Hamburg. Interview mit dem scheidenden Chef Hans-Otto Schrader über gute Geschäftszahlen, neue Projekte und sein Leben nach dem Spitzenjob

Es ist sein vielleicht letztes großes Interview im Abendblatt als Vorstandsvorsitzender der Otto Gruppe. Hans-Otto Schrader verlässt Ende 2016 nach mehr als neun Jahren den Chefsessel beim Hamburger Versandhändler. Doch sein Ehrgeiz für die verbleibenden knapp drei Monate ist noch groß. An den Ruhestand mit 60 Jahren mag er noch nicht denken.

In knapp drei Monaten werden Sie den Chefposten der Otto Group abgeben. Was überwiegt bei Ihnen – die Vorfreude auf mehr Freizeit oder Wehmut, dass Sie den Posten verlassen?

Hans-Otto Schrader: Noch beschäftige ich mich nicht mit dieser Frage. Ich habe noch so viele Themen, die ich angehen möchte – und zugleich bereite ich die schrittweise Übergabe von Aufgaben und Verantwortung an meinen Nachfolger Alexander Birken vor. Noch ist mein gedanklicher und emotionaler Fokus voll bei der Otto-Gruppe.

Haben Sie denn schon etwas Besonderes vor im kommenden Jahr – eine Weltreise, einem verrückten, neuen Hobby nachgehen, mehr Zeit mit der Familie verbringen?

Ich möchte mich auf jeden Fall noch stärker als bisher in sozialen Projekten engagieren. Hier treffe ich tatsächlich schon ein paar Vorbereitungen. Zudem bekomme ich derzeit noch Angebote, in weiteren Aufsichtsräten tätig zu sein. Und sicherlich werde ich auch reisen – aber das wird für mich nicht im Zen­trum stehen. Schließlich bin ich als Manager bei der Otto Group bereits so viel in anderen Ländern unterwegs gewesen, dass ich diesbezüglich nicht wirklich einen Nachholbedarf habe.

Sie gehen bereits mit 60 – wie viele andere Manager – in den Ruhestand. Dabei wird in Deutschland gerade wieder über die Heraufsetzung des gesetzlichen Rentenalters auf 67 Jahre diskutiert. Können Sie den Unmut vieler einfacher Arbeitnehmer über diese Rentenalters-Unterschiede verstehen?

Das ist eine sehr berechtigte Frage. Ich kann durchaus verstehen, dass es hier eine Gerechtigkeitsdiskussion gibt. Es mag ein Trost sein, dass meine Firma mir dieses Privileg einräumt und die Rentenkassen nicht zusätzlich belastet.

Sie haben 2015/16 die Rückkehr in die operative Gewinnzone geschafft und den Umsatz um mehr als fünf Prozent gesteigert. Wie ist das erste Halbjahr des aktuellen Geschäftsjahres gelaufen?

Sehr erfreulich. Denn wir liegen sogar über unseren Plänen. Ich war für das Gesamtjahr von einem Umsatzplus in Höhe von vier Prozent auf vergleichbarer Basis ausgegangen, derzeit laufen wir eher in Richtung fünf Prozent. Nun müssen wir noch das Weihnachtsgeschäft abwarten. Aber ein Umsatzplus von fünf Prozent halte ich für realistisch – das liegt deutlich über dem erwarteten Wachstum im gesamten Einzelhandel.

Was sind die Gründe dafür?

Zum einen haben wir uns konsequent von Gesellschaften getrennt, die wir für nicht länger zukunftsfähig hielten – davon profitiert die gesamte Otto-Gruppe. Man kann sagen: Wir haben bei Otto aufgeräumt. Zudem laufen unsere Geschäfte in den USA mit plus zehn Prozent überdurchschnittlich gut. Und schließlich freuen wir uns über das starke Umsatzplus von mehr als fünf Prozent bei unseren großen Aktivitäten wie der Otto Einzelgesellschaft und unserem Modehändler Bonprix.

Wie ist die Entwicklung bei Ihrem noch sehr jungen Modeanbieter About You?

Exzellent. Im vergangenen Jahr lag
About You beim Umsatz bereits auf Platz 70 der deutschen Onlineshops. 2016 dürfte es About You in die Top Ten der Onlinemodehändler schaffen – und das zweieinhalb Jahre nach Gründung.

Wie entwickelt sich derzeit der Gewinn der Otto Group?

Wir werden 2016 beim Ergebnis vor Steuern (Ebt) robust über dem Vorjahr liegen. Und durch die Konsolidierung unseres Frankreich-Geschäfts sollten wir auch nach Steuern wieder schwarze Zahlen schreiben.

Was bedeutet robust?

Wir erwarten für das Gesamtjahr ein Gewinnplus von mehr als zehn Prozent.

Ihr Versender Hermes hat gerade mit den ersten Tests von Paketrobotern für Schlagzeilen gesorgt – werden wir uns langfristig an den Einsatz Tausender kleiner Roboter in unseren Städten gewöhnen müssen oder handelt es sich dabei um eine Spielerei?

Nein, das ist ganz sicher keine Spielerei. Die Roboterisierung wird die Welt verändern. Und wir sind mit unserem Forschungs- und Entwicklungsprojekt mit dabei. Wir wollen nicht nur zuschauen, sondern mitgestalten. In welcher Größenordnung diese Roboter eines Tages tatsächlich auf deutschen Straßen unterwegs sein werden, kann man heute aber noch nicht voraussagen.

Das Unternehmen Otto verbinden die meisten vor allem mit dem Versand von Kleidung. Sie sind aber mittlerweile der größte Onlinehändler für Möbel – noch vor Ikea. Wie sind die Geschäfte in diesem Segment im aktuellen Geschäftsjahr gelaufen?

Ausgezeichnet. Das ist eine reine Erfolgsgeschichte – seit Jahren. Und ich gehe davon aus, dass wir hier wieder ein Umsatzplus von deutlich mehr als zehn Prozent haben werden – übrigens mit sehr guten Margen.

Warum boomt der Möbelhandel online?

Ich glaube, hier hat die Onlinepräsentation einen klaren Vorteil gegenüber dem klassischen Katalog. Wir bieten online Videos an, sodass sich der Kunde genau anschauen kann, ob die Möbel zu seinem Zuhause passen. Wir bieten zudem persönliche Beratung und einen unschlagbaren Aufbauservice an. Sehr positiv ist auch, dass unsere Retourenquote für Möbel rückläufig ist.

Wie sehen Sie die Zukunft zwischen dem Internethandel und den Modegeschäften in den Städten? Wird es bald nur noch Showrooms in den Citylagen geben, gekauft wird dann aber per Smartphone, Tablet oder Laptop online?

Der stationäre Handel wird ganz sicher nicht aus den Städten verschwinden, denn die Menschen lieben das Shoppen und Flanieren. Allerdings werden es stationäre Händler schwer haben, die sich der neuen Internetwelt verschließen und Stationärgeschäfte nicht mit Online verknüpfen.

Wie kaufen Sie eigentlich persönlich ein?

Ich kaufe schon sehr viel bei der Otto Group. Aber für Produkte des täglichen Bedarfs bin ich – wie jeder andere auch – im stationären Handel unterwegs.

Bei Otto soll man Produkte nicht nur kaufen, sondern bald auch leihen können. Waschmaschinen, Sportgeräte, Fernseher zum Mieten – ein Zukunftsmarkt oder nur ein Versuchsballon?

Diese Idee ist im Rahmen unseres Programms Kulturwandel 4.0 entstanden. Zehn junge Mitarbeiter haben sich zusammengesetzt und uns diesen Vorschlag unterbreitet. Wir stellen nun die finanziellen Mittel zur Verfügung und probieren das aus. Ob diese Idee am Ende funktionieren wird, können wir auch noch nicht sagen. Aus der Start-up-Branche wissen wir, dass am Ende sich eine von zehn neuen Ideen am Markt etabliert. Wir werden noch in diesem Monat mit dem Leihprojekt starten.

Ihr Kulturwandel 4.0 hat vor allem mit der Duz-Offensive für Schlagzeilen gesorgt. Was hat sich noch geändert – außer der Tatsache, dass Sie nun jeder im Unternehmen mit Ihrem Spitznamen „Hos“ ansprechen darf?

Sehr viel. Wir stimmen heute die Ziele der verschiedenen Bereiche viel stärker aufeinander ab. Wir lassen den Mitarbeitern mehr Freiraum, um selbstbestimmt zu arbeiten. Wir fördern mehr vorhandene Talente und teilen die Arbeit untereinander besser auf. Und das vielleicht Wichtigste: Wir teilen das Wissen über alle Abteilungsgrenzen hinweg – davon profitiert am Ende das gesamte Unternehmen. Aber auch für den Kulturwandel gilt: Es ist ein Prozess, den wir gerade erst begonnen haben.