Hamburg. Die Verbraucherzentrale Hamburg kritisiert verdeckte Preiserhöhungen. Die Kunden dürfen nun den Trickser des Jahres wählen.

Für viele Menschen ist es ein großes Ärgernis. Sie gehen in den Supermarkt, packen ihr Lieblingsprodukt in den Einkaufswagen, bezahlen den gewohnten Preis und tragen die Ware nach Hause. Beim genauen Blick auf die Packung oder dem Öffnen fällt dann auf: Die Füllmenge ist deutlich kleiner als früher. Von außen zu sehen ist das nicht. Oder die Kunden kaufen ein neues Produkt und stellen fest, dass in der Packung unheimlich viel Luft ist. Sie hatten mit mehr Inhalt gerechnet. Fast 2000 solcher Beschwerden hat die Verbraucherzentrale Hamburg (vzhh) im vergangenen Jahr erhalten. „In den Vorjahren waren es 1000 bis 1500. Es werden immer mehr“, sagt Verbraucherschützer Armin Valet.

Mogelpackung des Jahres: Armin Valet zeigt die Produkte, die zur Wahl stehen
Mogelpackung des Jahres: Armin Valet zeigt die Produkte, die zur Wahl stehen © ANDREAS LAIBLE | ANDREAS LAIBLE

Seit 2005 deckt der 52-Jährige Valet (Foto) als eine Art Lebensmitteldetektiv solche Tricksereien auf. Nun ruft er zum fünften Mal zur Wahl der „Mogelpackung des Jahres“ auf. Bis zum 20. Januar können Verbraucher unter umfrage.vzhh.de wählen, welche Firma mit dem Negativpreis ausgezeichnet wird. „Zusätzliche Hinweise auf geringere Füllmengen finden Verbraucher praktisch nie auf den Etiketten“, sagt Valet. Meist sei das Gegenteil der Fall. „Die Hersteller versuchen, ihre Tricksereien clever zu kaschieren.“ Auf einer Shortlist nominierte die Verbraucherzentrale ihre fünf Favoriten für die „Mogelpackung 2018“. Das Abendblatt stellt sie vor und dokumentiert die Begründungen der vzhh:

Chipsletten von Lorenz Snack-World: Der Hersteller senkte die Füllmenge drastisch. Statt 170 Gramm sind nur noch 100 Gramm drin. Der Preis sei mit 1,59 Euro zum Beispiel bei Kaufland gleich geblieben. Dadurch verteuerten sich Chipsletten um bis zu 70 Prozent. Andere Händler wie Rewe verlangten zwar nur noch 1,39 Euro – aber auch das bedeute eine versteckte Preiserhöhung von knapp 50 Prozent. Während der Inhalt sich nahezu halbierte, schrumpfte die Größe der Packung nur leicht. Statt 22 Zentimeter Höhe beträgt sie nun 20,5 Zentimeter. Dennoch sieht die Packung beim Öffnen relativ voll aus – wie schafft Lorenz das? Valet und sein Team zogen eine Waage zu Rate. Ergebnis: Die einzelnen Chipsletten sind deutlich leichter geworden. Sie wiegen nun gut 1,6 statt zuvor gut zwei Gramm.

In einer Stellungnahme verweist das Unternehmen – das in der Vergangenheit schon mehrfach bei seinen Marken Crunchips, Saltletts Brezeln, Natu­rals Chips und Erdnusslocken durch versteckte Preiserhöhungen auffiel – auf eine veränderte Rezeptur und ein überarbeitetes Herstellungsverfahren. „Die neuen Chipsletten sind kleiner, mundgerechter und haben eine knusprigere Textur“, so Lorenz. Daher böten sie ein „neues Geschmackserlebnis“. Mit „Hot & Spicy“ und „Sea Salt“ gebe es neue Sorten. Und die unverbindliche Preisempfehlung sei vom Unternehmen geändert worden – wie hoch sie ist, blieb offen. Profitieren davon dürften in Form von höheren Margen neben dem Hersteller die Discounter und die Supermärkte. Auch die Händler beteiligten sich an den Tricksereien, „denn nur sie dürfen die Verkaufspreise festlegen“, sagt Valet.

Lorenz verweist zudem auf ein neues Verpackungskonzept. Statt einer Wickeldose, aus der man die Chips zum Knabbern herausschütten musste, werde jetzt ein sogenanntes Servier-Tray genutzt. In diesem seien „die Chips gut sortiert angerichtet und können so leichter serviert“ werden. Die einzelnen Materialien wie Pappe, Frische-Folie und Kunststoff-Tray könnten besser als die Verbundstoff-Wickeldose recycelt werden. Die vzhh sieht aber vor allem einen Anstieg des Verpackungsmülls, und zwar um 25 Prozent.


Smarties von Nestlé: Der Inhalt der Riesenrolle von Smarties ist nicht mehr so riesig wie zuvor. Statt 150 Gramm sind noch 130 Gramm drin. Die Papprolle wirkt aber nur unwesentlich kleiner. Bei gleichem Preis seien die Schokolinsen um mehr als 15 Prozent teurer geworden. Valet stieg in sein Archiv mit Mogelpackungen und stellte fest: Es war der zweite Streich von Nestlé. 2014 senkte der Hersteller bereits schon mal die Füllmenge um 20 Gramm. Der Preis sei zum Beispiel bei Rossmann mit 1,59 Euro seitdem stabil geblieben – macht unterm Strich eine Verteuerung um 31 Prozent. Nestlé reagierte und antwortete: „Das Werk, das die in Deutschland erhältliche Smarties Riesenrolle produziert, stellt diese auch für andere Länder her.“ Daher setze man auf eine einheitliche Verpackung. Für Valet ein bekannter Trick: „Diese Ausrede hören wir häufiger von Herstellern. Doch die ,Vereinheitlichung‘ hält viele Anbieter nicht davon ab, kurze Zeit später die Füllmenge wieder zu verändern.“


Mini Babybel von Bel: Die verschieden großen Netze von Mini Babybel enthalten seit Juli eine Käsekugel weniger. Beispielsweise sind in Supermärkten nur noch fünf (100 Gramm) statt sechs (120 Gramm) Käselaibchen drin. Doch der Preis lag in mehreren Hamburger Edeka-Filialen meist weiterhin bei 1,89 Euro oder 1,99 Euro. Das entspricht einer versteckten Preiserhöhung von 20 Prozent. Bei Discountern wie Netto oder Penny schrumpfte die Stückzahl von sieben auf sechs. Teilweise sank zwar der Preis um zehn Cent, unterm Strich blieb dann aber immer noch eine Verteuerung um zehn Prozent.

Bel verweist in seiner Stellungnahme darauf, dass die Stückzahl „auf der Verpackung transparent ausgewiesen und zudem durch das Netz gut erkennbar“ sei. Für die Verbraucherschützer bleibt die Füllmengenreduzierung hingegen in der Regel unerkannt. Zwar ist das Netz durchsichtig, doch der Käufer werde die Stücke kaum zählen. Bel fügt zudem höhere Produktionskosten an, weil man seit Juli ausschließlich nach dem „Ohne Gentechnik“-Siegel arbeite. Allerdings verzichte man „seit jeher vollständig auf den Einsatz von Gentechnik bei der Herstellung von Mini Babybel“, so das Unternehmen. Laut Agrarmarkt Informationsgesellschaft bekommen Bauern für gentechnikfreie Milch ohnehin nur ein Cent mehr pro Kilo als für konventionelle Milch.


Truthahnsalami Light von Dulano: Lidl verkaufte unter seiner Eigenmarke Dulano eine herkömmliche Truthahnsalami und eine Truthahnsalami Light 1A. Bei der Light-Variante wird mittels eines Sternchens auf der Rückseite erklärt, „light, da mindestens 30 % weniger Fett als in herkömmlicher Salami“. Paradoxerweise verwendet der Hersteller H. Kempter für die Light-Variante jedoch mehr Fett als für seine herkömmliche Truthahnsalami: 20 statt 18 Gramm auf 100 Gramm Wurst. Die Kalorienzahl lag mit 269 zu 251 ebenfalls höher. „Light-Produkte sind noch immer beliebt bei vielen Verbrauchern, und das machte sich Lidl zunutze“, sagt Valet. Die Light-Packung enthielt für 1,19 Euro nur 100 Gramm, die klassische Truthahnsalami kostete 1,79 Euro bei doppelt so viel Inhalt. Das Light-Produkt kostet somit 33 Prozent mehr.

Kempter antwortete, dass die Light-Salami so beworben werden dürfe, weil sie mehr als 30 Prozent weniger Fett als eine normale Salami – die meist aus fetthaltigerem Schweinefleisch besteht – enthalte. Das stimmt, weil dieser bei 34 Prozent liegt. Für die Kunden sei das wohl aber kaum ersichtlich, wenn beide Wurstsorten im Kühlregal nebeneinander liegen, findet Valet. Offenbar hat Lidl verstanden. In einer Stellungnahme teilte der Discounter mit, dass „wir vorsorglich die aktuelle Ausstattung ,Dulano Truthahnsalami‘ auf ,Dulano Light Truthahnsalami‘ umstellen“.


Obstwiese Rheinisches Apfelkraut von Grafschafter: Die Grafschafter Krautfabrik überarbeitete ihren Fruchtaufstrich. Aus Apfelschmaus wurde bei unveränderter Rezeptur Obstwiese. Ins neue Glas passen statt zuvor 450 nur 320 Gramm. Der Preis von 1,89 Euro blieb bei vielen Händlern unverändert. Die versteckte Preiserhöhung liegt damit bei mehr als 40 Prozent. Der Hersteller teilte in einer Stellungnahme mit, dass sich der Bedarf „mehrheitlich zugunsten kleinerer Verbrauchseinheiten entwickelt“. Deshalb habe die Verpackungsgröße umgestellt werden müssen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Im Zuge der Überarbeitung sei auch der Name geändert worden. Valet sagt: „Ich finde, dann hätte man die Verbraucher auch gleich über die geringere Füllmenge informieren müssen.“