Hamburg. Die Planungen für den Ersatz der Hängebrücke im Hafen sind fast abgeschlossen – und die Ergebnisse sind eindeutig.
Über die Köhlbrandbrücke rollen täglich 38.000 Fahrzeuge. Damit ist sie die Hauptverkehrsroute des Hamburger Hafens. Dennoch droht ihr der Abriss, weil ihre Lebensdauer zusehends erlischt – und weil sie mit ihrer Durchfahrtshöhe von 53 Metern den heutigen Schiffsgrößen nicht mehr entspricht. Die Folge: Wichtige Teile des Hafens sind vom Überseeverkehr inzwischen abgeschnitten.
Seit Monaten plant die zuständige Hafenverwaltung Hamburg Port Authority (HPA) auf Anweisung der Wirtschaftsbehörde ein Ersatzbauwerk. Wird es eine neue Köhlbrandbrücke oder ein Tunnel? In Kürze wird die Politik eine Entscheidung fällen müssen. Noch hält die HPA die Hand über ihre Planungen, die fast abgeschlossen sind. Aber wie das Abendblatt erfuhr, gilt der Tunnel unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten als die favorisierte Lösung.
Tunnel mit Vorteilen im Vergleich zur Brücke
„Je weiter die Prüfungen der beiden Varianten fortschreiten, als um so größer stellen sich die Vorteile eines Tunnelbaus heraus“, bestätigt Tim Babendererde. Er leitet zusammen mit seinem Bruder das Ingenieurbüro Babendererde Engineers, das weltweit bei großen Infrastrukturprojekten als Beratungsunternehmen hinzugezogen wird und auch die HPA in Sachen Köhlbrandquerung unterstützt. „Der einfachste Vorteil ergibt sich schon aus den Schiffsbauten: Diese wachsen zwar. Aber der Tiefgang nimmt nicht im gleichen Maße zu wie die Höhe der Schiffsaufbauten. Das bedeutet: Eine Brücke müssen sie ungleich höher planen, als einen Tunnel tief“, so Babendererde.
Zudem sei die Zukunftsfähigkeit eines Tunnels größer. Einmal gebaut und unter der Sohle des Köhlbrands verlegt, müsse er in Zukunft etwa bei Verbreiterungen oder weiteren Vertiefungen des Köhlbrands nicht mehr angefasst werden. „Eine Brücke wird dagegen auf bestimmte Verkehre auf dem Köhlbrand hin gebaut. Ändern sich diese oder muss der Köhlbrand verändert werden, hat dies wiederum Auswirkungen auf die Brücke.“ Genau das ist das Problem, welches die Planer heute mit der Köhlbrandbrücke haben.
Ein Wahrzeichen – das trotzdem weichen muss
Mit seiner markanten Statur – den zwei 135 Meter hohen Pylonen und den Stahlseilen, die die Fahrbahnen tragen – ist das 1974 fertiggestellte Bauwerk heute ein Wahrzeichen der Stadt. Dennoch hat der frühere Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) 2012 einen zügigen Abriss und Neubau angeordnet. Zum einen, weil die Brücke in die Jahre gekommen ist und trotz einer kürzlich durchgeführten millionenschweren Sanierung Mitte der 2030er Jahre ihre Tragfähigkeit verliert.
Zum anderen, weil der Altenwerder Hafen von außergewöhnlich großen Schiffen mit 400 Meter Länge, die mehr und mehr die Regel sind, nicht mehr angefahren werden kann. „Das Containerterminal Altenwerder arbeitet teilautomatisiert und ist das modernste in Europa. Zudem ist es das größte Eisenbahnterminal. Es wäre doch ein Münchhausen-Stück, wenn ausgerechnet dieses Terminal nicht mehr voll genutzt werden kann“, sagt Axel Mattern, Geschäftsführer der Marketinggesellschaft des Hafens.
Der neue Tunnel könnte zweistöckig werden
Nach Informationen des Abendblatts sind die Planungen für den Tunnel, der mit Rampen und offenem Vorbau etwa 3,6 Kilometer lang sein wird, weit fortgeschritten. Favorit ist ein Bauwerk mit zwei Röhren, je eine pro Richtung, die jeweils einen Durchmesser von etwa 16,5 Meter haben sollen. Dieser Tunnel könnte auf zwei Stockwerken genutzt werden. Oben wäre Platz für zwei Fahrstreifen für Autos und Lkw je Richtung – sowie ein breiter Standstreifen, der im Falle eines großen Verkehrsaufkommens auch als dritte Fahrspur genutzt werden könnte.
Eine Ebene tiefer wäre Platz für ein Containerbeförderungssystem. Hier ist eine Innovation geplant: Es könnten nämlich zwei Fahrspuren für Roboter-Fahrzeuge entstehen, die die Container zwischen den Hafenterminals und zu den Lagern transportieren. Solche selbstfahrenden Fahrzeuge (Automatic Guided Vehicles, AGV) setzt die HHLA bereits an ihrem Containerterminal Altenwerder ein. Dort werden die Boxen nach dem Löschen von den Kränen auf die Fahrzeuge gesetzt, die die Container per Funk gesteuert von der Kaikante zum Lager oder zur Hafenbahn bringen.
Auch eine Fahrradspur im Tunnel ist denkbar
Der automatische Containerverkehr würde die Straße erheblich entlasten. Denn nicht alle Boxen, die mit Schiffen nach Hamburg kommen, verlassen sofort den Hafen. Viele werden innerhalb des Hafens hin und her gefahren, sei es zum Umpacken zu einem anderen Terminal, zu einem Lager oder zum Leerdepot. 350.000 Container werden auf diese Weise jedes Jahr im Hafen umhergefahren und tragen so zum hohen Verkehrsaufkommen bei. Das würde im Falle des Tunnels wegfallen.
Auch eine eigene abgetrennte Fahrrad-Spur wäre bei dieser Lösung denkbar. Zudem wurden preiswertere Bauten mit kleineren Durchmessern geprüft. Am wirtschaftlichsten und zukunftsfähigsten sei aber die Zwei-Röhren-Variante, sagt Babendererde. Einziger Nachteil sind die Baukosten, die je nach Ausstattung zwischen 50 und 90 Prozent höher als beim Brückenbau liegen.
Nur Baukosten vergleichen? Eine Milchmädchenrechnung
„Das ist aber eine Milchmädchenrechnung“, sagt Babendererde, der von Seattle bis Singapur Tunnel weltweit geplant hat. „Die Instandhaltungskosten müssen nämlich mit eingerechnet werden, und die sind bei der Brücke sehr viel höher.“ Die Lebensdauer der Brücke sei zudem um Jahrzehnte kürzer. Und schließlich könne man einen Tunnel auch für zusätzliche Versorgungsleitungen wie Gas, Fernwärme oder Glasfaser nutzen. Bei der Brücke ginge das nicht. „Am Ende ist der Tunnel nur noch wenig teurer als die Brücke, aber sehr viel wirtschaftlicher.“
Dennoch hat der Ingenieur Verständnis, dass es den Hamburgern schwer fällt, sich von ihrer Köhlbrandbrücke zu trennen. „Ich kann verstehen, wenn die Bürger emotionale Vorbehalte gegen den Bau eines Tunnels haben. Die Brücke ist ein liebgewonnenes Teil der heutigen Silhouette Hamburgs. Aber diese Silhouette verändert sich ohnehin ständig – beispielsweise durch die Elbphilharmonie. Und letztlich geht es um die Zukunftsfähigkeit der Stadt.“