Hamburg. Start-ups wollen den Markt der Seniorenbetreuung revolutionieren. Auch das junge Hamburger Unternehmen HelloCare mischt mit.

Hildburg Kiel geht gerne schwimmen. Allein traut sich die 83-Jährige den Weg von den Bethanienhöfen in Eppendorf bis zum etwa ein Kilometer entfernten Holthusenbad allerdings nicht mehr zu. Deshalb kommt einmal pro Woche ihre Helferin Lore Steinecker vorbei. Die Seniorenbegleiterin fährt die Rentnerin nicht nur zum Bad, sondern unterstützt sie auch in der Therme und achtet darauf, dass sie auf den nassen Fliesen nicht ausrutscht. „Ohne diese Hilfe käme ich praktisch gar nicht mehr aus dem Haus“, sagt Hildburg Kiel. „Außerdem ist es nett, jemanden zum Reden zu haben.“

30 Helfer zur Auswahl

Vermittelt hat die Seniorenbegleiterin das Hamburger Onlineportal HelloCare. Hildburg Kiels Tochter stieß auf die Seite im Internet, auf der im Augenblick rund 30 selbstständige Helfer zur Auswahl stehen. Sie unterstützen ältere Menschen beim Einkaufen, machen mit ihnen einen Spaziergang im Park oder gehen nach einer schweren Operation im Haushalt zur Hand. Die Kosten belaufen sich je nach Qualifikation auf zwölf bis 31 Euro die Stunde, gebucht wird über eine Hotline.

Die Vermittlung von Helfern und Pflegekräften gilt in der Internetwirtschaft gerade als das „next big thing“ – die nächste große Wette auf die Zukunft. Waren es vor gut zwei Jahren Putzportale wie Helpling, BookaTiger oder Putzfee, die wie Pilze aus dem Boden schossen, so scheint sich nun die Start-up-Szene auf die Betreuung älterer Menschen verlegen zu wollen.

In der Gründerhochburg Berlin ist vor einigen Monaten das Unternehmen Pflegetiger an den Markt gegangen, finanziell unterstützt seitens der Start-up-Schmiede RocketInternet von Oliver Samwer, der den Onlinehändler Zalando groß machte. Der Konkurrent Careship hat sich gerade eine Kapitalspritze von vier Millionen Euro gesichert und dehnt sein Geschäft nun von der Hauptstadt nach Hamburg aus. 40 Helfer sollen nach Angaben einer Sprecherin an der Elbe schon zur Verfügung stehen, in diesem Jahr soll hier ein eigenes Büro eröffnet werden.

Vorbild in den USA

Das Vorbild für die Pflege-Start-ups kommt wie im Fall der Putzkräfte-Vermittler aus den USA und heißt Honor. Dort haben diverse Risikokapitalgeber aus dem Silicon Valley schon mehr als 60 Millionen Dollar in das Unternehmen gepumpt.

Die Idee zu dem Hamburger Start-up HelloCare hatte Katrin Pietschmann, 29. „Ich habe vor ein paar Jahren miterleben müssen, wie die Tante einer Freundin schwer erkrankt ist und von einem Tag auf den anderen Hilfe brauchte“, erzählt die Gründerin. „Damals habe ich gemerkt, wie schwer es für die Angehörigen war, kurzfristig und auf einfachem Weg eine Unterstützung zu finden.“ Mehrere Jahre lang entwickelte Pietschmann die Idee weiter, arbeitete nach ihrem BWL-Studium zunächst im Gesundheitswesen und in der Medizintechniksparte von Philips. „2016 habe ich dann den Sprung in die Selbstständigkeit gewagt“, sagt Pietschmann.„Wenn ich noch länger gewartet hätte, wäre der Markt vermutlich besetzt gewesen.“ Als Co-Geschäftsführer holte sie sich mit Andreas Schmidt einen Fachmann an Bord, der unter anderem schon für die Schön Kliniken als Manager tätig war. Im Hintergrund stehen mehrere Investoren aus der Gesundheitsbranche, auch der Start-up-Fonds der ProSiebenSat.1-Gruppe ist mit an Bord.

"Wir füllen eine Lücke"

HelloCare sieht sich nicht als Konkurrenz zu den klassischen Pflegeangeboten, sondern als Ergänzung. „Wir füllen eine Lücke zwischen den ambulanten Pflegediensten auf der einen und den Angehörigen auf der anderen Seite“, sagt Pietschmann. „Oft nehmen Angehörige unsere Dienste in Anspruch, um sich mal eine Auszeit von der oft anstrengenden Betreuung zu Hause zu gönnen.“ Dabei können die Kosten in manchen Fällen von den Kassen im Rahmen der Verhinderungspflege übernommen werden. Gut 1600 Euro im Jahr stehen Angehörigen zu, wenn diese wegen eines Erholungsurlaubs, Krankheit oder aus anderen Gründen an der Pflege gehindert sind.

Der größte Unterschied zum klassischen Pflegedienst dürfte allerdings darin bestehen, dass HelloCare als Marktplatz die Helfer lediglich vermittelt und nicht fest beschäftigt. Offiziell sind diese selbstständig und legen ihren Stundenlohn eigenständig fest, die Plattform übernimmt nur die Abrechnung mit den Kunden. Zudem stellt sie eine Berufshaftpflichtversicherung für den Fall, dass es bei der Betreuung zu einem Unfall oder Fehler vonseiten der Helfer kommt.

Lore Steinecker, die Hildburg Kiel zum Schwimmen begleitet, berechnet für ihre Dienste 17 Euro die Stunde. HelloCare bekommt davon 15 Prozent Vermittlungsgebühr. „Für mich ist das eine gute Möglichkeit, mir etwas nebenbei zu verdienen“, sagt die 57-Jährige, die sich in einem dreimonatigen Kurs zur Seniorenbegleiterin hat weiterbilden lassen und die zusätzlich noch bei einer Familie als Hauswirtschafterin arbeitet.

Wie das Putzkräfte-Portal

Das Geschäftsmodell von Hello­Care und anderer Betreuungsplattformen ist eng an das der Putzkräfte-Portale angelehnt, die ebenfalls mit der Vermittlung Selbstständiger eine ganze Branche umkrempeln wollten. Bei dem Hamburger Start-up gibt es sogar eine direkte personelle Verbindung: Für die Technik ist hier Sergiej Rewiakin zuständig, der den Berliner Reinigungsdienst CleanAgents aufbaute und später an den Konkurrenten Helpling aus der Rocket-Schmiede verkaufte.

Mit den Putz-Portalen teilen die Pflegevermittler allerdings nicht nur Technik und Geschäftsprinzip, sondern auch die grundlegenden Probleme. Statt Selbstständige lediglich zu vermitteln, sollten die Start-ups lieber reguläre, sozialversicherungspflichtige Vollzeitstellen schaffen, meint Norbert Proske, Ver.di-Gewerkschaftssekretär für stationäre und ambulante Pflege. Auch stelle sich die Frage, wie die Qualität der angebotenen Leistung sichergestellt werde.

Im Fall der einst aufstrebenden Putzportale kam die Stiftung Warentest vor gut zwei Jahren zu einem eher niederschmetternden Ergebnis. Die Dienstleistung entsprach nur in vier von zehn Fällen dem Onlineversprechen. Unter Experten ist zudem strittig, ob sich vermittelte Putzkräfte in einem scheinselbstständigen Rechtsverhältnis zu ihren Vermittlern und Auftraggebern befinden.

Expansion geplant

Die Revolution in der Reinigungsbranche ist jedenfalls ausgeblieben. Einige Anbieter wie Putzfee sind wieder vom Markt verschwunden. Andere wie BookaTiger haben hingegen das Geschäftsmodell gewechselt und sind mit festangestellten Mitarbeitern zu einem ganz gewöhnlichen Reinigungsunternehmen mutiert. Geblieben ist vor allem die Berliner Firma Helpling.

Im Pflegebereich treten nun einige Start-ups von vornherein nicht mit dem Marktplatzmodell an, sondern verlassen sich gleich von Anfang an auf Festangestellte. „Nur auf diesem Weg bekommen wir die besten Fachkräfte und können eine gute Qualität unserer Leistung sicherstellen“, sagt Philip Pünjer, einer der Gründer der Berliner Firma Pflegetiger. Das Unternehmen, das im Wesentlichen von RocketInternet finanziert wird, bezeichnet sich selbst als ambulanter Pflegedienst und bietet das gesamte Spektrum der Leistungen inklusive der Behandlungspflege samt Medikamentengabe, Wundversorgung oder Blutdruckmessung. Abgerechnet wird über die Kassen. Die 40 Fachkräfte sind examinierte Alten- oder Krankenpfleger.

Ausführliche Gespräche

Bei HelloCare in Hamburg ist eine Ausbildung als Altenpfleger bei den vermittelten Helfern hingegen eher die Ausnahme. Die meisten haben persönliche Erfahrungen in der Seniorenbetreuung gesammelt, einige sind Physio- oder Ergotherapeuten, die sich zu ihrem Hauptberuf etwas dazuverdienen möchten. „Wir führen mit jedem Bewerber ein ausführliches Gespräch, um zu sehen, ob er oder sie für die Betreuung alter Menschen geeignet ist“, sagt Pietschmann. Wer keine Erfahrung habe, dem würden in einem vierstündigen Kurs Grundlagen vermittelt. Minimalanforderung seien die Vorlage eines polizeilichen Führungszeugnisses und eines Erste-Hilfe-Zertifikats.

Die Arbeit mit Selbstständigen hat aus Sicht der HelloCare-Chefin den Vorteil, dass sich diese ihre Kunden aussuchen und die Arbeitszeit frei gestalten können. Langfristig kann sich die Chefin aber vorstellen, auf Festangestellte zu setzen. „Wir müssen sehen, wie sich der Markt entwickelt und was die Kunden verlangen.“ 2017 will sie jedenfalls kräftig wachsen und mit lokalen Partnern nach Bayern und ins Ruhrgebiet expandieren. „Das Potenzial ist riesig, denn unsere Zielgruppe in Deutschland wird aufgrund des demografischen Wandels immer größer.“