Hamburg. Abendblatt-Reporterin Miriam Opresnik ändert ihr Leben, will etwas für die Umwelt tun. Teil 11: Ökobilanz von Haushaltsgeräten.
Mir steh’n die Haare zu Berge! Und das liegt ausnahmsweise mal nicht daran, dass Claas (4) im Kinderzimmer seine eigene Art der Chaostheorie auslebt, sondern an meiner selbstverordneten Elektro-Askese. Ich will im Rahmen der Umweltserie meinen exzessiven Gebrauch von Elektronik-Geräten minimieren und bereits morgens im Bad auf alles mit Stecker verzichten – also auch auf Föhn, Glätteisen und Lockenstab. Das erste Ergebnis ist, man kann es nicht besser sagen: haarsträubend. Jetzt hilft nur noch ein Kaffee, um es mental mit dem heutigen Elektro-Entzug aufnehmen zu können. Doch wie macht man Kaffee ohne passende Maschine, ohne Wasserkocher oder Kochtopf? Genau! Gar nicht!
Kerze statt Deckenfluter
Die Sache ist klarer als das Mineralwasser, das es an diesem Morgen zum Frühstück gibt: Die Spielregeln für das Elektro-Experiment müssen neu ausgelegt werden. Ein Totalboykott ist schwerer umzusetzen als ein Fernsehverbot, ein Leben ohne Kochherd und Waschmaschine, ohne Licht, Computer und Handy schier undenkbar. Ich weiß! Früher gab es das auch alles nicht – und es ging! Dementsprechend leicht, fast schon romantisch, hatte ich mir den Elektronik-Entzug im Vorfeld auch vorgestellt. Mit Kerzenschein statt Deckenfluter, Vorlesen statt Fernsehen, Räuber-Picknick statt selbstgekochtem Essen, Kaminfeuer statt Heizung. Blöd nur, dass selbst die Kerzen bei uns aus Sicherheitsgründen LED-Flammen haben und das Licht so schwach ist, dass man dabei kaum vorlesen kann. Und einen Kamin haben wir sowieso nicht. Mal abgesehen davon, dass dessen Umweltbilanz verheerender ist als meine!
Lebensdauer immer kürzer
Aber zurück zum Monatsthema, zurück zu den Problemen. Zu der ständig steigenden Anzahl an Elektrogeräten, deren Lebensdauer immer kürzer wird. Die immer schneller und schneller gegen neuere Modelle ausgetauscht werden. Die für eine permanent zunehmende Masse an Elektroschrott sorgen. Und die für einen Stromverbrauch verantwortlich sind, der außerhalb meines Vorstellungsvermögens liegt.
Eigentlich müsste an dieser Stelle eine leere Seite erscheinen. Ohne Text, ohne Wörter, ohne Zahlen. Weil schon die Recherche für diesen Artikel streng genommen negative Auswirkungen auf die Umwelt hat. Weil jedes Googeln, Downloaden und Recherchieren im Internet, jedes Arbeiten am Computer Strom verbraucht. Sie meinen, das sind doch Kleinigkeiten? Habe ich auch gedacht! Bis ich gelesen habe, dass die Informations- und Kommunikationstechnik in Deutschland rund 33 Millionen Tonnen CO2-Emissionen verursacht – mehr als der gesamte deutsche Luftverkehr. Allein der Betrieb und die Kühlung aller Server in Deutschland verbrauchen rund zehn Milliarden Kilowattstunden. Tendenz steigend. Insgesamt hat sich der Stromverbrauch in den vergangenen 50 Jahren fast vervierfacht – auf rund 7000 Kilowattstunden pro Kopf.
Mal eine Denkpause eingelegt
Da ich ja einfacher gestrickt bin als ein Schal, muss ich an dieser Stelle erst mal eine Denkpause einlegen. Frage mich, ob der Stromverbrauch trotz zunehmender Technisierung insgesamt nicht trotzdem abnehmen müsste, da neue Geräte in der Regel doch wesentlich energieeffizienter sind. Warum genau das Gegenteil der Fall ist, erklärt der Naturschutzbund Nabu so: Da die Geräte oft größer und leistungsstärker sind und mehr im Einsatz sind, werden die Fortschritte in der Energieeffizienz, absolut gesehen, wieder ausgeglichen.
Man spricht hier von einem Rebound-Effekt, also von Rückprall. Bestes Beispiel: Obwohl die heutigen Flachbildschirme sparsamer sind als gleichgroße Röhrenfernseher, steigt der Stromverbrauch, da die Bildschirme aufgrund der neuen Technologie immer größer werden. An dieser Stelle muss ich leider mal wieder als Negativ-Beweis herhalten und zugeben, dass unser heutiger Flachbildschirm fast doppelt so groß ist wie unser erstes gemeinsames Fernsehgerät.
Horrender Stromverbrauch
Als es im Februar im Rahmen der Serie um das Thema Energie und Wasser ging, habe ich mich furchtbar für unseren horrenden Stromverbrauch geschämt – und viel dafür getan, um diesen zu senken. An all die Geräte im Haushalt, die dafür verantwortlich sind, und was deren Herstellung für die Umwelt bedeutet, habe ich nicht gedacht. Bis jetzt. Bis ich recherchiert habe, wie viele wertvolle und knappe Metalle wie Gold, Silber, Tantal oder Platin darin stecken. Wie groß der Einsatz von Energie und Wasser beim Abbau ist. Wie stark die Umweltbelastung ist. Und wie verschwenderisch wir mit den Endgeräten umgehen.
Inzwischen werden Handys, Computer und Co. schneller ausgetauscht als die Frauen von Lothar Matthäus. Einer Umfrage von Greenpeace zufolge legt sich ein Deutscher alle zwei Jahre ein neues Handy zu. Allein 2015 sind in Deutschland mehr als 26 Millionen Smartphones verkauft worden, 2016 werden es nach Schätzungen etwa 28 Millionen sein. Etwa 1000 Tonnen wertvolle Rohstoffe aus Mobiltelefonen landen jährlich im Müll – und das alleine in Deutschland. Das ist rund ein Zehntel des Gewichts des Eiffelturms.
Mir geht ein Licht auf. Sagt man bekanntlich ja, wenn man plötzlich etwas versteht. Doch ich verstehe gerade gar nichts. Verstehe nicht, seit wann wir alle vom Wegschmeiß-Virus befallen sind? Warum wir massenhaft tadellos funktionierende Geräte entsorgen, nur weil es neuere Modelle gibt, schnellere. Warum Geiz nur beim Elektro-Einkauf geil ist – nicht aber bei der dauerhaften Nutzung? Warum wir uns so einfach von Werbeversprechen und Mobilfunkanbietern manipulieren lassen?
Bio als Schulfach?
Und warum wir jedes Gefühl für den Wert eines Gerätes verloren haben – und jeden Respekt vor der Umwelt? Ich weiß, es ist merkwürdig, dass ausgerechnet ich das schreibe. Ich, die im vergangenen Jahr gezeigt hat, dass sie weniger Ahnung vom Umweltschutz hat als die Amerikaner von der Präsidenten-Wahl. Die Bio lange für ein Schulfach gehalten hat und deren Reiswaffeln ökologischer sind als sie selbst. Die auch nach elf Monaten zwar noch nicht grün ist – die aber nie, wirklich nie, ein funktionierendes Elektrogerät einfach verschrotten würde.
Zum ersten Mal wird mir klar, dass ich gar nicht auf ganzer grüner Linie versagt habe. Dass auch ich was für die Umwelt tue. Auch wenn mich bisher eher finanzielle als ökologische Gründe motiviert haben. Entscheidend ist, dass ich jedem Stecker treuer bin als viele Menschen ihren Ehepartnern. Mein Eierkocher stammt aus dem letzten Jahrtausend, mein Waffeleisen aus Zeiten der D-Mark und die Saftpresse aus einem Leben, als es noch vierstellige Postleitzahlen gab (zumindest steht eine solche auf der Garantiekarte).
Bei uns im Haus gibt es ein Elektro-Eheversprechen: Bis dass der Tod uns scheidet. Bis der Toaster den Geist aufgibt, der Mixer nicht mehr mixt und dem Föhn die Luft ausgeht. Selbst als neulich eine Stichflamme aus dem Bügeleisen loderte (das war vielleicht ein Schock!), hat mein Mann das Corpus Delicti nicht sofort entsorgt, sondern auseinandergebaut, repariert und wieder in den Umlauf gebracht. Auch wenn ich das Teil nicht mehr benutze und seitdem den Verdacht hege, dass mein Mann seine Elektro-Geräte mehr pflegt als mich, wenn ich krank bin.
Totale Elektro-Monogamie
Trotzdem heißt das nicht, dass wir in totaler Elektro-Monogamie leben, sondern ein fein ausgetüfteltes Stecker-Charing-System haben. Das war schon in meiner Kindheit so: Wenn mein Vater sich einen neuen Kassettenrekorder oder Fotoapparat kaufte, bekam mein großer Bruder sein ausgedientes Gerät – und ich dann das alte meines Bruders. Damals fand ich das zwar ein bisschen ungerecht, dass ich das letzte Glied in der Recycling-Kette war, aber inzwischen bin ich immerhin auf den zweiten Platz vorgerückt und übernehme regelmäßig die alten Handys oder Smartphones vom Mann im Haus (nicht zu verwechseln mit dem Herrn im Haus!). Das von mir ausrangierte Mobiltelefon geht dann an meine Mutter, die ihres wiederum im Bekanntenkreis weitergibt.
Was ich bei Klamotten nie geschafft habe, fällt mir bei Elektronik ganz leicht. Secondhand. Selbst mein Laptop ist gebraucht – und den habe ich immerhin zum Geburtstag bekommen. Damals fand ich das zwar reichlich kleinlich, dass mein Mann keinen neuen gekauft hat, sondern mich mit einem Notebook aus zweiter Hand abgespeist hat. Aber inzwischen, als Öko-Bekehrte, stehe ich natürlich total hinter dem IT-Remarketing. Das Prinzip: Firmen wie beispielsweise Delwi in Hamburg kaufen gebrauchte IT-Produkte wie PCs, Notebooks, Monitore, Drucker, Kopierer auf und verkauft diese nach Wartung und Instandsetzung weiter – oft sogar mit Garantie. Dem Secondhand-Laptop sei Dank werde ich also Ende des Jahres auf meiner Öko-Bilanz wenigstens einen Pluspunkt haben. Garantiert!
21 Kilo E-Müll pro Jahr
Trotzdem: Wie immer an solchen Stellen frage ich mich ja, was meine kleinen Bemühungen bringen? Was ich persönlich schon ausrichten kann – angesichts von weltweit knapp 42 Millionen Tonnen Elektroschrott, die jährlich produziert werden. Allein in Deutschland verursacht jeder Mensch 21,7 Kilo E-Müll pro Jahr. Das ist etwa so viel, wie Claas wiegt. Im EU-Durchschnitt sind es 18,7 kg.
Das ist doch Müll! Anders kann man das nicht nennen! Zum Glück gibt es Leute, die aus Müll Gold machen. Die Elektro-Altgeräte von den Recyclinghöfen und Sammelcontainern nicht einfach verschrotten, sondern ihnen neues Leben einhauchen. So wie Stilbruch, ein Tochterunternehmen der Hamburger Stadtreinigung, das noch brauchbare Waren aus Sperrmüllsammlungen aufarbeitet und verkauft. Seit rund einem Jahr gibt es sogar eine hauseigene Werkstatt zur Überprüfung von Elektro-Altgeräten. Hier wird jeder aussortierte Staubsauger, jeder Fernseher und jedes Radio genau kontrolliert und mit einem „Geprüft“- Aufkleber versehen, bevor sie in den Verkauf kommen. Und um auszuschließen, dass es bei der Handhabung zu einem Stromschlag kommen kann, werden bestimmte Geräte zusätzlich einer Prüfung nach DIN-Norm unterzogen.
Allein in den vergangenen zwölf Monaten hat Stilbruch 25.327 elektrische Geräte verkauft. „Das ist ein Paradebeispiel für Abfallvermeidung – und Umweltschutz“, sagt Andree Möller, Sprecher der Stadtreinigung Hamburg. Jedes Gerät, das repariert werde und zurück in den Kreislauf komme, müsse nicht neu produziert werden.
Doch die Sache ist komplizierter als die Bauanleitung von Carlottas Prinzessinnenschloss: Immer mehr Geräte in Deutschland werden nämlich nicht grundlos frühzeitig ausgetauscht – sondern gehen vorzeitig kaputt. Das hat eine Studie des Umweltbundesamtes ergeben. Demnach hat sich die Erstnutzungsdauer von großen Haushaltsgeräten in Deutschland in den letzten zehn Jahren von 14,1 auf 13 Jahre verringert. Hauptursache für den Austausch ist ein Defekt. Höchste Zeit also, dass wir eine Art Mindesthaltbarkeit für Elektro- und Elektronikgeräte bekommen, über die das Umweltbundesamt nachdenkt.
Denkzettel der Kinder
Apropos: Einen Denkzettel haben mir mal wieder Claas und Carlotta verpasst, die sich den Plüschlöwen Kion aus der Zeichentrick-Serie „Garde der Löwen“ wünschten – der auf Knopfdruck brüllen kann. Selbstredend, dass ich mit meinem neuen Wissen über umweltschädliche Batterien in Kinderspielzeug so einen Quatsch nicht mehr konsumiere und stattdessen zwei Kion-Plüschtiere ohne derartige Soundfunktion gekauft habe. Können Sie sich vorstellen, wie die Kinder geguckt haben? Wie sie vergeblich versucht haben, ihren Löwen einen Ton zu entlocken? Das war alles andere als zum Brüllen komisch und hat mein neuerworbenes Umweltbewusstsein ganz schön erschüttert. Claas und Carlotta haben jetzt angekündigt, sich den richtigen Löwen noch mal vom Weihnachtsmann zu wünschen. Mal gucken, wie es der mit dem Umweltschutz hält. Immerhin verzichtet er ja aufs Auto und kommt mit dem Rentierschlitten.
Alle Folgen der Serie finden Sie online unter www.abendblatt.de/umweltserie
Der letzte Serieteil erscheint am 31. Dezember: Weihnachten & Co.