Hamburg. Neuer Vorstandschef Schäfer plant Kollektionen von bekannten Künstlern der Stadt. Tom Tailor soll von Adidas lernen.
Es ist ein bisschen so wie bei einem dieser Trainerwechsel in der Fußball-Bundesliga: Wenn es mit dem alten Coach nicht mehr funktioniert und ein neuer nicht gleich zur Hand ist, darf das hoffnungsvollste Talent aus dem Übungsleiterstab zeigen, was es kann. Und wenn es dann gut läuft, wird der Interims- zum neuen Cheftrainer befördert.
So hat es der Aufsichtsrat des Hamburger Modekonzerns Tom Tailor auch gemacht. Im September 2016 zogen die Aufseher des börsennotierten Unternehmens die Reißleine, der langjährige Vorstandschef Dieter Holzer musste von einem Tag auf den anderen gehen, offiziell „aus persönlichen Gründen“. Heiko Schäfer, der Vorstand für das operative Geschäft, wurde zugleich Interims-Vorstandschef – und hat seitdem offenbar ziemlich viel richtig gemacht. Anfang dieser Woche beschloss der Aufsichtsrat die Einschränkung „Interims-“ zu streichen. Schäfer (44) ist von heute an Tom-Tailor-Vorstandschef und damit eine Art Cheftrainer von mehr als 6000 Mitarbeitern und zweier großer Modemarken mit deutlich mehr als 1000 Ladengeschäften und Shops.
"Jetzt habe ich die Verpflichtung, zu liefern"
Am Morgen nach der Entscheidung der Aufseher sitzt Schäfer in seinem Büro im ersten Stock der Tom-Tailor-Zentrale am Garstedter Weg und füllt Kräutertee aus der Thermoskanne nach. Heute war er ausnahmsweise nicht schon um 6.30 Uhr im Fitnessstudio, weil er dann erst um kurz nach 8 Uhr am Arbeitsplatz gewesen wäre. „An einem Tag wie heute wäre das zu spät“, findet der große, drahtige Manager.
Fühlt er sich am Ziel? „Am Ziel? Nein. Eher in der Pflicht. Man hat mir eine große Verantwortung gegenüber den Mitarbeitern und den Aktionären übertragen. Ich weiß, wofür ich Geld bekomme. Jetzt habe ich die Verpflichtung, zu liefern.“ Wie sich der Konzern nach dem abrupten Ende der Ära Holzer verändern muss, um in der seit Jahren kriselnden deutschen Modebranche dauerhaft und profitabel zu bestehen, ist schon vor mehreren Monaten festgelegt worden. Das Kostenreduzierungs- und Modernisierungsprogramm trägt den Titel „Reset“, was so viel wie Neustart bedeutet. Es besteht aus einer Vielzahl von Maßnahmen: Der Rückzug aus unprofitablen Märkten wie China, Südafrika und USA zählt dazu, die Konzentration auf den profitablen deutschsprachigen Markt, die Schließung von bis zu 300 Filialen vor allem der zugekauften Marke Bonita und damit ein Abbau mehrerer Hundert Arbeitsplätze, ein Ausbau des unterdurchschnittlich großen Online-Geschäfts, Millioneninvestitionen in ein zeitgemäßes EDV-System. Das alles kostet viel Geld. Tom Tailor ist deshalb 2016 tief in die roten Zahlen gerutscht, wird 73 Millionen Euro Verlust machen.
Bis zur Vorlage der endgültigen Bilanzzahlen Ende März soll ein neuer Dreijahresplan stehen. „Die Prioritäten stehen fest: An erster Stelle das ,Reset‘-Programm, Bonita auf ein solides Fundament stellen, die Tom-Tailor-Shops profitabler machen, das Image beider Marken stärken“, sagt Schäfer.
Unternehmen soll schneller auf Trends reagieren
Dazu gehört auch, dass sich das 1962 gegründete Unternehmen wieder stärker auf seine Hamburger Wurzeln besinnt. „In der Vergangenheit wurde bei der Gestaltung der Kollektionen sehr intensiv Richtung USA geschaut. Tom Tailor ist aber sehr stolz darauf, ein Hamburger Unternehmen zu sein“, sagt der neue Vorstandschef. Und das soll man künftig auch zumindest einem Teil der Textilien des Unternehmens ansehen.
Die Linie Tom Tailor Denim, die sich an Kunden ab 25 Jahren richtet, solle künftig „Hamburger Spirit“ und „Hamburger Coolness“ transportieren. „Authentisch, ehrlich, weltoffen“ sein, sagt Schäfer im blumigen Marketing-Sprech der Branche. „Eine Jeans kann dann auch mal eine gröbere Waschung haben.“ Hamburgischer soll Tom Tailor auch durch eine Zusammenarbeit mit deutschlandweit bekannten Hamburger Künstlern und Musikern werden. „Wir können uns sehr gut vorstellen, dass unsere künftigen Partner mit und für Tom Tailor eigene kleine Kollektionen herausbringen. Adidas hat das zum Beispiel mit Kanye West auch sehr erfolgreich getan“, sagt Schäfer.
Schäfer war mehrere Jahre bei Adidas tätig
Der Hinweis auf den erfolgreichen deutschen Sportartikel-Hersteller, der kürzlich einen Milliardengewinn im vergangenen Jahr bekannt gab, kommt nicht von ungefähr. Schäfer selbst war mehrere Jahre bei Adidas tätig, bevor er zum Finanzinvestor KKR und von dort an den Garstedter Weg wechselte. Zuletzt verantwortete der promovierte Wirtschaftswissenschaftler in Herzogenaurach die Produktentwicklung und die Beschaffung der vier Adidas-Lifestyle- und Modelabels.
Er habe bei Adidas gelernt, was auch für Tom Tailor wichtig sei, sagt Schäfer: „Wir müssen schneller am Markt sein.“ Künftig dürfe es nur wenige Wochen dauern, bis wichtige Trends und Innovationen in den Geschäften ankommen. Der Markt werde noch schneller von Trends getrieben, Unternehmen müssten flexibel reagieren können, wenn etwa – wie im September 2016 – der Umsatz plötzlich um 17 Prozent einbreche. Es sind solche Fragen, für die Schäfer jetzt Antworten finden soll. In die Kollektionen, sagt der neue Modekonzern-Chef, werde er sich nicht einmischen. „Dafür haben wir ja unsere Fachleute. Die wissen sehr genau, was beim Kunden gut ankommt.“