Berlin. Kreuzfahrtbranche erzielt Rekordzahlen. Sie profitiert auch von der Terrorangst der Reisenden. Günstig sind die Reisen jedoch nicht.

Tagsüber bei Seewind an Deck in der Sonne rekeln und abends in Galagarderobe zum Kapitänsdinner erscheinen: So sieht der Traumurlaub vieler Deutscher aus. Immer mehr von ihnen entscheiden sich dazu, ihre Ferien an Bord eines Kreuzfahrtschiffs zu verbringen – auch um möglichen Terroranschlägen aus dem Weg zu gehen. Das lässt die Gästezahlen seit Jahren von Rekord zu Rekord steigen.

Spektakuläre Zahlen konnte der Deutsche Reiseverband (DRV) daher am Donnerstag auf der Internationalen Tourismusmesse ITB in Berlin vorstellen: Mit 2,02 Millionen Passagieren verbrachten 2016 so viele Deutsche ihren Urlaub auf hoher See wie nie zuvor. Im Vergleich zum Vorjahr stieg die Zahl der Gäste um 11,3 Prozent. Der Umsatz im Kreuzfahrtmarkt sprang 2016 sogar um 17,8 Prozent auf 3,38 Milliarden Euro. Das freut die Branchenvertreter um Karl J. Pojer, Vorsitzender im deutschen Führungsrat des internationalen Kreuzfahrtverbands CLIA: „Aus dem Trend Anfang der 1990er-Jahre ist eine Erfolgsgeschichte geworden, die bis heute anhält.“

Türkei leidet unter der Angst der Reisenden

Befeuert wird der Erfolg von der wachsenden Angst der Reisenden vor Terror und politischen Konflikten. Ob in Tunesien oder der Türkei: In Urlaubsländern, die zuletzt von Terroranschlägen heimgesucht wurden, gehen die Übernachtungszahlen zurück. Beispiel Türkei: Ende Januar lagen die Reisebüro-Umsätze für das Land 58 Prozent unter dem Stand von 2016. Schon im vergangenen Jahr hatte es einen Einbruch um 40 Prozent gegeben. Die Türkei leidet unter der Angst der Reisenden um ihre Sicherheit.

Die spielt bei der Urlaubsplanung jedoch eine immer größere Rolle: „Sicherheit wird, anders als früher, nicht mehr per se im Urlaub vorausgesetzt, sondern hinterfragt und als Qualitätselement einer Reise oder einer Destination wahrgenommen“, sagt der Tourismusforscher Prof. Torsten Kirstges von der Jade-Hochschule in Wilhelmshaven. „Die Reisenden suchen nach Alternativen zu gefährdeten Ländern wie der Türkei“, sagt auch die Tourismusexpertin Dörte Nordbeck vom Marktforschungsunternehmen GfK. „Für viele sind Kreuzfahrtschiffe da ein Ausweichurlaubsort.“

Man kann innerhalb von Sekunden umrouten

Vorteil der Kreuzfahrtschiffe: Nehmen die Konflikte in einer Urlaubsregion zu, lassen sich die Routen schnell umplanen. „Theoretisch kann man innerhalb von Sekunden umrouten“, sagt Helge Grammerstorf vom CLIA. Pro­blematische Länder steuern die Schiffe dann einfach nicht mehr an. Dennoch boomt die Kreuzfahrtbranche laut Grammerstorf nicht allein wegen der Terrorangst. „Die großen Zuwächse haben vor allem andere Gründe.“

Einer dieser Gründe ist für Tourismusexpertin Nordbeck, dass Kreuzfahrten auch nach mehreren Jahrzehnten immer noch ein relativ junger Markt mit viel Potenzial seien. „Viele Menschen haben noch nie eine Kreuzfahrt gemacht.“ Warum die Urlauber in Scharen an Bord der schwimmenden Hotels drängen, lasse sich zudem mit ihrem veränderten Image erklären, sagt Alexis Papathanassis, Professor für Kreuzfahrtmanagement in Bremerhaven: „Das Image von Kreuzfahrten hat sich verjüngt.“

Früher waren die Rundreisen zur See vor allem unter wohlhabenden Rentnern beliebt und galten als entsprechend angestaubt. „Das Bild hat sich heute mächtig gewandelt“, so Papathanassis. Als erstes Unternehmen übertrug Aida in den Nullerjahren das Konzept des Cluburlaubs aufs Schiff. Damit erschloss der Anbieter eine ganz neue Klientel, die um Kreuzfahrten bis dahin einen großen Bogen machte.

Die Anbieter gewinnen mit Themenreisen neue Kunden

Zudem würden den Gästen laut Papa­thanassis an Bord immer neue Attraktionen geboten, die den Urlaub an Bord etwa für Familien interessanter machten. Auch deshalb werden die Reisenden jünger. Jeder Zehnte ist jünger als 15 Jahre. Die großen neuen Schiffe fassten zudem immer mehr Passagiere. Für den einzelnen Urlauber kann die Reise dadurch preiswerter angeboten werden. Und dennoch, günstig sind die Reisen nicht. Der durchschnittliche Reisepreis pro Person lag 2016 bei 1675 Euro. Ein Tag an Bord kostete die Gäste im Schnitt 187 Euro.

Eine weitere Entwicklung bei Schiffsreisen: „Die thematischen Angebote werden immer differenzierter“, so der Tourismusforscher. Einige Reeder bieten zum Beispiel Motto-Kreuzfahrten an. Auf Gourmettouren durch die Karibik stehen dann die kulinarischen Besonderheiten der Inselregion im Vordergrund. Andere Fahrten richten sich an Musikfans spezieller Genres. So gibt es mittlerweile nicht nur für Schlagerfreunde Kreuzfahrten, wo Gassenhauer und Fetenhits aus den Boxen an Bord schallen. „Full Metal Cruise“ etwa heißt eine Musikreise für Heavy-Metal-Fans. Zudem gibt es Schiffsreisen, die sich nur an Schwule richten.

Auf anderen Seereisen liegt der Fokus auf Tanzkursen. Eine noch recht neue Idee: Kreuzfahrten speziell für Swinger. „Für die Unternehmen ist das eine gute Möglichkeit, Kreuzfahrten für neue Kunden attraktiver zu machen“, so Papathanassis. Der Erfolg gibt den Anbietern recht.