Hamburg. Warum es bei Kleidung nicht nur um Bio-Baumwolle geht, sondern auch um Superhelden, lesen Sie heute.

Muss im falschen Laden sein. Eindeutig, kein Zweifel. Will für die Umweltserie ökologisch nachhaltig produzierte Klamotten kaufen und habe mich seelisch auf scheußliche Wollpullover und gebatikte Baumwollstoffe eingestellt. Und dann das! Lande bei meiner Bio-Moden-Premiere in der Marktstraße bei Glore – und stelle beschämt fest, dass das einzig Scheußliche hier meine Vorurteile sind. Der Rest ist einfach fabelhaft. Um es mal mit den Worten derjenigen zu sagen, die sich mit Mode besser auskennt als ich – und vermutlich als jede andere Frau auf der Welt: Carrie Bradshaw, alias Sarah Jessica Parker, aus „Sex and the City“. Bisher hätte ich mir im Traum nicht vorstellen können, dass Stil-Ikonen wie sie Öko-Klamotten tragen, aber jetzt bin ich mir da nicht mehr sicher.

Denn die Sachen sehen einfach toll aus. Modisch, trendy, hip. Müsli-Mode existiert nur noch in meinem Kopf. Im Laden nicht. Hier hängen Blazer neben Ponchos, Cardigans neben Tuniken. In den Regalen stehen Sneaker und Stiefeletten, liegen Taschen und Tücher. Sogar Jeans, die durch ihre umweltbelastende Produktion in Verruf geraten sind, gibt es hier, natürlich ebenfalls ökologisch nachhaltig produziert – und fair gehandelt. „Für mich ist das beides untrennbar miteinander verbunden“, sagt Wiebke Clef (35). Sie ist die Inhaberin von Glore und erinnert mit ihrem Stil ein bisschen an eine Mode-Bloggerin. Und genau das will sie. Mode präsentieren, die richtig gut aussieht – und gleichzeitig öko und korrekt ist.

Bin nicht die Einzige, die Öko-Mode für wollsockig hält

„Anders funktioniert das nicht! Niemand kauft heute noch Klamotten, nur weil sie nachhaltig sind. Sie müssen auch emotional ansprechen“, sagt Wiebke Clef und erzählt, dass immer wieder Kunden in den Laden kommen, weil sie die Sachen im Schaufenster gut finden – und dann total erstaunt sind, wenn sie erfahren, dass die Kleidungsstücke fair gehandelt und „grün“ produziert wurden. Ich sage zwar nichts, bin aber insgeheim sehr erleichtert, dass es anderen also genauso geht wie mir. Dass ich nicht die Einzige bin, die Öko-Mode für wollsockig hält. Oder gehalten hat.

Trotzdem: Bin im falschen Laden gelandet. Auch wenn die Mode grandios ist – oder gerade deswegen – hier bin ich falsch! Eindeutig! Das steht nach dem ersten Blick auf ein Preisschild fest. 139 Euro für eine Jeans! Dafür kaufe ich sonst drei Stück. „Klar, wenn man den Preis mit H&M vergleicht, ist er natürlich hoch. Wenn man ihn aber in Relation zu einer Markenjeans von Replay oder G-Star setzt, ist er vollkommen normal“, sagt Wiebke Clef. Aber sie kennt das Problem, kennt die Hemmschwelle der Kunden und will etwas dagegen tun. Nicht nur zeigen, dass grüne Mode cool sein kann – sondern auch erschwinglich. Deswegen hat sie eine Öko-Einstiegsware im Sortiment: T-Shirts für zehn Euro. Die laufen richtig gut. Fünf Stück davon verkauft sie inzwischen. Täglich.

Keine Frage: Grüne Mode ist auf dem Vormarsch – auch, oder gerade, bei den Großkonzernen. Egal ob C&A, H&M und Tchibo: Produkte aus Bio-Baumwolle gibt es inzwischen überall. Gerade erst wurde C&A als weltgrößter Verwender von Biobaumwolle ausgezeichnet. Allein im Jahr 2015 hat C&A weltweit mehr als 138 Millionen Produkte aus zertifizierter Biobaumwolle verkauft – das ist nach eigenen Angaben mehr als alle anderen Textileinzelhändler. Bis 2020 will der Konzern sogar nur noch Baumwolle aus nachhaltigem Anbau verarbeiten.

Kirsten Brodde (52) von Greenpeace reicht die Verwendung von Bio-Baumwolle alleine aber noch nicht. Seit 2011 setzt sie sich im Rahmen des internationalen Textilkampagne „Detox my Fashion“ dafür ein, dass keine giftigen Chemikalien bei der Produktion der Kleidung eingesetzt werden. Inzwischen haben sich 78 globale Textilriesen, darunter H&M, C&A, Mango und Benetton, aber auch Discounter wie Aldi, Lidl und Penny, zu einem Detox-Kurs verpflichtet und zugesagt, bis zum Jahr 2020 auf alle giftigen Chemikalien zu verzichten – im Moment sind das mehr als 400. „Jetzt kann sich wirklich jeder grüne Mode leisten“, sagt Kirsten Brodde und betont, dass es absolut keinen Grund mehr gebe, keine nachhaltig produzierte Mode zu kaufen. Auch nicht für Umwelt-Greenhorns wie mich.

Theoretisch muss ich ihr recht geben. Praktisch leider nicht. Denn es gibt einen Grund. Oder sogar zwei: Claas (4) und Carlotta (6). Und die interessiert es leider gar nicht, ob ein T-Shirt das richtige entsprechende grüne Etikett hat und aus der Öko-Kollektion stammt – sondern nur, ob es den richtigen Aufdruck hat. Richtig heißt in Carlottas Fall mit Einhörnern, Elfen oder Eisköniginnen, in Claas’ Fall mit allem, was „gefährlich“ ist – oder was er dafür hält. Also Piraten, Jedi-Ritter, Dinosaurier. Superhelden und Fußball gehen auch. Doch weder Supermann noch Elfen haben anscheinend Lust auf das Öko-Image, denn ich kann auch im dritten Geschäft keine Klamotten finden, die im Sinne der Umwelt – und der Kinder – sind. Wie gut, dass die Serie mich inzwischen sehr erfinderisch gemacht hat (ich sage nur: Schummel-Bolognese) und ich weiß, wie ich die kleinen Umwelt-Ignoranten austricksen kann. Kaufe unifarbene T-Shirts aus zertifizierter Bio-Baumwolle und designe sie einfach selbst. Carlottas Shirt bemale ich mit Textilfarben, auf das von Claas bügel ich ein Bild von Spiderman. Ha! Fühle mich danach nicht nur grün, sondern auch ziemlich genial. Zumindest bis zu dem Zeitpunkt, als Claas sich ein selbst gemaltes Shirt mit Lego-Ninjagos wünscht. Bitte was??

Trotzdem: Ein Schritt ist getan. Na gut, ein kleiner. Aber wie sagt Kirsten Brodde so schön: Man muss ja nicht sofort den ganzen Kleiderschrank umstellen. Sondern mit einem Teil anfangen. Weil jedes Teil zählt. Auch wenn mir zwei Kinder-T-Shirts angesichts von fast fünf Milliarden neuen Kleidungsstücken, die jedes Jahr in Deutschland verkauft werden, verschwindend gering erscheinen. Denn auch wenn Natur-Mode auf dem Vormarsch ist und sich der Umsatz mit „Eco Fashion“ in den vergangenen zehn Jahren auf rund 654 Millionen Euro verzehnfacht hat – zum Mainstream gehört sie noch lange nicht. Nach Angaben der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) machen Öko-Textilien gerade einmal 3,5 Prozent am Gesamtmarkt aus. Ich rechne allerdings mit steil ansteigenden Zahlen – schließlich finde ich diese Müsli-Mode von heute echt super und fange mit dem Shopping gerade erst an.

Bevor es allerdings zu einem Großeinkauf bei Glore und Hessnatur kommt, bremst mich „Der kleine Weltretter“ unsanft aus. Als ich dort lese, dass für die Herstellung einer Jeans 5400 Liter Wasser und für ein T-Shirt mehr als 4000 Liter benötigt werden, verabschiede ich mich schweren Herzens gedanklich von den neuen Klamotten – zumindest erst einmal. Denn, so schärft mir Greenpeace-Textilexpertin Kirsten Brodde ein: „Je mehr Kleidung hergestellt wird, desto größer die Belastung für die Umwelt.“

Klar, was sie damit sagen will: Wir sollten weniger Klamotten konsumieren, mehr gebraucht kaufen – und die Sachen vor allem länger tragen. Schließlich werden allein in Deutschland 560.000 Tonnen Kleidungsstücke ausrangiert. Jährlich! Weil sie kaputt oder aus der Mode gekommen sind. Dabei hat jedes abgelegte Stück im Durchschnitt erst ein Drittel seiner möglichen Lebensdauer hinter sich. Na super! Wäre ich ein Kleidungsstück, wäre ich also schon längst im Altkleidersack gelandet. Kleidung ist zur Wegwerfware geworden. Lese ich – und fühle mich ertappt. Gäbe es Meisterschaften im Klamotten-Aussortieren, stünde ich sicher unter Dopingverdacht, so führend bin ich in dieser Disziplin. Wenn ich ein Kleiderstück länger als ein Jahr nicht getragen habe, bringe ich es in die Kleiderkammer des Roten Kreuzes. Bisher habe ich immer gedacht, damit ein gutes Werk zu tun. An die Umwelt habe ich nicht gedacht.

Es ist Zeit, umzudenken. Neu zu denken. Zu lernen. Nähen zum Beispiel. Will nämlich auf keinen Fall länger zu den 42 Prozent der Deutschen gehören, die laut Umfrage kaputte Kleidung noch nie selbst gestopft oder anderswie geflickt haben. Denn obwohl ich bisher fabelhaft mit Bügelflicken für kaputte Kinderjeans durchs Leben gekommen bin, steht jetzt im Sinne der Umwelt der nächste Schritt an. Wähle für meine Näh-Mission ein kaputtes Langarm-Shirt von Claas, das ich eigentlich wegschmeißen wollte. Weil es ein Loch am Ärmel hat. Und fast schon zu klein ist. Und Claas das Motiv (Jake und die Nimmerland-Piraten) eh nicht mehr mag. Ist ihm nicht „gefährlich“ genug. Das dazugehörige Loch sieht hingegen mächtig gefährlich aus. Groß wie ein Zwei-Euro-Stück. Überlege, wie das wohl reinkommt – und vor allem wieder weggeht. Die Ränder einfach zusammenziehen? Oder lieber stopfen? Nähe schließlich einfach drauflos und bin überrascht, wie 1. einfach das geht und 2. gut das Ergebnis aussieht. So gut, dass ich gleich noch das zerrissene Knie einer Kinderjeans zunähe, die ich eigentlich schon abschneiden wollte. Potzblitz! Da soll noch mal einer was sagen!

Claas sagt tatsächlich erst einmal nichts. Er bricht in Tränen aus. Dann erzählt er unter Schluchzen, dass er ja jetzt gar nicht mehr seinen Daumen in das Loch stecken kann. Und dass er das doch immer so gerne gemacht hat. Undankbarer Bengel!

Die Alternative zu grünem Konsum ist gar kein Konsum

Trotzdem: Es ist ein ganz guter Monat. Der beste nach dem Energie- und Wasser-Fasten im Februar, würde ich sagen. Und dafür musste ich quasi nichts tun. Vor allem nichts kaufen. Die Erkenntnis des Monats: Die Alternative zu grünem Konsum ist gar kein Konsum. Wer etwas für die Umwelt tun will, sollte nicht nur darauf achten, grüne Klamotten zu kaufen – sondern vor allem weniger Klamotten kaufen. Zumindest weniger neue Klamotten. Angeblich wird jedes fünfte Kleiderstück so gut wie nie getragen. Das sind eine Milliarde Kleidungsstücke, die ungenutzt im Schrank liegen. Die ungenutzt produziert wurden.

Laut einer Umfrage von Greenpeace hat die Hälfte der Deutschen bis zu 100 Teile im Kleiderschrank, ein Drittel sogar bis zu 300 Teile – Unterwäsche nicht mit eingerechnet. Doch wie viel davon braucht man wirklich? Die Hälfte? Ein Drittel? Ich weiß es nicht. Noch nicht. Aber ich will es herausfinden. Und lerne zu verzichten – ohne dass es sich wie ein Verzicht anfühlt. Sondern einfach nur gut – solange ich nicht darüber nachdenke, was das für die Wirtschaft bedeutet...

Ich kaufe kein zweites Deutschland-Trikot für Claas, weil seins ständig dreckig und in der Wäsche ist, sondern ziehe ihm das Shirt am nächsten Tag halt noch mal mit Flecken an (die Erzieher im Kindergarten mögen es mir bitte nachsehen! Ist schließlich im Sinne der Umwelt!). Ich widerstehe dem „3 zum Preis von 2“-Angebot und nehme für Carlotta nur eine Leggins mit. Ich überrede meine Mutter, sich keine Regenjacke für den Urlaub zuzulegen, sondern meine auszuleihen. Und ich kaufe mir selbst keine dieser neuen Destroyed-Jeans, die ich wirklich, wirklich toll finde, sondern bearbeite eine alte Hose von mir so lange mit Schmirgelpapier, bis sie ebenfalls ein Loch hat. Voll verrückt eigentlich, ich weiß! Aber das ist ein anderes Thema.

So, genug der Worte. Zeit für Taten. Nächstes Wochenende sind wir auf dem Flohmarkt. Unsere Kinderklamotten verkaufen. Von dem Geld wollen wir Herbst- und Wintersachen für Claas und Carlotta holen. Auch auf dem Flohmarkt. Schließlich ist Second-Hand auch eine Form von grüner Mode. Meinetwegen kann sich Claas dann auch eins von diesen Ninjago-Irgendwas-Shirts kaufen. Hauptsache, es hat kein Loch im Ärmel!

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