Tallinn . Hamburger übernehmen Terminal im Baltikum und wollen sich so unabhängiger von der wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland machen.

Angela Titzrath hat ein Problem. Die Vorstandsvorsitzende der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) hat kürzlich ein neues Containerterminal im Hafen Muuga nahe der estnischen Hauptstadt Tallinn erworben, doch mit dem Namen tut sie sich schwer. „Transiidikeskuse“ – was für estnische Ohren völlig normal klingt, kann ein Westeuropäer nicht aussprechen, geschweige denn buchstabieren. Aber die HHLA-Chefin wird das Pro­blem gleich los. Der Hafenbetrieb wird einfach umbenannt. Aus Transiidikeskuse wird „TK Estonia“. TK steht als Abkürzung für den alten Namen. Estonia für den neuen Standort Estland, an den die HHLA expandiert ist. Bereits im Juli hat Hamburgs größter Hafenkonzern den Hafen übernommen. Jetzt stellt die HHLA ihre Neuerwerbung vor.

In einem Festzelt, mitten auf dem Terminal. 120 Gäste sind gekommen, darunter Estlands Wirtschaftsministerin Kadri Simson, der deutsche Wirtschaftsattaché in Estland, Martin Langer und Anatoli Kanajev, der Gründer und ehemalige Eigentümer des Terminals, das jetzt einen neuen Namen erhält. Dazu viele Kunden, Verlader, Spediteure, Reeder. Sie alle wollen die Umwidmungszeremonie miterleben und in Erfahrung bringen, was der HHLA-Vorstand mit dem neuen Terminal vorhat.

Neues Terminal ist 77 Hektar groß

Das Wetter spielt nicht mit. Es regnet in Strömen. „Einem chinesischen Sprichwort zufolge bringt Nässe Glück“, sagt die neue Hausherrin. Dann begrüßt sie die Gäste. In ihrer Rede geht Titzrath auf die alte Hanse ein, die Hamburg mit Tallinn seit dem 13. Jahrhundert verbinde, und welche Chancen sich ergeben, wenn man diese alte Verbindung wieder aufleben lässt. „Tallinn meets Hamburg“, steht auf ihrem Rednerpult. „Estland gehört zu den wachstumsstärksten Volkswirtschaften in Europa und ist Vorreiter bei der Digitalisierung“, sagt die HHLA-Chefin. Sie sehe im Hafen von Muuga wie im gesamten regionalen Markt ein großes Potenzial.

Das neue Terminal ist 77 Hektar groß. Neben Containern werden hier auch Stück- und Schüttgut umgeschlagen, zudem gibt es einen RoRo-Terminal zur Verschiffung von Trailern und Autos. Umgeschlagen wird hier fast alles: Metall, Metallschrott, Papier, Holz, Düngemittel, Getreide, Lebensmittel, Autos und auch Massengut wie Schotter. Hinzu kommen mehrere Kühl- und Tiefkühllager sowie ein Massengutlager, in dem große Kakaomengen gelagert werden. Das Wichtigste aber ist der terminaleigene Güterbahnhof, mit dem sich die Seegüter schnell per Bahn weitertransportieren lassen. Ein Geschäftsfeld, das die HHLA anderen Terminals voraushat – und in dem sie weiterwachsen will. Deshalb soll TK Estonia so schnell wie möglich in das HHLA-eigene Bahnnetz eingebunden werden.

Tallinn ist Drehscheibe für andere Länder

Die Mengen, die in dem Hafen Muuga ankommen, sind nämlich nur zu einem kleinen Teil für Estland bestimmt, das gerade einmal 1,3 Millionen Einwohner hat, also eine halbe Million weniger als Hamburg. Tallinn ist vielmehr eine Drehscheibe für andere Länder, wie es der alte Name schon sagt: Das estnische „Transiidikeskuse“ heißt auf Deutsch „Transitcenter“. Und genau das ist die Neuerwerbung der HHLA. Ein Transitcenter mit Potenzial. Hier kommen Waren aus Schweden, Finnland und den anderen baltischen Staaten an. Fünf bis sieben Containerzüge fahren derzeit pro Woche von hier nach Russland. Wenn die Sanktionen fallen, wird sich diese Menge vervielfachen.

Dann beginnt die Zeremonie: „From Hamburg“ steht auf einem großen blauen Container, den die Veranstalter ins Festzelt gestellt haben. Zwei Terminalmitarbeiter öffnen ihn. Ein großer Bildschirm wird sichtbar. Ein kurzer Film porträtiert das Terminal, und dann steht da der neue Name „TK Estonia, welcome to the HHLA-family“. Alle klatschen. „Dass die HHLA hier investiert, ist für die Esten von besonderer Bedeutung und erfährt schon große Aufmerksamkeit“, sagt Wirtschaftsattaché Langer. Und Wirtschaftsministerin Simson sagt in ihrer Rede: „Ich bin sicher, dass schon bald andere deutsche Firmen folgen und hier investieren.“

Neue Strategie

Titzrath nennt die Veranstaltung anschließend einen vollen Erfolg. Die Terminalübernahme ist nämlich Teil der neuen Strategie, die Titzrath bei der HHLA vorantreibt. Seitdem das ehemalige Vorstandsmitglied der Deutschen Post im Hamburger Hafen das Zepter schwingt, bringt sie den schwerfälligen Tanker HHLA auf einen neuen Kurs. „Die HHLA hat die Ambition, international zu wachsen“, sagt Titzrath. Davon hatte schon ihr Vorgänger Klaus-Dieter Peters gerne und häufig gesprochen.

Tatsächlich ist die Übernahme von TK Estonia der erste internationale Zukauf der HHLA seit 17 Jahren. Im Jahr 2001 hatte die HHLA eine Beteiligung im ukrainischen Hafen von Odessa erworben. Bis zum Ankauf in Tallinn war das die einzige ausländische Terminalbeteiligung der Hamburger, während die anderen internationalen Hafenkonzerne – wie Konkurrent Eurogate – in mehreren Häfen Standbeine haben. Die Konzentration der HHLA auf Hamburg, die ihr, solange der Handel auf der Elbe gut lief, ein starkes Wachstum beschert hat, kann wegen nun schwächerer Zahlen zum Problem werden. Noch ist der Containerumschlag der HHLA im ersten Halbjahr gewachsen, aber nur um 1,2 Prozent auf 3,6 Millionen Standardcontainer – wesentlich getrieben von einer Mengenzunahme in Odessa. Eine weitere Expansion der Geschäftsaktivitäten war vor diesem Hintergrund notwendig.

Aufbau einer neuen Seidenstraße

Zudem geht es Titzrath darum, der HHLA langfristig eine führende Marktposition im Seegüterumschlag zu sichern, indem das Unternehmen an dem chinesischen Projekt zum Aufbau einer neuen Seidenstraße teilhaben will, mit dem China die Handelsströme zwischen Ost und West neu regelt. Titzrath will den fernöstlichen Geschäftspartnern deutlich machen, dass deren Seidenstraße nicht nur bei der HHLA in Hamburg, sondern auch bei der HHLA im Baltikum enden oder beginnen kann. „Die Akquisition eröffnet uns den Eintritt in einen vielversprechenden regionalen Markt, der durch seine geografische Lage und die Anbindung an die neue Seidenstraße über Wachstumspotenziale verfügt“, sagt Titzrath. „Die Übernahme von TK ist ein erster erfolgreicher Schritt bei der Umsetzung unserer Strategie.“