Hamburg. Koriander, Minze und Petersilie frisch geerntet in Läden von Marktkauf und Edeka. Start-up Infarm testet neue Geschäftsidee.

Bei dieser Ernte bekommt man keine dreckigen Finger. Rolf Kienzler steht auf einer Leiter vor der Glasvitrine. Vorsichtig nimmt er eine Basilikumpflanze nach der anderen heraus und legt sie in einen Erntekasten. Dann wickelt er die langen Wurzeln auf, befestigt sie mit einer Klammer, steckt sie in eine braune Papiertüte und schließlich ins Verkaufsregal. Frischer geht es nicht. „Wir bringen die Kräuter zu den Kunden“, sagt der Gärtner, der für das Start-up Infarm arbeitet. Das Besondere: Die Pflanzen werden direkt im Supermarkt angebaut. Hinter großen Fensterscheiben kann man zusehen, wie sie in Mini-Gewächshäusern auf vier Etagen übereinander mitten in der Obst- und Gemüseabteilung wachsen.

Drei Wochen dauert es, bis die zarten Pflanzen ausgewachsen sind. Im Wilhelmsburger Marktkauf erntet Kienzler, der sich Stadtgärtner nennt, an diesem Tag zum ersten Mal. Griechisches Basilikum, Bergkoriander, Minze, Petersilie, Dill und rotes Bordeaux-Basilikum. Der Supermarkt gehört zu den Pionieren, die den Anbau in Hamburg testen. Statt in Erde stehen die Setzlinge in einer Nährstofflösung, werden nach einem ausgeklügelten Verfahren mit Licht, Wärme und Wasser versorgt. Chemikalien werden nicht eingesetzt. Das Wachstum wird über Sensoren von der Berliner Infarm-Zentrale aus überwacht. Jeden Monat sollen 1300 Kräuter in den beiden Minifarmen mit einer Bodenfläche von je zwei Quadratmetern im Monat gedeihen – und direkt ohne Transportwege verkauft werden. „Die Neugierde bei den Kunden ist groß“, sagt Marktleiter Marcel Besang.

Alternatives Versorgungskonzept?

Ein alternatives Versorgungskonzept für eine wachsende Weltbevölkerung oder nur eine Marketing-Masche für Großstädter? Bislang sind die Ideen urbaner Landwirtschaft mit Mini-Gewächshäusern, in denen Kräuter, Salat und bald auch Pilze und anderes Gemüse wachsen sollen, noch eine sehr kleine Nische, Prognosen zufolge aber mit erheblichem Wachstumspotenzial. Infarm gehört ähnlich wie das Hamburger Start-up Farmers Cut zu den Treibern der Branche. „In Berlin bewirtschaften wir 120 Mini-Farmen und ein Großgewächshaus, weil die Nachfrage so groß ist“, sagt Jakob Peter, Infarm-Vertriebsleiter für Norddeutschland. Es gibt Expansionspläne für ganz Deutschland.

Vor einigen Monaten hat der Lebensmittelhändler Edeka in der Region Minden-Hannover ein Pilotprojekt gestartet. In Hamburg und Umgebung stehen die Mikro-Gärten in Edeka- und Marktkauf-Märkten in der HafenCity, Norderstedt, Bergedorf, Buxtehude, Prisdorf und Wilhelmsburg. „Im nächsten Jahr wollen wir das weiter ausbauen“, sagt Tadeusz Chmielewski, Marktkauf-Fachberater für Obst und Gemüse. Zu den Vorzügen zählt er auch den deutlich geringeren Energie- und Wasserverbrauch im Vergleich zur konventionellen Landwirtschaft.

Ob die Hamburger die artifiziell gezogenen Kräuter annehmen, muss sich zeigen. Zweimal in der Woche kommt Infarm-Gärtner Kienzler in den Wilhelmsburger Supermarkt zum Pflanzen und Ernten. Die Wachstumszyklen sind so abgestimmt, dass jedes Mal je 20 Stück von jeder Kräuterart in das bewässerte Verkaufsregal kommen. Die Preise sind mit 1,29 Euro ähnlich wie bei herkömmlichen Kräutern. „Aber unsere können die Kunden direkt essen oder zum Kochen verwenden“, sagt Rolf Kienzler. Waschen ist nicht notwendig.