Hamburg. Hussein Kajeja macht eine Ausbildung zum Gebäudereiniger. Seine Firma ist begeistert. Doch nicht jeder hat sein Durchhaltevermögen.

Hussein Kajeja sitzt auf der großen Kehrmaschine, als hätte er nie etwas anderes gemacht. Mit wenigen Handbewegungen steuert er über den Fußweg am Mundsburger Damm, fährt auf einem nur vor seinem inneren Auge sichtbaren Parcours. Staub, trockenes Laub und was sich sonst noch am Straßenrand vor der Firmenzentrale der Schultz-Gruppe sammelt, wird weggefegt. Später wird der 26-Jährige sagen, dass ihm die Arbeit gefällt, und dabei freundlich lächeln. Der junge Syrer, der mit Frau und kleiner Tochter aus Aleppo nach Deutschland gekommen ist, gehört zu den ersten Flüchtlingen des vergangenen Jahres, die eine Ausbildung in Hamburg beginnen konnten.

Ohne bürokratisches Prozedere

In einer gemeinsamen Initiative hatten Handwerkskammer und Senat Anfang September 2015 kurzentschlossen das Integrationsprojekt „Flüchtlinge in Handwerksausbildung“ angeschoben, um die Menschen schnell in Arbeit zu bringen. Innerhalb von acht Wochen stellten Hamburger Handwerksbetriebe 30 Lehrstellen zur Verfügung. Die jungen Männer und Frauen aus zwei Flüchtlingsunterkünften starteten direkt in das neue Leben, als künftige Maler, Gebäudereiniger, Bäcker oder Fleischer. Mit Aufenthaltsgenehmigung, aber ohne langwieriges bürokratisches Prozedere und fast ohne Deutschkenntnisse. Für alle Beteiligten war es ein Experiment – und auch ein Wagnis. Die erste Bilanz nach einem Jahr ist gemischt: Nur die Hälfte der Flüchtlings-Azubis ist noch dabei, die anderen sind aus der Lehre ausgestiegen.

Firmenchef Axel Schultz war im Herbst vergangenen Jahres sofort begeistert von dem Projekt. „Schon im Sommer, als immer mehr Flüchtlinge nach Hamburg kamen, haben wir uns auf die Suche gemacht, wo wir positiv wirken können“, sagt der 58-Jährige. „Ich halte nichts von einem langen Marsch durch die Bürokratie nach der langen Flucht. Die Flüchtlinge wollen loslegen.“ 650 Mitarbeiter sind bei der Schultz-Gruppe beschäftigt, in unterschiedlichen Bereiche des Gebäudemanagements. Viele haben ausländische Wurzeln. „Es gibt keine Berührungsängste“, sagt Schultz. Schon bei dem ersten Kennenlernen im Oktober 2015, das als Speeddating im Elbcampus der Handwerkskammer organisiert war, saß der Unternehmer mit am Tisch. „Das Interesse der Betriebe war riesig, man musste schnell sein bei der Auswahl“, erinnert er sich an die Euphorie. Sympathie habe bei der Auswahl eine große Rolle gespielt, erst danach seien die Gespräche gekommen und die Formalitäten. Anfang November fingen zwei neue Azubis bei der Schultz-Gruppe an.

In Syrien war er Steinmetz

„Es war sehr aufregend, auch weil ich nur wenig Deutsch verstanden habe“, sagt Hussein Kajeja. In Schultz-Shirt und Arbeitshose sitzt er zehn Monate später im Besprechungsraum seines Ausbildungsbetriebs unweit der Dehnhaide. Ein Bekannter übersetzt bei schwierigen Fragen aus dem Arabischen. In seiner Heimat hat der junge Flüchtling als Steinmetz gearbeitet, ohne Ausbildung wie die meisten Handwerker in der Region. Auch deshalb ist es schwierig, in Deutschland eine qualifizierte Arbeit zu finden. „Aber das will ich unbedingt“, sagt Kajeja. Inzwischen ist er angekommen im deutschen Arbeitsleben. Eine Lieblingstätigkeit habe er nicht, sagt er und lächelt wieder zurückhaltend, die Abwechslung sei gut.

„Er bringt viel Motivation mit, ist aufmerksam, immer pünktlich und sich für nichts zu schade“, sagt Betriebsmeister Marco Adomat, der für die Ausbildung zuständig ist. Gerade in der Gebäudereinigung wird es immer schwieriger, geeignete Kandidaten zu finden. In den vergangenen Jahren hat die Schultz-Gruppe in dem Bereich gar nicht ausgebildet. Bis jetzt. „Hussein ist ein sehr guter Auszubildender“, lobt der 30-Jährige.

Dass alles läuft, liegt auch an Alexandra Meier. „Das Projekt war schon mit heißer Nadel gestrickt, und es gab anfangs eine Menge organisatorische Schwierigkeiten“, sagt die PR- und Kommunikations-Fachfrau, die innerhalb von wenigen Wochen zu Flüchtlingsbeauftragten des Handwerksbetriebs wurde. Ein Girokonto eröffnen, Berufsbeihilfe beantragen oder einen Krankenkassenvertrag abschließen. Alles war für die beiden Azubis das erste Mal. „Zum Teil waren das Wörter, die es im Arabischen gar nicht gibt“, sagt Meier und gibt zu, dass selbst sie manchmal Probleme hatte, zu verstehen, was zu tun ist.

Sprache ist das Problem

Auch Wohnungen hat sie für ihre Schützlinge gefunden, und zusammen mit ihrem Ehemann beim Umzug geholfen. „Die größte Schwierigkeit ist die Sprache“, sagt die 33-Jährige. Nach langen Verhandlungen und vielen Gesprächen ist es jetzt gelungen, für das zweite Ausbildungsjahr den Besuch in einer Integrationsklasse an einer Berufsschule zu organisieren und, ganz wichtig, einen speziellen Deutschkurs – der ist dann außerhalb der Arbeitszeit am Sonnabendvormittag.

Trotzdem hat auch einer der beiden jungen Syrer die Lehre bei der Schultz-Gruppe abgebrochen. Offizielle Begründung: familiäre Schwierigkeiten. Aber die Gründe sind wohl vielschichtig. Erst vor Kurzem ist der junge Syrer zum zweiten Mal Vater geworden. Flüchtlingshelferin Meier hatte nicht nur bei der Suche nach den Ärzten geholfen, sondern auch Kitaplatz und Hebamme organisiert. Aber das monatliche Ausbildungssalär ist mit 650 Euro im ersten Jahr niedriger als das, das man anderswo bei einem Job verdienen kann. Die Enttäuschung für den Abbruch ist in dem Familienunternehmen groß. „Ich bin im höchsten Maße traurig, dass er bei einem roten Teppich in die Qualifikation ausgestiegen ist“, sagt Firmenchef Schultz. „Dafür fehlt mir das Verständnis.“

Sie verdienen zu wenig in der Ausbildung 

Vor allem haben Auszubildende in den Bereichen Bäcker, Fleischer und Maler/Lackierer die Lehre geschmissen, die meisten von ihnen kommen aus Syrien. Hauptgrund ist aus Sicht der Handwerkskammer, die das Projekt begleitet, die geringe Auszubildendenvergütung, die kaum höher ist als die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Da die Azubis als Beschäftigte gelten, müssen seit Ausbildungsbeginn alle Teilnehmer einen monatlichen Beitrag von etwa 140 Euro für die Flüchtlingsunterkunft bezahlen, was auf sehr viel Unverständnis bei den Betroffenen stoße. Dazu komme, dass viele syrische Teilnehmer planen, wieder in ihre Heimat zurückzukehren, wenn die Situation es zulässt. Deshalb wollten sie während ihrer Zeit in Deutschland lieber Geld verdienen, um ihre Familien zu unterstützen, heißt es bei der Kammer.

„Wir werden alle Teilnehmenden bis zum Ende ihrer Ausbildung intensiv begleiten und haben bereits jetzt durch das Projekt wertvolle Erfahrungen gesammelt und für die künftige Ausbildung von Flüchtlingen gelernt“, zieht Handwerkskammerpräsident Josef Katzer trotzdem ein positives Fazit. Er macht aber auch deutlich, dass eine Neuauflage des Projekts in der jetzigen Form nicht geplant ist. „Für die Zukunft arbeiten wir mit unseren Betrieben, Innungen und Partnern der Hamburger Verwaltung daran, Flüchtlinge in größerer Anzahl in Ausbildung aufzunehmen“, so Katzer.

Eine Bilanz zusammen mit Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) soll im November präsentiert werden. Schon jetzt ist das Interesse an den Erfahrungen groß. Alexandra Meier wird zu Diskussionsrunden eingeladen, unter anderem im Bundespresseamt in Berlin. Gerade war sie zusammen mit Hussein Kajeja bei einem Treffen mit Bundespräsident Joachim Gauck.

Firmenchef Schultz will weiter Flüchtlinge beschäftigen. Für 2017 läuft die Suche nach neuen Auszubildenden in Zusammenarbeit mit Schulen. Denn eine Lehre aus dem Projekt ist: Sprachkenntnisse sollten vorhanden sein.

Hussein Kajeja, der im Oktober zum zweiten Mal Vater wird, will die beiden nächsten Jahre der Ausbildung nutzen, auch um besser Deutsch zu lernen. Danach, sagt der junge Mann, würde er gerne in dem Betrieb weitermachen, Meister werden, vielleicht sogar studieren. Axel Schultz lächelt, er hat einen Traum: „Wenn dann irgendwann wieder Frieden ist in Syrien, eröffnen wir zusammen eine Filiale in Aleppo.“