Hamburg. Die Stadt bekommt eine der größten Hubbrücken der Welt. Ein Besuch bei dem 250 Millionen Euro teuren Projekt an der Süderelbe.

Es ist ein Brückenbauprojekt, das seinesgleichen sucht. Die Kattwykbrücke, die Süderelbbrücke zwischen der Kattwyk-Halbinsel/Hohe Schaar und Moorburg, bekommt eine große Schwester. Nordwestlich der bestehenden Brücke wächst ein zweites Bauwerk heran, das den Güterverkehr im Hafen beschleunigen wird – Baukosten: rund 250 Millionen Euro. Die unterhalb der Wasserlinie stehenden Abschnitte der Brückenpfeiler (Strompfeiler) im Format zweier elfstöckiger Hochhäuser sind fast fertiggestellt und bereits 15 Meter tief im Flussgrund versenkt. Weitere fünf Meter werden folgen, dann beginnt der Hochbau der Hubbrücke. Ende 2020 soll sie dem Verkehr übergeben werden.

„Es ist ein Projekt, das man nur einmal im Leben macht“, schwärmt Ulla Roßgotterer (50) von der Hafenverwaltung HPA (Hamburg Port Authority). Zusammen mit ihrem Kollegen Sebastian Schulz leitet die Ingenieurin den Brückenbau inklusive Landanbindungen. Wo derzeit zwei große, mit Spundwänden abgedichtete Baustelleninseln aus der Süderelbe herausragen, werden in drei Jahren stündlich drei bis vier Güterzüge über die Brücke rauschen. Sie verbindet dann das Hinterland der großen Containerterminals Altenwerder, Eurogate und Burchardkai mit der Bahntrasse, die über die Norderelbe weiter Richtung Norden führt. Und wird damit zur Hauptachse des Skandinavienverkehrs.

Kattwykbrücke zum Nadelöhr geworden

Diese Funktion hat derzeit die 1973 erbaute Kattwykbrücke. Sie ist angesichts des steigenden Güterumschlags im Hafen längst zum Nadelöhr geworden. Und das umso mehr, als nicht nur Züge die Brücke passieren, sondern auch Autos und Lkw. Sie alle müssen warten, wenn der mittlere Brückenteil angehoben wird, damit ein Schiff, das die Harburger Seehäfen ansteuert oder das Kraftwerk Moorburg mit Kohle beliefert, passieren kann. Der Straßenverkehr muss zusätzlich den Zügen den Vortritt lassen. Das kann dazu führen, dass sich die Wartezeiten für Autos und Laster auf bis zu zehn Stunden am Tag summieren.

Projektleiterin Ulla Roßgotterer und Kollege Volker Kreuz stehen am Moorburger Ufer der Süderelbe zwischen der alten Brücke und der Baustelle des Neubaus
Projektleiterin Ulla Roßgotterer und Kollege Volker Kreuz stehen am Moorburger Ufer der Süderelbe zwischen der alten Brücke und der Baustelle des Neubaus © HA | Michael Rauhe

Die Neue Bahnbrücke Kattwyk, so der Projektname, entlastet die alte Brücke. Diese wird zukünftig komplett dem Straßenverkehr zur Verfügung stehen, so lange kein Schiff passieren will. Wenn die Bahn ihre eigene Brücke bekommt, reduzieren sich die Wartezeiten auf der Straßenbrücke auf täglich rund drei Stunden. Die neue Bahnbrücke wird wie die bestehende Brücke konstruiert, aber deutlich tragfähiger sein. Roßgotterer: „Sie ist zweigleisig und darauf ausgelegt, dass zwei Güterzüge auf dem Bauwerk gleichzeitig eine Vollbremsung machen. Zudem darf die Brücke mit einer Geschwindigkeit von 60 Kilometer pro Stunde befahren werden.“ Derzeit besteht ein Tempolimit von 30 km/h.

Rund 150 Arbeiter sind im Einsatz

Schon seit 2014 wird auf beiden Seiten des Süderelbufers gebaut. Zunächst nur an Land: Auf der Hafenseite entstand eine Autobrücke zur Kattwyk-Halbinsel, damit die Fahrzeuge später nicht über die Gleise der neuen Brücke fahren müssen. Das neue Richtfeuer Moorburger Weide weist der Schifffahrt den Weg zur 108 Meter breiten Brückendurchfahrt. Am westlichen Flussufer, zwischen dem Kohlekraftwerk Moorburg und den Spülfeldern hinter dem Moorburger Elbdeich ist ein neuer Bahndamm entstanden. Dazu ein Fuß- und Radweg, der ebenfalls über die neue Brücke führen wird. Auch die beiden Widerlager (Aufsetzpunkte) der Brücke sind an beiden Ufern bereits fertig.

133 Brücken verbinden Hafenbereiche

Im Frühjahr 2016 starteten die Bauarbeiten an der eigentlichen Brücke, die 58 Meter neben der alten Flussquerung stehen wird. Rund 150 Arbeiter sind auf der Baustelle aktiv. Hinzu kommen 50 bis 60 Fachleute, die für den Bauherren HPA das Projekt managen. Die unwägbare Phase des Baus sei weitgehend ohne große Hindernisse überwunden, freut sich Ulla Roßgotterer. Und meint damit die Bauarbeiten in der Flusssohle.

Sie laufen unter der Regie von Volker Kreuz. „Unser größtes Problem waren die eiszeitlichen Findlinge auf der Moorburger Seite“, sagt er. „Wir wussten, dass wir bei den Gründungsarbeiten auf Steine stoßen werden. Aber es waren dann doch mehr als erwartet – insgesamt 760 Tonnen mussten per Hand abgeräumt werden. Erstaunlicherweise lagen sie alle auf der westlichen Seite. Am Standort des anderen Pylons hatten wir normalen Boden mit Lehm, Ton, Sand und Kies.“

Strompfeiler wiegt 30.000 Tonnen

Die Technik, mit der die Strompfeiler in die Flusssohle versenkt werden, trägt dazu bei, dass der Bau nach Aussagen von HPA weltweit Maßstäbe setzt: Zum Schutz der alten Brücke werden die Baukörper sanft in den Elbgrund eingespült. Dazu haben die beiden Pfeiler an ihren unteren Enden einen abgetrennten, mit Druckluft gefüllten Hohlraum (Senkkasten). Dort wird der Untergrund mit Wasser aufgewirbelt und das Wasser-Boden-Gemisch abgepumpt. Jeder Senkkasten steht wie ein riesiger umgekehrter Eimer im Flussboden. Er sorgt dafür, dass sich der Strompfeiler allmählich in die Tiefe arbeitet. Das geschieht allein durch sein Eigengewicht von 30.000 Tonnen.

Das Ausspülen des Elbgrunds im Senkkasten übernehmen um die 30 Taucher. Sie arbeiten zwar nicht unter Wasser, aber im wahrsten Sinne unter Hochdruck. „Durch die Druckverhältnisse müssen sie dekomprimieren, bevor sie wieder an die Oberfläche treten können“, sagt Kreuz. „Jetzt in den großen Tiefen kann die Dekompression länger dauern als die eigentliche Arbeitszeit im Boden.“

Diese Arbeit ist so weit fortgeschritten, dass Ulla Roßgotterer unwillkürlich ihren Schutzhelm am Kopf festhält, als sie bei der Baustellenbesichtigung in die gähnende Tiefe blickt, die der Hohlraum in einem der beiden Strompfeiler darstellt – 25 Meter abwärts. Noch fünf Tiefenmeter fehlen, bis die beiden Strompfeiler vollendet sind. Dann werden die Senkkästen mit Beton verfüllt, sodass die Pfeiler flächig auf dem tragenden Grund des Flussbettes stehen. Im westlichen Pfeiler werden dabei 15 Findlinge endgültig beerdigt – sie sind zu groß, um an die Luft geschafft zu werden.

Im Inneren der beiden mit Spundwänden abgedichteten Baustelleninseln werden die Brückenpfeiler in den Flussgrund getrieben. Im Bild unten rechts liegt ein Ponton mit Baumaterial
Im Inneren der beiden mit Spundwänden abgedichteten Baustelleninseln werden die Brückenpfeiler in den Flussgrund getrieben. Im Bild unten rechts liegt ein Ponton mit Baumaterial © HA | Michael Rauhe

Im nächsten Schritt folgt der Aufbau der Pylone, an denen später das Mittelteil auf und ab gefahren wird. Sie werden aus 22 Stahlsegmenten zusammengeschweißt, die per Schwimm­ponton vom Montagestandort in Cuxhaven angeliefert werden. Dasselbe gilt später auch für die gesamte Brücke: „Die beiden Vorlandbrücken, also die Konstruktionsteile, die nicht angehoben werden, liegen bereits in Cuxhaven“, sagt Roßgotterer. „Und am Antriebssystem wird an verschiedenen Standorten in Europa gearbeitet.“

Die Brücke hat eine Hubhöhe von 45,70 Metern

Die Brücke wird, wie ihre ältere Schwester, als Stahlfachwerk konstruiert. Kosten: 60 Millionen Euro. Insgesamt wird sie 287 Meter lang. Allein 133 Meter misst das bewegliche Mittelteil. Es kann – je nach Schiffsgröße – variabel hochgefahren werden, bis zur maximalen Hubhöhe von 45,70 Metern. Dann wird eine Durchfahrtshöhe von 53 Metern erreicht, die auch die alte Brücke und die Köhlbrandbrücke haben.

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Die schiere Größe der Hubbrücke lasse sie im Konzert der weltweit größten Bauwerke dieser Art mitspielen, so Roßgotterer. „Ich habe mal ähnlich große Hubbrücken gegoogelt – es tauchen immer wieder drei, vier Bauwerke auf. Mehr nicht“, sagt die Ur-Hamburgerin mit dem angeheirateten bayerischen Namen. Auch ihr Kollege Volker Kreuz ist von dem Projekt angetan: „Ich habe schon viele tolle Baustellen gehabt“, sagt er mit Blick vom dritten Geschoss des ebenfalls im Bau befindlichen neuen Leitstands auf die zwei Baustelleninseln im Fluss. „Das hier ist etwas Spezielles. So etwas bekommt man nicht wieder.“