Hamburg. Flugzeugbauer holt die Bestechungsaffäre wieder ein. Experten rechnen mit Summe in dreistelliger Millionenhöhe. Aktie fällt.

Airbus droht ein heißer Herbst. 454 Flugzeuge lieferte der Konzern bis Ende September aus. Mehr als 700 werden für das Gesamtjahr angepeilt – da bleibt für die 134.000 Mitarbeiter bis Ende Dezember viel zu tun. „Konzentrieren Sie sich auf Ihre Arbeit“, schreibt Vorstandschef Tom Enders in einer internen Mail an die Beschäftigten, die dem Abendblatt vorliegt, „denn wir haben im Geschäft Berge von Arbeit vor uns.“

Der eigentliche Grund für sein Schreiben ist aber ein anderer: Die Bestechungsaffäre kocht wieder hoch. Enders warnt die Mitarbeiter: „Stellen Sie sich auf turbulente Zeiten ein.“ Er erwartet, dass vor Airbus ein „langer Weg“ liege, es drohten „erhebliche Strafen für das Unternehmen“. Das Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen zu dem Komplex.


Worum geht es?
Im August 2016 teilte die britische Anti-Korruptions-Behörde Serious Fraud Office (SFO) mit, dass gegen den Flugzeugbauer wegen des Verdachts auf Bestechung, Betrug und Korruption ermittelt wird. Neue Kunden für die Jets sollen mit unsauberen Praktiken geworben worden sein. Dabei soll es um Unregelmäßigkeiten mit Beratern einer „dritten Partei“ gegangen sein, so die Behörde. Auch die französische Finanz-Staatsanwaltschaft führt dazu eine Untersuchung. Airbus hat sich nach eigenen Angaben im April selbst bei der SFO angezeigt und gemeldet, dass es Fehler bei Anträgen auf Finanzierungshilfen für Kunden gab.

Der Konzern bietet vielen Flug­linien Hilfe bei der Finanzierung an, wenn diese die notwendigen Kredite nicht oder zu sehr schlechten Konditionen bekämen. Teilweise kommen dabei staatliche Exportkreditgarantien zum Einsatz. Der Staat erhält nach Branchenangaben eine Prämie im hohen einstelligen Prozentbereich und übernimmt im Gegenzug das Risiko des Forderungsausfalls. Das Instrument wurde gerade nach der Finanzkrise häufig genutzt. 2010 wurden beispielsweise von 510 ausgelieferten Jets 196 über die Airbusgarantie finanziert. 2015 soll die Zahl auf sechs Prozent gesunken sein. Dem Vernehmen nach sollen in den Finanzierungsanträgen beteiligte Vermittler oder Berater nicht genannt worden sein. Flossen etwa unrechtmäßig Gelder an sie? Die britischen, deutschen und französischen Behörden stoppten damals die Kreditabsicherungen.


Was befürchtet Enders?
Der Anlass für das Schreiben von Enders waren vermutlich Recherchen des „Spiegel“, der in der aktuellen Ausgabe groß über die Korruptionsaffäre berichtet. Eine wichtige Rolle in der Affäre schreibt das Nachrichtenmagazin der in Paris sitzenden Vertriebsabteilung des Konzerns zu, die später SMO genannt wurde. Aus Airbus-Kreisen hört man, sie habe wie ein Staat im Staate agiert, sei unkontrollierbar gewesen. Plötzlich hätten sich angebliche Airbus-Berater gemeldet und Millionen gefordert, schreibt der „Spiegel“. SMO soll demnach in Exportpapieren falsche Angaben über Berater und Honorare gemacht haben. Deshalb soll Enders Zahlungen an Berater eingefroren und die Abteilung im vergangenen Jahr aufgelöst haben.

Aus dieser Ecke fürchtet Enders jetzt offenbar Revanchegelüste. Es sei mit „Versuchen einzelner zu rechnen, im eigenen Interesse das Topmanagement zu diskreditieren“, schreibt Enders in der Mail. „Das ist der eindeutige Versuch, Tom Enders zu kriminalisieren und ihn vom Aufklärer zum Sündenbock zu machen“, hört man aus Airbus-Kreisen. Offiziell äußert sich der Konzern wegen der laufenden Ermittlungen nicht. Enders rät den Beschäftigten, nicht auf „vereinfachendes und nationalistisches Gerede“ zu hören. Das könnte bedeuten, dass ein Spaltpilz zwischen die Beschäftigten getrieben werden soll. Seit der Gründung des europäischen Konzerns, der von Deutschen und Franzosen geprägt ist, gibt es immer wieder Streitigkeiten über die Machtverteilung zwischen den Nationen.


Wo droht Airbus noch Ärger?
Vorgänge aus dem Jahr 2003 beschäftigen derzeit die Staatsanwälte in München und Wien. Primär geht es um den Vorwurf der Untreue bei der Beschaffung von Eurofighter-Kampfflugzeugen durch Österreich. Airbus hatte der Alpenrepublik bei Vertragsabschluss zugesichert, dort vier Milliarden Euro zu investieren. Damit wurde die britische Firma Vector Aerospace beauftragt – die Staatsanwälte vermuten, dass die Gesellschaft nur zur Verschleierung der schwarzen Kassen diente und Entscheidungsträger in Österreich daraus Schmiergelder kassierten. Insgesamt geht es um 114 Millionen Euro. Das Verfahren richte sich gegen 16 Beschuldigte, sagte eine Sprecherin der Münchner Staatsanwaltschaft der Agentur Reuters. Enders sei nicht darunter. Schmiergeldzahlungen an Dritte ließen sich bisher kaum nachweisen, hieß es. Dass die Behörde wie vom „Spiegel“ gemeldet demnächst Anklage erheben will, bestätigte die Sprecherin nicht. Sie sagte nur, die Ermittlungen stünden kurz vor dem Abschluss – das könnte auch eine Einstellung des Verfahrens bedeuten. Airbus bestritt die Vorwürfe stets. Der „Spiegel“ vermutet, dass über Vector auch Schmiergelder für Verkehrsjets in mehrere Länder geflossen sein könnten.


Sind Schmiergelder üblich?
Es wäre nicht der erste Korruptionsskandal in der Luftfahrt- und Rüstungsbranche. BAE Systems wurde 2010 zu einer Strafe von 450 Millionen Dollar verurteilt. Es ging um Korruption bei Waffenlieferungen in fünf Länder, unter anderem Saudi-Arabien. Der Triebwerkshersteller Rolls-Royce stimmte Anfang dieses Jahres einem Vergleich über 808 Millionen Dollar zu. Über Jahre hinweg sollen die Briten Schmiergelder unter anderem in Indien, Russland und China gezahlt haben, um Aufträge zu erhalten. „Es hat in der Vergangenheit immer mal wieder Fälle gegeben, bei denen auch Schmiergeldzahlungen durch Airbus entdeckt worden sind“, sagte der Hamburger Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt dem Abendblatt. Bei Boeing soll es seit den 1970er-Jahren keine Vorfälle gegeben haben.

Wie hoch könnte die Strafe ausfallen?
Die Fälle BAE Systems und Rolls-Royce zeigen, in welche Dimensionen sich eine Strafe bewegen könnte. „Eine Strafzahlung würde sicherlich im dreistelligen Millionenbereich liegen“, sagt Großbongardt. Das Analysehaus Kepler Cheuvreux geht in einer Studie von bis zu 1,5 Milliarden Euro aus.


Wie reagiert die Aktie?
Vor der „Spiegel“-Geschichte am Freitagnachmittag lag die Aktie bei mehr als 81,50 Euro. Gestern schloss sie mit 79,40 Euro rund drei Prozent niedriger. Kepler Cheuvreux stuft die Aktie weiterhin auf „Halten“ ein mit Kursziel 77 Euro. Die mögliche Strafzahlung von bis zu 1,5 Milliarden Euro würden einen Abschlag der Aktie um zwei Euro rechtfertigen – etwa so viel verlor die Aktie seit Freitagnachmittag.