Kayhude. Hamburger Start-up setzt sich in der Vox-Sendung für nachhaltigen Fleischkonsum ein, bekommt ein Angebot – und lehnt ab.
Rotes Backsteinhaus, weiße Fenster. Wer durch die Eingangstür tritt, steht vor einem Tresen mit Blumen. Dahinter beleuchten Lampen die Holzregale mit den Waren. Es ist ein Dorfladen, wie man ihn sich wohl malen würde. Im nächsten Raum laden Kaffeemaschine, Esstisch mit Stühlen und Sessel zum Verweilen ein, das Büro ist abgetrennt durch eine Holzwand. Ab und an kommt an diesem Vormittag ein Kunde ins Geschäft an der B 432 in Kayhude, knapp zehn Kilometer nördlich von Hamburg. Noch herrscht Ruhe vor dem Sturm. Von heute an dürfte es turbulenter zugehen beim Start-up Ein Stück Land.
Vom Esstisch fällt der Blick auf den benachbarten Lagerraum. Kühlbeutel und Strohisolierungen mit einem kompostierbaren Mantel aus Stärke liegen bereit, Hunderte Kartons stapeln sich. Lina Kypke und Hinrich Carstensen haben alles vorbereitet für eine Bestellflut, von der sie nicht wissen, ob sie überhaupt kommt. Am Dienstagabend trat das Pärchen in „Die Höhle der Löwen“ auf, normalerweise laufen danach die Server heiß und gehen zig Bestellungen im Sekundentakt ein – dabei ist ihr Geschäftsmodell gar nicht auf hohe Mengen und schnellen Konsum ausgelegt.
Ihr Fokus lag auf Nachhaltigkeit
Die Gründungsgeschichte ihres Unternehmens begann vor zwei Jahren unterm Tannenbaum. „Weihnachten hatten wir die Idee, und Anfang Januar haben wir die GmbH gegründet“, sagt der 32-Jährige. Eine maßgebliche Rolle spielt sein Vater Christoph. Der Senior züchtet in Eutin zusammen mit Freunden seit Jahrzehnten nebenberuflich Galloways und fragte den Junior, ob er nicht eins der 70 Rinder vermarkten wolle. Der Filius zögerte, weil er das für viel Arbeit hielt und er nicht über Märkte in der Hansestadt tingeln wollte. Letztlich ließ der Gedanke das Winterhuder Pärchen aber nicht mehr los.
Im Vergleich zum reinen Fleischverkauf wollten sie aber einiges ändern. Ihr Fokus lag auf Nachhaltigkeit. Das Galloway sollte erst geschlachtet werden, wenn alle Teile des Tieres einen Abnehmer gefunden hatten. Daher kann man sich bei Ein Stück Land auch nicht die „Rosinen“ rauspicken. Nur vier Kilo Filet bestellen? Geht nicht. Es gibt zwei jeweils rund 6,5 Kilogramm schwere Pakete. Darin befinden sich immer Hackfleisch, Gulasch, Rouladen, Braten, Rumpsteak, Bratwurst und Rinderfond. In der Variante „Hinrich“ liegen 300 Gramm Hüftsteak bei, in der Variante „Lina“ sind es 300 Gramm Filet. „Hinrich“ kostet 175 Euro, „Lina“ zehn Euro mehr. Die Kunden zahlen per Vorkasse.
Mittlerweile kooperiert das Start-up mit sechs Bauern
Nach ihrer Firmengründung schrieben Kypke und Carstensen zig Briefe an Hofbesitzer in Schleswig-Holstein – und holten sich so manche blutige Nase. „Viele Landwirte haben offenbar prinzipiell keinen Bock auf Leute aus der Stadt“, sagt die 28-Jährige. Beide sind Quereinsteiger. Sie ist gelernte Krankenschwester, begann danach ein Jurastudium, das derzeit allerdings ruht. Carstensen ist Bauingenieur und war häufig zwei Wochen am Stück auf See, um Offshore-Windräder aufzubauen. Er übt seinen gelernten Beruf nun in Teilzeit aus, sie kümmert sich in Vollzeit um das junge Unternehmen.
Bevor sie mit den Bauern eine Geschäftsbeziehung eingehen, besuchen sie jeden Hof und Bauern. „Wir bezahlen den Bauern fast doppelt so viel wie der Schlachthof“, sagt Carstensen. Und Kypke ergänzt: „Unser Konzept ist nachhaltig und fair – und daher einfach gut.“ Wichtig ist ihnen die artgerechte Haltung der Rinder. Diese stünden das ganze Jahr über auf der Weide und fräßen im Sommer nur Gras, im Winter werde mit Heu, Stroh und Rübenschnitzel zugefüttert. Die Galloways werden ausschließlich mit natürlichen Produkten ernährt, heißt es. Eine Bio-Zertifizierung liegt allerdings nicht vor. Diese sei insbesondere für kleine Höfe und Hobbybauern zu teuer. Für sie stehe der respektvolle Umgang der Landwirte mit den Tieren, sagen die Gründer.
Stress für die Galloways soll möglichst gering sein
Damit der Stress für die Galloways in deren letzten Lebensstunden möglichst gering ist, sollen sie einen kurzen Transportweg zum Schlachter haben. Alle Rinder werden in Kalübbe (Kreis Plön) geschlachtet. Die Höfe, auf denen sie aufwachsen, sollen maximal eine Stunde entfernt davon liegen. Auf das Treiben der Tiere werde verzichtet. Nach ihrem Tod werden die Tiere halbiert oder geviertelt, das Fleisch hängt rund zwei Wochen ab, ehe es zerlegt und vakuumiert wird. Zweieinhalb bis vier Wochen nachdem ein Galloway im Internetshop komplett verkauft wurde, werden die Pakete gepackt. In den Karton mit Strohisolierung kommt als Unterstes immer das schockgefrorene Hackfleisch. Darüber wird ein Trockeneisbeutel gelegt. Das Frischfleisch packen Kypke und ihre Helferinnen darüber, dann platzieren sie den Kühlbeutel und schließen den Deckel. „Das Paket kommt immer an einem Freitag an“, sagt Kypke. In der Tiefkühltruhe sei das Fleisch ein Jahr haltbar.
Im August 2017 eröffneten sie ihren Onlineshop. „Innerhalb von einer Minute waren wir ausverkauft“, sagt Carstensen. Bei Kunden, die leer ausgegangen waren, kam das nicht gut an. Doch als die Gründer ihnen erklärten, dass ein Rind erst komplett verkauft sein müsste, ehe es geschlachtet wird, hätten viele mit Verständnis reagiert. Erst nach einer Woche konnten die nächsten Rinderpakete geordert werden. „Die Leute haben sich den Wecker gestellt“, sagt Carstensen, damit sie den Verkaufsstart nicht verpassen. 1800 Kunden hatte Ein Stück Land bisher, 140.000 Euro Umsatz wurden im ersten Geschäftsjahr erzielt. Der Gewinn pro Fleischpaket liege bei etwa 50 Euro.
Im Frühjahr gab es eine unverhoffte Chance
„Wir hatten eine Anfrage von ,Die Höhle der Löwen‘“, sagt Carstensen. Sie schickten ein Video ein, das sie ohnehin schon gedreht hatten. Vier Tage später standen sie in Köln vor laufenden Kameras und pitchten um einen Deal. „Als die Tür aufging, dachte ich, Hinrich kippt gleich um“, sagt Kypke. Dabei sei er sonst immer der Coole. Die beiden Hamburger wollten 200.000 Euro und boten im Gegenzug zehn Prozent ihrer Anteile. Die Investoren lobten den Auftritt des Paares und die Qualität der gereichten Salami, stuften die Bewertung aber als zu hoch ein. Als Letzter im Rennen war Georg Kofler. Er forderte für 200.000 Euro 35 Prozent der Anteile. „Das war für uns keine Verhandlungsgrundlage“, sagt Carstensen. Das Paar lehnte die Offerte ab.
Seit der Aufzeichnung hat das Duo vor allem den Onlineshop mithilfe einer Agentur aus eigenen Mitteln professionalisiert. In den nächsten Monaten sollen vor allem die Automatismen in der Firma verbessert werden. Eine Ausweitung des Geschäftsmodells auf andere Bundesländer als Franchisesystem wird angestrebt. Eventuell sei auch der Verkauf von ganzen Schweinen geplant.
Ein Stück Land könnte bald auch ganze Schweine anbieten
Für den erwarteten Ansturm nach der Löwenhöhle wurde ausnahmsweise vorproduziert. Aus einem Rind können übrigens 26 Fleischpakete gepackt werden. Da nicht alle Rinder gleich schwer sind, bleibt natürlich Fleisch über – das war der Grund, warum das Geschäft eröffnet wurde. Dort gibt es tiefgefrorene Fleischstücke, Salami, Würstchen oder den aus den Knochen gewonnenen Rinderfond – so wird wirklich fast alles vom Tier verwertet. Die Laufkundschaft ist zwar rar gesät in Kayhude. Dafür sei die Miete für die Kombination aus Laden und Büro sehr günstig, sagt Carstensen: „Der Laden hat sich vom ersten Tag an gelohnt.“
www.einstueckland.de; das Geschäft ist an der Segeberger Straße 121, Kayhude. Öffnungszeiten: donnerstags 16–19 Uhr, freitags 9–12 Uhr