Hamburg. Vor 25 Jahren wurde das Flugzeug an die Lufthansa übergeben. Es war eine Premiere für den neuen Endmontage-Standort.

Die große Ehre gebührt Hélène Mehdorn. In dunklem Blazer und Rock steht die Frau des DASA-Vorstands Hartmut Mehdorn auf dem Podest einer mobilen, geschmückten Metalltreppe und steigt dort zusätzlich einen dreistufigen Tritt hinauf. Dann hat sie genug an Höhe gewonnen. Sie nimmt eine Champagnerflasche in beide Hände, dreht sie um und gießt den Inhalt von oben auf die Nase des Täuflings – eines Flugzeugs, das fortan den Namen „Finkenwerder“ trägt. „Das ist ein aufregender Tag, ein wahrhaft europäisches Ereignis“, sagt Gustav Humbert, der Chef der Deutschen Aerospace Airbus GmbH. Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt (FDP) spricht von „einer Vision, die Wirklichkeit geworden ist“.

Diese Szenen und Statements haben sich an jenem Sonntag vor 25 Jahren im heutigen Airbus-Werk an der Elbe abgespielt – und sind für den Flugzeugbau hierzulande historisch. Die „Finkenwerder“ ist der erste Airbus made in Hamburg, der an eine Fluglinie ausgeliefert wurde. Die Weichen dafür, dass erstmals in der Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg große Verkehrsflugzeuge gebaut werden, sind aber bereits ein Jahrzehnt zuvor gestellt worden.

Lufthansa-Chef Jürgen Weber (v. l.), Wirtschaftsminister Rexrodt, Airbus-Aufsichtsratschef Hans Friderichs,
Lufthansa-Chef Jürgen Weber (v. l.), Wirtschaftsminister Rexrodt, Airbus-Aufsichtsratschef Hans Friderichs, © action press | NERO

Im März 1984 wird der Start des A320-Programms beschlossen. Die Europäer fordern mit dem Kurz- und Mittelstreckenflugzeug den US-Konkurrenten Boeing mit seiner 737 heraus – und auch die Piloten. Denn die Lenkung gilt als Revolution. Statt der bis dato üblichen Steuersäule fliegt der Kapitän die Maschine mit einer Art Joystick. Die Steuerbefehle werden nicht mehr über Seile und Stangen an die Ruder übertragen, sondern als elektrische Signale.

Das größte Bauteil stammt aus Hamburg

Knapp drei Jahre später erfolgt der Jungfernflug des A320. Das Werk auf Finkenwerder war von Anfang an am Bau aller Maschinen beteiligt. Mit dem Rumpfheck stammt das größte Bauteil aus Hamburg, auch eine weitere Rumpfsektion kommt von hier, das Seitenleitwerk aus Stade. Erst per Schiff, später per Transportflugzeug Super Guppy werden sie zur Endmontage nach Toulouse transportiert. Im Gegenzug kommen die fertigen Maschinen seit 1976 leer aus Südfrankreich zurück an die Elbe, damit die vom Kunden gewünschte Innenausstattung in der Hansestadt eingebaut wird.

Ein Aufsichtsratsbeschluss ändert etwas an dieser Aufgabenverteilung. Im März 1990 beschließt das Gremium, dass Hamburg die Endmontagelinie für den A321 erhalten soll. Dabei handelt es sich um eine rund sieben Meter längere Version des A320. Im Gegenzug erfolgt der Kabineneinbau bei den Langstreckenmaschinen A330/A340 künftig in Toulouse. In dem paneuropäischen Konzern kämpfte jedes Land um seine Produktionsanteile – das ist bis heute so.

Produktionszeit sank von neun Monaten auf sechs Wochen

Der Startschuss für die ersten Arbeiten an einem A321 fällt am 15. Juni 1992 – wie es Tradition in der Branche ist, verbleibt das erste Exemplar als Prototyp lange beim Hersteller. Airbus verkauft erst 1998 den Jungfernflieger an die türkische Fluglinie Onur Air, für die er seitdem mit Unterbrechungen fliegt. Bei dessen Bau wagt das Unternehmen ein Novum mit der integrierten Endlinie. Während draußen am Jet die einzelnen Segmente zusammenmontiert werden, schreitet innen der Ausbau der Kabine voran – es wird also parallel gearbeitet.

Die Grundzüge des A321 sind in den vergangenen gut zweieinhalb Jahrzehnten gleich geblieben – doch im Detail gibt es zahlreiche Veränderungen. Der größte Unterschied liegt in der Arbeitszeit. Beim ersten A321 vergingen vom ersten Handgriff bis zum Jungfernflug neun Monate. Heute wird eine Maschine in sechs Wochen zusammengebaut. Dauerte die Lackierung früher mehr als 2000 Stunden, sind es nun 700. Die Sitze wurden einst mit bloßer Menschenkraft ins Flugzeug getragen, heute werden sie auf Rollwagen befördert. Die Toiletten stellte Airbus früher selber her, heute kommen sie vom Zulieferer Diehl.

Blick in die Kabine vor der Erstauslieferung des A321.
Blick in die Kabine vor der Erstauslieferung des A321. © action press | NERO

Im Jahr 1992, beim Start der Endmontagelinie, schrieb das Abendblatt auf der Titelseite, es sollen 500 Stellen insbesondere bei Zulieferern entstehen. Airbus stellte damals seine Mitarbeiter für den A321 auf Zeit aus anderen Bereichen ab, mittlerweile sind allein im A320-Programm nach früheren Angaben rund 2000 Personen tätig. Insgesamt sind es rund 12.700 beim Flugzeugbauer. Die Metropolregion gilt mit mehr als 40.000 Beschäftigten nach Everett (US-Bundesstaat Washington) und Toulouse als die globale Nummer drei unter den zivilen Luftfahrtstandorten.

Der Aufstieg hängt eng mit dem Erfolg der A320-Familie zusammen. Beim Programmstart wurde mit 600 Bestellungen kalkuliert. Ende des Jahres 2018 waren 8561 Stück ausgeliefert. Alle zwei Sekunden startet oder landet eines dieser Flugzeuge auf der Welt. Und mehr als 6000 Maschinen stehen noch in den Auftragsbüchern. Den Verkauf kurbelte zuletzt die neo-Version an. Dank neuer Triebwerke soll der Treibstoffverbrauch um etwa 15 Prozent sinken. Dazu trägt auch eine optische Veränderung bei. Die Flieger erhalten nach oben gebogene Flügelspitzen (Sharklets).

Die „Finkenwerder“ machte bereits 44.354 Flüge

Obwohl es schon fast 30 Jahre alt ist, ruhen selbst für die Zukunft große Hoffnungen auf dem Flugzeug, als A321LR. Die Long-Range(LR)-Version hat drei Zusatztanks an Bord. Die Reichweite steigt damit von 6000 auf 7400 Kilometer. Das ermöglicht dem relativ kleinen Flugzeug den Sprung auf die Langstrecke. Bis zu 240 Passagiere kann es fassen. So könnten sich für Airlines beispielsweise Direktverbindungen von Hamburg nach New York lohnen, die mit größeren Flugzeugen nicht hoch genug ausgelastet werden. „Durch die Kombination aus Reichweite, Kapazität und Betriebskosten ist der A321LR eine kleine Revolution“, sagt der Hamburger Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt. Aber auch in der alten Konfiguration ist die „Finkenwerder“ ein Dauerbrenner. Nach wie vor gehört sie zur Flotte der Lufthansa, stationiert ist sie derzeit in München. In ihren 25 Lebensjahren absolvierte sie 44.354 Flüge und war 58.406 Stunden in der Luft. Hamburg fliegt sie regelmäßig an. Wann zum nächsten Mal, ist aber noch offen. Eins ist jedoch klar: Das Ziel ist dann Fuhlsbüttel, nicht Finkenwerder. Und Champagner gibt es wohl höchstens an Bord.