn immer weniger nutzen und längst auf unsere digitalen Angebote zugreifen“, wird der Chef der Einzelgesellschaft Otto, Marc Opelt, nicht müde zu beteuern, seitdem die Hamburger im Juli das Aus für ihr einstige Identifikationsobjekt angekündigt haben. Inzwischen bestellen 97 Prozent der knapp sieben Millionen Otto-Kunden über das Internet. Auch ältere Menschen, so Otto-Chef Opelt, würden heute ganz selbstverständlich online shoppen. Zudem verspricht das Unternehmen weiterhin die Aussendung von Spezial- und Trendkatalogen. Wer keinen Internetzugang habe, könne zudem telefonisch bestellen.
Mehr als nur ein Vertriebsinstrument
Schon immer waren die Kataloge der Versandhändler – außer Otto gab es Neckermann und Quelle – mehr als nur ein Vertriebsinstrument. Von Frauen in bunten Kittelschürzen, über Herren Pfeife oder Zigarette bis zur neusten Waschmaschinengeneration – Otto fand es gut und hatte im Angebot, was die Massen wollten. Mit dem Aus für den Katalog ende auch ein Stück deutscher Wirtschaftsgeschichte, sagt Handelsexperte Jörg Funder von der Hochschule Worms. Auch der Professor ist mit dem Katalog aufwachsen.
Schon seit einigen Jahren ist das imposante Druckwerk nur noch ein Zusatzprodukt für den Konzern mit drei Milliarden Euro Jahresumsatz. Katalogmacher wie Bettina Musiol, die mit ihrem Team zuletzt für die Printproduktion zuständig war, verarbeiteten die vorhandenen Fotos für den Online-Shop. Über das letzte Katalogcover haben sich die Konzernlenker nochmal viele Gesdanken gemacht. „Ich bin dann mal App“, wird dem Titelmodel per Sprechblase in den Mund gelegt.