Hamburg. Niedriger Zuckergehalt darf bleiben. Gesundheitsbehörde versucht, PR-Desaster zu begrenzen. “Ein Stück aus dem Tollhaus.“
Der Zuckerschock ist kaum vergangen, da machen die Hamburger Behörden eine 180-Grad-Drehung: Die Hamburger Firma – darf man sagen: Limonadenhersteller? – Lemonaid muss vorerst keine Strafen und das Produktionsende ihres Bestsellers Lemonaid fürchten. Wie die Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz am Donnerstag mitteilte, werde der zu geringe Zuckergehalt in dem Getränk doch nicht beanstandet.
Wie unter anderem das Abendblatt berichtete, hat das Bezirksamt Mitte die Firma aufgefordert, ihre Limonade nicht mehr Limonade zu nennen, weil der Zuckergehalt für eine Limonade zu gering war – eine Posse in Zeiten, da die Zuckergehalte von Lebensmitteln aus gesundheitlichen Gründen auf dem Prüfstand stehen.
Nun heißt es: "Das Bezirksamt Hamburg-Mitte wird in Absprache mit der Gesundheitsbehörde den ,zu niedrigen Zuckergehalt' im Produkt Lemonaid vorerst nicht beanstanden. Gleichzeitig wird sich Hamburgs Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks auf Bundesebene dafür einsetzen, dass die Leitsätze für Lebensmittel hinsichtlich möglicher gesundheitsschädlicher Mindestgehalte überprüft werden."
So reagiert Lemonaid
Lemonaid-Geschäftsführer Felix Langguth reagierte erleichtert auf die Wendung. "Uns ging es einerseits darum, dass Lemonaid sich weiter Limonade nennen kann", sagte er dem Abendblatt. "Aber wir wollten auch auf die Absurdität der Anweisung der Verbraucherschützer aufmerksam zu machen“.
Man frage sich, wovor der Verbraucher geschützt werden soll. Am Vortag hatte Co-Geschäftsführer Paul Bethke den Vorgang als "grotesk" bezeichnet. Lemonaid hat inzwischen selbst eine Überprüfung der Leitlinien beantragt. "Wir werden jetzt genau beobachten, ob sie tatsächlich geändert werden."
"Ein Stück aus dem Tollhaus"
Da hat offenbar eine Behörde die andere zurückgepfiffen. Dass die Kontrolleure des Bezirksamtes natürlich im Hamburger Auftrag unterwegs sind, wird in der Mitteilung verschwiegen. Das PR-Desaster war zu groß geworden. Auch bundesweit wurde über die anfängliche Behörden-Entscheidung mit Spott berichtet.
Die beanstandete Limo von Lemonaid hat offenbar nur sechs statt wie für Limonade vorgesehen sieben Gewichtsprozent Zuckeranteil. Der Bezirk Mitte habe sich, so die Gesundheitsbehörde am Donnerstag, am Deutschen Lebensmittelbuch orientiert. Es enthalte "Bezeichnungen und Verarbeitungsverfahren, die heute teilweise nicht mehr den Verbrauchererwartungen entsprechen".
Lemonaids Sorte Limette enthält nur sechs Prozent Zucker, Maracuja nur fünf Prozent. Der Bezirk hatte die Firma angewiesen, entweder die Beschreibung zu ändern oder mehr Zucker in das Getränk zu gießen.
Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks sagte: „Der aktuelle Fall zeigt: Die Leitsätze für Erfrischungsgetränke sind in manchen Bereichen nicht nachvollziehbar und konterkarieren unsere Strategie zur Zuckervermeidung sowie zur gesundheitsbewussten Ernährung. Es ist ein Stück aus dem Tollhaus, dass Leitsätze der Kommission für Lebensmittel zwar den Begriff Limonade schützen wollen, dadurch aber gleichzeitig der Reduzierung von Zucker entgegenwirken."
Diabetes Gesellschaft kritisiert Ministerin Klöckner
Sie werde sich bei Bundesernährungsministerin Julia Klöckner (CDU) für eine "Überprüfung auf Sinnhaftigkeit der Lebensmittel-Leitsätze" einsetzen.
Die Deutsche Diabetes Gesellschaft kritisiert den jüngsten Ernährungsreport 2019 von Klöckner ebenfalls. Geschäftsführerin Barbara Bitzer sagte: „Der Report enthält eine klare Handlungsaufforderung an die Ernährungsministerin: 91 Prozent der Befragten wollen, dass Lebensmittel gesund sind. Doch zurzeit ist in Deutschland das Gegenteil Realität: Viele Fertiglebensmittel sind zu süß, zu fett, zu salzig. Daran wird auch die Nationale Reduktionsstrategie von Frau Klöckner nicht viel ändern, denn die darin bisher vereinbarten Ziele sind viel zu gering – und sie sind nur freiwillig."
Die Gesellschaft fordert, dass die Mehrwertsteuer auf Obst und Gemüse abgeschafft wird. Gleichzeitig sollten ungesunde Lebensmittel stärker besteuert werden.