Hamburg. Kataloge waren gestern. Der Hamburger Handelskonzern Otto hat sich im Netz neu erfunden und will noch weiter investieren.

Aus der Ecke kommt ein bunter Poncho geflogen. Eylem Olgun fängt ihn gekonnt mit der rechten Hand, legt ihn um ihre Schultern, lächelt und dreht sich um sich selbst. „Gut so?“, fragt die 35-jährige. Der Kameramann nickt, die Regisseurin gibt ihr noch ein, zwei Anweisungen. Und dann fliegt er noch mal – der Poncho. Bei diesem Dreh im 7. Stock eines Bürogebäudes unweit der Europa-Passage an der Binnenalster geht es um das richtige Winter-Outfit für die modebewusste Frau von heute. Der Poncho segelt durch ein nachgebautes Wohnzimmer mit echten Möbeln, Bildern, Accessoires. Das Besondere an diesem Raum, in dem Eylem – wie sie hier nur mit Vornamen genannt wird – Mode präsentiert: Alles ist vom Hamburger Händler Otto, kann unter otto.de von konsumfreudigen Menschen bestellt werden.

Früher orderten die Kunden vor allem über den Katalog. Mehrere Hundert Seiten starke Wälzer kamen mit der Post direkt ins Haus. Die Familie verlor sich am Wochenende – gerade in der Vorweihnachtszeit – nicht selten für mehrere Stunden in dem bunten Marketingwerk. Man kreuzte Geschenke für das Fest an und hoffte, dass sie wenige Wochen später tatsächlich unter dem Weihnachtsbaum liegen würden. Heute ist der Katalog nur noch eine Randerscheinung im Konzern. Den Werbespruch „Otto ... find’ ich gut“ könnte man in mittlerweile in „Otto ... find ich online“ umschreiben.

Fast alle Kunden bestellen online

Denn geordert wird über das Netz. Und was es dort zu finden gibt, verkaufen die Werbeexperten des Unternehmens über die Online-Seite via Computer, die App auf dem Smartphone, über soziale Netzwerke wie WhatsApp und Twitter oder eben in Form kleiner YouTube-Filme, welche zum Beispiel mit Eylem nahe der Binnenalster gedreht werden. „Zuerst denken wir uns den Kampagneninhalt aus – und dann bespielen wir die verschiedenen Kanäle damit“, erklärt Marc Opelt, der bei der Otto Einzelgesellschaft den Vertrieb verantwortet.

Seit gut 25 Jahren ist Opelt bei dem Hamburger Unternehmen und kann sich gut erinnern, wie 1995 otto.de erstmals online ging. Damals wurden die Kollegen, die diese Neuerung zu verantworten hatten, noch belächelt. Es war nicht einfach, die Generation Katalog für den Weg ins World Wide Web zu begeistern. Mittlerweile dürfte es im Konzern niemanden mehr geben, der ernsthaft an der Notwendigkeit dieses Schrittes zweifelt. Schließlich ordern mehr als 60 Prozent der Kunden bei Otto ihre Ware über Laptop oder stationären Computer, 30 Prozent via Smartphone, und nur noch sechs bis sieben Prozent bestellen über das Call-Center oder den Katalog. Und auch die Werbeausgaben hat das Unternehmen dieser Entwicklung angepasst. „Vor fünf Jahren war das Marketingbudget bei uns mit etwa zwei Drittel zugunsten der klassischen Marketingkanäle wie Print und TV verteilt. Heute treiben wir auch hier die Digitalisierung voran: Diese klassischen Marketingkanäle machen mittlerweile nur noch etwa ein Drittel aus“, sagt Opelt. YouTube-Filme – wie jene von Eylem – werden somit immer wichtiger.

Eylem hat 25.000 Abonnenten

Mit viel Charme und der Begrüßung „Hey Leute“ oder „Hey, meine Lieben“ präsentiert Eylem regelmäßig ihre Videos auf dem Fashion & Lifestyle-Kanal von Otto bei YouTube. Alle drei Wochen sitzt sie in ihrem nachgebauten Wohnzimmer für zehn bis zwölf Stunden und dreht mehrere Folgen, von denen jeweils eine sonntags neu ins Netz gestellt wird. Dabei geht es fast immer um Klamotten. Die Clips haben Namen wie „Welches Sommerkleid passt zu meiner Figur?“, „Rihanna Party & Casual Style“ oder „Welche Sonnenbrille passt zu mir?“ Besonders wichtig: Die Sprache der Kundinnen treffen. Zielgruppe der Videoclips sind Frauen zwischen 18 und 35 Jahren. Da dürfen Begriffe wie „super easy“, „cool“ und natürlich „geil“ nicht fehlen. Am Ende jedes Filmchens wird dann das Otto-Logo eingeblendet, damit die Zuschauerinnen auch wissen, wo sie Bikini, Kleid oder Sonnenbrille bestellen können.

Mehr als 25.000 Abonnenten hat Eylem mit ihrem Fashion & Lifestyle-Format. Damit kommt sie nicht annähernd an die weltweiten YouTube-Stars heran, die zum Teil ein zweistelliges Millionenpublikum erreichen. Aber eine „treue Fangemeinde“ habe sie schon, sagt Eylem stolz. Ein nicht geringer Teil ihrer Arbeit besteht auch darin, mit ihren Zuschauerinnen zu chatten, Fragen zu beantworten, Tipps zu geben. „Das macht mir Riesenspaß“, sagt sie.

"Klassische Medien verlieren an Bedeutung"

Selbst wenn die Aktivitäten von Otto in den sozialen Medien noch überschaubar sind, gibt es für das Unternehmen vom Fachmann bereits Lob. „Otto produziert amüsante Videoclips, präsentiert hochwertige Fotos im Netz und macht vor allem sehr viele und regelmäßige Postings auf Facebook“, sagt Professor Henrik Sattler, der den Bereich Marketing & Branding an der Universität Hamburg leitet. Doch Sattler hat auch gleich noch ein paar Ratschläge für Otto und andere deutsche Unternehmen parat: „Sie sollten mehr Mut zu innovativen Formaten haben, überraschender sein, die Fans noch stärker einbinden.“

Die USA lägen hier weit vorne. So würde zum Beispiel Dominos Pizza in Amerika die jeweilige Lieblingspizza an Kunden ausliefern, wenn diese auf Twitter einen Tweet mit dem Hashtag #EasyOrder absetzten. Oder als beim Super Bowl 2013 kurzzeitig das Licht im Stadion ausfiel, reagierte die Keksmarke Oreo auf Twitter blitzschnell und veröffentlichte ein Motiv mit dem Spruch „Dippen kann man auch im Dunkeln“. Facebook, Twitter, YouTube und Co., da ist sich Sattler sicher, werden im Marketing die Zukunft gehören. „Klassische Medien verlieren dagegen weiter an Bedeutung“, sagt der Experte. Streaming-Anbieter wie Netflix würden bereits jetzt zunehmend das klassische Fernsehen ersetzen. Umso wichtiger sei es für Unternehmen, sich selbst und ihre Marken besonders originell in digitalen sozialen Medien zu präsentieren.

Eylem ist ein kleiner Baustein in dieser Strategie von Otto. Und nicht zu vergessen ihr Hund Kenzo, der immer mal wieder gerne durchs Bild läuft und von seinem Frauchen in die Videoclips integriert wird. Für Vertriebsvorstand Opelt steht Otto bei YouTube erst am Anfang einer langen Entwicklung. „Wir haben dort noch viel vor“, sagt er. So will das Unternehmen nicht nur Mode über kleine Clips an die Frau bringen, sondern auf diesem Weg einen weiteren, derzeit boomenden Bereich – das Geschäft mit Möbeln – promoten. Mehr wird noch nicht verraten. „Lassen Sie sich überraschen“, sagt Opelt.