Hamburg. Proteste bei ThyssenKrupp in Hamburg. Betriebsrat fürchtet Abbau von 100 Arbeitsplätzen und womöglich Schließung des Standorts.
Die Beschäftigten des letzten Rolltreppenwerks in Deutschland lassen sich nicht lange zum Protest bitten, wenn sie für mehr Lohn kämpfen oder gar ihren Arbeitsplatz bedroht sehen: Anfang Januar waren die Schweißer und Maschinenschlosser der ThyssenKrupp Fahrtreppen GmbH – Experten sprechen von Fahr-, nicht von Rolltreppen – die Ersten in Hamburg, die im Tarifkonflikt in den Warnstreik traten. Am Mittwoch, vier Monate später, verließen gut 200 Männer und eine Handvoll Frauen in Blaumann und Latzhose erneut ihren Arbeitsplatz und versammelten sich vor dem Werkstor West in der Kolumbusstraße in Hamm. Lieferanten in ihren Lkw mussten derweil warten.
„Das lassen wir uns nicht gefallen. Jetzt müssen wir kämpfen“, rief der Betriebsratsvorsitzende Yusuf Tüfekci den Beschäftigten von der Ladefläche eines Lastkarrens zu, der Gewerkschaftssekretär von der IG Metall hatte eilends eine Lautsprecheranlage aufgebaut. Kurz zuvor hatte es im Werk eine Mitarbeiterversammlung gegeben. Dabei habe die Geschäftsführung einen größeren Beitrag der Beschäftigten zur wirtschaftlichen Gesundung des Werks eingefordert, sagte Tüfekci. „Binnen drei Jahren sollen jetzt 18 Millionen Euro Kosten eingespart werden, im August 2017 war noch von zwölf Millionen die Rede gewesen.“ Seit dem vergangenen Jahr ist auch von einer Verlegung der Vormontage-Abteilung mit insgesamt 70 Arbeitsplätzen aus Hamburg die Rede. Möglicherweise in ein südosteuropäisches Land.
Erhebliche Verluste
Nun sehen die Arbeitnehmervertreter noch mehr Jobs im Werk an der Kolumbusstraße gefährdet. „Wir müssen jetzt fürchten, dass deutlich mehr als 100 Arbeitsplätze in allen Abteilungen wegfallen könnten“, sagte der Betriebsratsvorsitzende. ThyssenKrupp Elevator, die Aufzugssparte des Konzerns, zu der auch das Fahrtreppenwerk gehört, bestätigt zwar Gespräche mit dem Betriebsrat über „deutliche Anpassungen der Personalstärke“ im Werk Hamburg, äußert sich aber nicht detailliert zu den Plänen.
Eine Unternehmenssprecherin erklärte, dass es einen „intensiven Austausch zur zukünftigen Ausrichtung unseres Fahrtreppenwerks“ zwischen Unternehmensleitung und den Mitbestimmungsgremien gebe. Das sei alternativlos, weil „der Standort seit geraumer Zeit erhebliche Verluste schreibt“. Dieser Trend sei bei der aktuellen Aufstellung absehbar nicht umkehrbar, erklärte die Sprecherin auf Abendblatt-Anfrage. Eine „Anpassung der Kostenstrukturen und des Produktportfolios“ seien daher erforderlich.
Betriebsrat: „Ursache sind Managementfehler“
Dass der Standort Hamburg derzeit Verluste einfährt, bestätigt auch der Betriebsrat. „Die Ursache sind Managementfehler“, sagt Mike Retz, der für das Werk zuständige Gewerkschaftssekretär. Wenn die Aufträge besser zwischen den Werken in Hamburg und im nordspanischen Mieres verteilt worden wären, hätte an beiden Standorten wirtschaftlicher produziert werden können. Das spanische Werk, sagt die Unternehmenssprecherin, sei weiter auf Kurs.
Dort gebe es keine Gespräche wie in Hamburg. In der Hansestadt planen und bauen knapp 460 Beschäftigte Fahrtreppen vorwiegend etwa für Kaufhäuser oder U- und S-Bahnhöfe. Betriebsratschef Tüfekci fürchtet nun, dass künftig an der Kolumbusstraße nur noch Sonderanlagen hergestellt werden sollen; wie etwa mobile Fahrtreppen, auf denen solvente Kunden an Bord ihres Privatjets fahren, statt die Gangway hochzusteigen.
Betriebsvereinbarung läuft in fünf Monaten aus
Gewerkschaftssekretär Retz interpretiert diese Pläne als Einstieg in den Ausstieg aus der Fahrtreppenproduktion in Deutschland – und letztlich als Gefahr für den Standort Hamburg. „Es wäre ja nicht das erste Mal, dass die Produktion zuerst zurückgefahren und dann eingestellt wird. Und dass es dann heißt, auch die Planung könne an anderen Standorten günstiger gemacht werden. Die Geschäftsführung bestreitet das für Hamburg natürlich vehement.“Betriebsratschef Tüfekci fordert nun eine „klare Strategie für den Standort für die nächsten zehn Jahre“. Restrukturierungen habe es im Werk schon mehrfach gegeben, „auf Dauer hat das nichts gebracht“.
Einstweilen sind die Beschäftigten vor betriebsbedingten Kündigungen zwar geschützt, aber die Betriebsvereinbarung darüber läuft in fünf Monaten aus. Erkauft hatten sie die Fahrtreppenbauer vor Jahren, indem sie auf Teile ihres Lohns verzichteten. „Nun soll es schon wieder an Urlaubs- und Weihnachtsgeld gehen“, so Tüfekci. Er kündigte harte Verhandlungen an und rief den Protestierenden vor dem Werkstor zu: „Wir werden uns hier noch häufiger sehen.“ ThyssenKrupp Elevator erklärte, das Unternehmen sei bei „Anpassungen der Personalstärke“ an „sozialverträglichen Lösungen interessiert“.