Hamburg. Warum eine Abendblatt-Redakteurin heimlich den gelben Sack durchwühlt und ihren Abfall bei der Arbeit entsorgt, das lesen Sie jetzt.
Da haben wir den Salat. Leider nicht im Biomüll, wo er hingehört. Sondern im gelben Sack. Und da hat er natürlich nichts zu suchen. Logisch! Zumindest für Menschen über 1,30 Meter. Doch für Claas, 4, und Carlotta, seit neuestem 7, ist Mülltrennung immer noch ein Abfalleimer mit sieben Siegeln. Da werden Salatblätter nach Meinung der Kinder im gelben Sack entsorgt, („weil wir die Verpackung doch auch da reingetan haben“), wandern Taschentücher ins Altpapier („weil die doch auch aus Papier sind“) und kaputte Plastikautos in den Restmüll („weil in den gelben Sack doch nur Joghurtbecher kommen“).
Dass diese Art der Mülltrennung gar nicht so falsch ist, erfahre ich leider erst später. Nämlich nachdem ich das Spielzeugauto mit spitzen Fingern aus dem Abfall gefischt und dort entsorgt habe, wo es hingehört – meiner Meinung nach: in den gelben Sack, bei uns auch „Plastikmüll“ genannt. Die Erkenntnis, dass diese Bezeichnung ebenso falsch ist wie die dort von uns seit Jahren beseitigten Plastikabfälle, erschüttert mein Weltbild mehr als ein mittelschweres Erdbeben.
Aber Halt! Bevor Sie jetzt ebenfalls Ihren Müll durchwühlen und Kunststoffe von einer Abfalltonne in die nächste umsortieren – überprüfen Sie zunächst Ihren Wohnort und die dortigen Müllsammel-Regeln. Denn allein davon hängt ab, was in den gelben Sack, oder die gelbe Tonne, darf – und was nicht. Ich weiß, das klingt, als ob ich außerhalb der EU lebe. Tatsächlich sind es aber nur rund drei Kilometer bis zur Stadtgrenze von Hamburg. Aber es sind drei entscheidende Kilometer. Weil sie den Unterschied ausmachen. Den Unterschied zwischen Hamburg und Schleswig-Holstein. Zwischen Stadtreinigung Hamburg und Abfallwirtschaft Südholstein. Zwischen sogenannten stoffgleichen Verpackungen und Verkaufsverpackungen. Zwischen was, bitte?
Zeit für Erklärungen, Zeit für einen Experten. Reinhard Fiedler ist Sprecher der Stadtreinigung Hamburg und erklärt, was es mit diesen stoffgleichen Verpackungen auf sich hat, die in der gelben Hamburger Wertstofftonne gesammelt werden: „Das sind haushaltsübliche Gegenstände, die mindestens zur Hälfte aus Kunststoff oder Metall bestehen – also aus dem gleichen Material wie viele Verkaufsverpackungen. Daher der Begriff stoffgleich! In der Praxis bedeutet dies, dass in Hamburg beispielsweise auch Spielzeuge und Filzstifte, Duschvorhänge und Kleiderbügel, Pfannen und Töpfe in die gelbe Wertstofftonne dürfen – und nicht nur Verkaufsverpackungen, so wie es fast überall in Deutschland der Fall ist.“
Klingt ein bisschen, als ob Hamburg das unbeugsame gallische Dorf des Müll-Widerstandes ist. Oder eine Art Silicon Valley der Müllsammlung, wie es Reinhard Fiedler nennt. Weil Hamburg schon das umsetzt, worüber bundesweit noch diskutiert wird.
Stellt sich die Frage: Und was bin ich? Ein Wandler zwischen den Müllwelten! Bin ich bei der Arbeit, muss ich einen kaputten Stift in der gelben Wertstofftonne entsorgen – zu Hause aber im Restmüll. Irgendwie total absurd – oder einfach für die Tonne!
Olaf Stötefalke, Sprecher der Abfallwirtschaft Südholstein, weiß, auf welches Unverständnis die unterschiedlichen Richtlinien bei den Verbrauchern stoßen. „Es ist einfach nicht zu verstehen, warum der gleiche Gegenstand an zwei unterschiedlichen Orten auf verschiedene Weise gesammelt und entsorgt wird“, gibt Stötefalke zu. Natürlich stelle man sich als Verbraucher die Frage, warum ein Joghurtbecher in den gelben Sack kommt – ein Plastikeimer meistens aber nicht, obwohl beide aus dem gleichen Material bestehen.
Die Antwort: Der gelbe Sack und die gelbe Tonne sind ein privatwirtschaftliches Sammelsystem, das sich über die Pflichtabgabe finanziert, die die Hersteller von Verpackungen leisten müssen. Das heißt: „Da die Finanzierung der Gelber-Sack-Sammlung auf den Entgeltzahlungen der Verpackungshersteller an die beauftragten Entsorgungsfirmen beruht, sind die Kosten für weitere stoffgleiche Nichtverpackungen wie Plastikspielzeug also nicht gedeckt“, sagt Stötefalke. Bemühungen, diese Sammlung durch ein sogenanntes Wertstoffgesetz zusammenzufassen, seien bisher von keiner Regierung zu einem positiven Ergebnis geführt worden.
Je länger ich mich mit dem Thema beschäftigte, um so frustrierter werde ich. Und diesmal liegt das ausnahmsweise mal nicht an mir und meinen Fehlern. Sondern an dem Gefühl, dass ich eh nichts bewirken kann. Dass meine persönliche Mülltrennung angesichts von insgesamt rund 400 Millionen Tonnen Müll in Deutschland jährlich vollkommen unbedeutend ist. Dass es total unsinnig ist, meinen Müll zu Hause penibel zu sortieren, während der Abfall in der U-Bahn in einem Behälter landet und viele meiner Kollegen noch nicht mal unterschiedliche Tonnen für Bio- und Plastikmüll haben – sondern alles über die schwarze Restmülltonne entsorgen.
Ich muss mich immer wieder daran erinnern, dass die Serie nicht heißt: „Ich rette die Welt“, sondern „Ich werde grün“. Ich. Ich alleine. Und nicht die anderen. Also mache ich weiter. Und hoffe, dass andere nachziehen. Mitmachen. Laut Stadtreinigung Hamburg sind derzeit nur 80 Prozent der Haushalte, bei denen eine Biotonne aufgestellt werden kann, auch tatsächlich an die Biotonne angeschlossen – 20 Prozent aber nicht. 90 Prozent haben eine Papiertonne – zehn Prozent aber nicht. Was das bedeutet, das wird angesichts der Restmüllanalyse klar, bei der jährlich Müllstichproben an 1700 Standorten in ganz Hamburg genommen und ausgewertet werden.
Im Durchschnitt befinden sich in einer Restmülltonne fast 35 Prozent kompostierbare Masse, die eigentlich in die Biotonne gehören. Mehr als zwölf Prozent sind Papier sowie Pappe und müssten in die blaue Tonne, fast sechs Prozent sind Kunststoff und gehörten in den gelben Sack. Sechs Prozent sind Glas und sollten in einen entsprechenden Container entsorgt werden. „Trotz Mülltrennung landen immer noch viel zu viele verwertbare Abfälle in den Restmülltonnen. Dabei sind Wertstoffe wie Plastik, Papier, Verpackungen, Glas und Küchenabfälle viel zu schade für die Restmülltonnen“, so Fiedler, der seinen Bioabfall im eigenen Schrebergarten kompostiert, weil sein Vermieter keine Biotonne aufstellen will.
Ausgerechnet in meinen Müll-Breitengraden sind die Werte übrigens noch schlechter. In Südholstein besteht der Inhalt einer Restmülltonne fast zu 40 Prozent aus Bioabfällen. In Haushalten ohne Biotonne liegt der Anteil sogar bei mehr als 46 Prozent. Trotzdem, so Olaf Stötefalke, wurde schon viel erreicht. „In den vergangenen drei Jahren konnten wir die Menge der Bioabfälle von 30.000 auf 40.000 Tonnen steigern.“ Dagegen seien die Mengen im gelben Sack (circa 11.000 Tonnen) eher untergeordnet.
Übrigens: Bevor Sie voreilige Rückschlüsse von den erschreckenden Ergebnissen der Auswertung in meinem Müllkreis auf mein persönliches Verhalten ziehen! Sie irren sich! Denn Mülltrennung ist echt mein Ding. Im Gegensatz zu vielen anderen Aufgaben im Rahmen der Umwelt-Serie bin ich hier echt schon ziemlich öko. Klar, bei einem Mülltrennsystem in der Küche, das mehr Platz als alle Töpfe und Pfannen zusammen beansprucht, und einer Altpapiertonne, die so groß ist, dass Claas und Carlotta da gleichzeitig reinpassen. Haben die Kinder neulich mal ausprobiert, als wir „Oscar in der Mülltonne“ gesehen haben.
Man könnte also sagen, die Bedingungen sind optimal. Abgesehen davon, dass die Viergliedrige-Mülltrenn-Zentrale in der Küche und der Garage angesiedelt ist – und daher manchmal angesichts langer Laufwege ausgehebelt wird. Zum Beispiel, wenn Claas das letzte Toilettenpapier aufbraucht und keine Lust hat, die leere Rolle runter in die Küche ins Altpapier zu bringen – sondern im Restmüll auf dem WC entsorgt. Oder wenn Carlotta im Kinderzimmer malt und ein misslungenes Bild in den Mülleimer schmeißt – anstatt es in die blaue Tonne zu werfen. Oder wenn die Kinder winzige Essensreste auf ihren Tellern lassen und niemand für drei Nudeln oder einen Löffel Soße zur Biotonne nach draußen rennen will. Oder wollte.
Denn das ist Vergangenheit! Seit mir die Müllexperten aus Hamburg und Schleswig-Holstein erzählt haben, dass gerade die Essensreste so wertvoll sind, kommen bei uns selbst Cornflakes-Reste mit Milch in die Biotonne (natürlich in Zeitungspapier eingewickelt). Denn allein mit den 70.000 Tonnen Hamburger Bioabfall können stündlich bis zu 350 Kubikmeter Biomethan erzeugt werden, das in einer Aufbereitungsanlage gereinigt und in Erdgasqualität in das Gasversorgungsnetz eingespeist wird. Der Energiegehalt des erzeugten Biomethans entspricht dem Strombedarf von mehr als 11.000 Zwei-Personen-Haushalten. Was nach der Gasgewinnung übrig bleibt lassen die Entsorger anschließend zu Kompost verrotten.
Übrigens: Der Biomüll aus Hamburg wird im Biogas- und Kompostwerk Bützberg weiterverarbeitet. Und das liegt quasi bei uns vor der Haustür. Frage mich zwar kurz, warum der Biomüll aus der Hansestadt nach Tangstedt gekarrt wird, während der Inhalt unserer braunen Tonne nach Trittau kommt, verwerfe die Frage dann aber schnell wieder. Habe gelernt, nicht zu viel zu hinterfragen und anzuzweifeln. Sondern einfach weiterzumachen.
Ein falsches Glas im Container und der ganze Inhalt ist hin
Konzentriere mich lieber auf die Feinheiten: Muss ich das Fenster aus einem Briefumschlag herausschneiden und getrennt entsorgen? Und wohin gehören Kassenzettel und Medikamente? Telefoniere im Moment öfter mit der Stadtreinigung als mit meinem Mann. Lerne, dass Fensterumschläge oder Nudelschachteln mit Sichtfenster komplett in die Papiertonne dürfen und Plastik, bei der Aufbearbeitung zu Recyclingpapier automatisch rausgetrennt wird – genauso wie Kosmetikproben in Zeitschriften, Heftklammern oder die Plastiklaschen von Preisschildern. Kassenzettel haben hingegen in der blauen Tonne oft nichts zu suchen – wenn sie aus Thermopapier sind! Dann gehören sie in den Restmüll. So wie alte Medikamente.
Dass Joghurtbecher nicht ausgespült werden sollen, weil es in der Gesamtumweltbilanz keinen Sinn macht, wusste ich zwar schon vorher. Dass der Aludeckel aber komplett vom Becher abgetrennt werden muss, weil sich die Sensoren der Sortieranlagen sonst nicht zwischen den verschiedenen Materialien entscheiden können und das Teil als nicht verwertbare Mischfraktion in der Sortieranlage ausgesondert wird, ist mir neu. Genauso wie die Tatsache, das mit einem einzigen falschen Einwurf in den Glascontainer ganze Ladungen nicht mehr recycelt werden können. Und dass ich ein sogenannter Stopfer bin. Jemand, der in leere Konservendosen andere Abfälle, die nicht aus Metall sind, stopft – und damit den ganzen Sortiervorgang stört.
Rund 35.000 Tonnen Müll aus der gelben Tonne wurden im vergangenen Jahr in Hamburg gesammelt, sortiert und wiederverwertet – sofern das möglich war. Denn wie viel davon im Endeffekt recycelt wird, kann man nicht sagen. Experten gehen davon aus, dass nur bis zu 50 Prozent der eingesammelten Kunststoffe recycelt werden. Wobei Recycling nicht bedeutet, dass daraus Putzeimer oder Parkbänke gemacht werden. Auch das Verbrennen von Plastikmüll, also die sogenannte energetische Verwertung, gilt als Recycling. Klar ist aber auch: Es geht nicht nur darum, Müll zu recyceln – sondern lieber ganz zu verwerten. Und darin bin ich nach wie vor so schlecht wie die Kinder bei der Mülltrennung.
Ach so! Claas will kaputte Plastikautos jetzt gar nicht mehr wegschmeißen, weil ihm das zu kompliziert ist. Gut, dass er nicht mitbekommen hat, wie ich das Ding aus dem gelben Sack gefischt und ordnungsgemäß entsorgt habe. Nicht zu Hause im Restmüll! Sondern beim Abendblatt in Hamburg. In der gelben Wertstofftonne.