Hamburg. Fernbahnhof Diebsteich, neue S 4, Flüchtlinge: DB-Chef Rüdiger Grube über Hamburger Bahn-Themen – und das Essen mit Cornelia Poletto.

Er wuchs als Kind einer Obstbauernfamilie in Hamburg-Moorburg auf, seit 2009 ist Rüdiger Grube, 64, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bahn AG und Chef von weltweit mehr als 300.000 Mitarbeitern. Mit ihnen steht er häufig in Kontakt. Das Abendblatt begleitete Grube bei einem seiner Regionentage in Hamburg. Im Interview sagt der Bahnchef, wie der Konzern Kunden zurückgewinnen und den nach Deutschland kommenden Flüchtlingen helfen will – und was er von der Hamburger Starköchin Cornelia Poletto, 44, gelernt hat, mit der er seit August verheiratet ist.

Hamburger Abendblatt: Herr Grube, die Deutsche Bahn hat in den vergangenen Tagen zahlreiche Sonderzüge für Flüchtlinge bereitgestellt. Gibt es schon Über­legungen im Konzern, den Menschen über diese Soforthilfe hinaus zu helfen?

Rüdiger Grube:Die Deutsche Bahn hat wieder einmal gezeigt, dass sie Krisen bewältigen kann, indem sie unbürokratisch und flexibel handelt. Das war eine tolle Leistung unserer Mitarbeiter. Die Zusammenarbeit mit den Behörden und der Bundespolizei war sehr gut. Jetzt kommt es darauf an, die Menschen, die zu uns kommen, aktiv in die Gesellschaft zu integrieren. Wir planen derzeit zwei kleinere Projekte. Zum einen wollen wir gemeinsam mit Partnern eine Ausbildungsklasse für erwachsene Flüchtlinge schaffen, die bereits in ihrer Heimat einen elektrotechnischen Beruf erlernt haben. Und wir bereiten ein Pilotprojekt „Chance plus“ für junge Flüchtlinge vor. Vorbild ist das gleichnamige Programm, in dem wir schon seit Jahren Jugendliche auf eine Ausbildung bei der Bahn vorbereiten.

Die Sonderzüge werden von Behörden bestellt und bezahlt. In den regulären Zügen dürften Ihre Mitarbeiter derzeit häufiger Flüchtlinge ohne Fahrkarte antreffen. Wie sollen sie damit umgehen?

Grube: Diese Beobachtung haben wir nicht gemacht. Die Flüchtlinge bekommen nach der ersten Registrierung von den Behörden eine Bescheinigung, die sie in eine Fahrkarte eintauschen. Das funktioniert gut.

Sie haben Ende Juli einen Gewinneinbruch um 18 Prozent im ersten Halbjahr bekannt gegeben und einen Konzernumbau angekündigt. Wie sieht Ihre Strategie dafür aus?

Grube: Allein die GDL-Streiks haben den Gewinn um 500 Millionen Euro reduziert. Im Güterverkehr sind acht bis zehn Prozent der Kunden noch nicht zu uns zurückgekehrt. Außerdem hat sich durch Fernbusse und gesunkene Benzinkosten der Wettbewerb weiter verschärft. Gleichzeitig sind die Belastungen für die DB gestiegen: Die EEG-Umlage hat sich seit 2013 auf 160 Millionen Euro vervierfacht. Wir zahlen jährlich 120 Millionen Euro Stromsteuer und 60 Millionen Euro für den Emissionshandel. Deshalb steuern wir konsequent gegen. Die derzeitige Holdingstruktur, die einmal für den Börsengang geschaffen wurde, lösen wir auf. Den Vorstand haben wir schon von acht auf sechs verkleinert. Und bis zur Aufsichtsratssitzung am 16. Dezember prüfen wir Optionen für eine Teilprivatisierung unserer international tätigen Töchter DB Schenker Logistic und Arriva. Außerdem vereinfachen wir die Gremien und die Berichtswege und senken die Kosten in Konzernleitung um über 700 Millionen Euro.

Kostenreduzierungen sind das eine, mehr Kunden und mehr Einnahmen sind das andere. Wie wollen Sie das erreichen?

Grube: Durch die größte Kundenoffen­sive in unserer Geschichte. Das Zug­angebot im Fernverkehr bauen wir um 25 Prozent aus. Bis 2030 wollen wir ein Plus von 50 Millionen Fahrgästen pro Jahr erreichen. Schon ab Dezember dieses Jahres kommen die ersten von 120 neuen Doppelstock-IC auf die Schiene, die nach und nach die in die Jahre gekommene Intercity-Flotte ersetzen werden. Von 2017 an löst dann der supermoderne ICx die ICE-Züge der ersten und zweiten Generation ab. Mit der Eröffnung der Neubaustrecke Leipzig/Halle–Erfurt im Dezember 2015 werden die Reisezeiten noch mal um bis zu 60 Minuten kürzer. Schon jetzt gibt es die BahnCard auch für drei Monate. Und im Laufe des nächsten Jahres wird WLAN auch in der 2. Klasse kostenlos sein.

In vielen Fernbussen ist das Standard.

Grube: Die Fernbusse sind eine unserer großen Herausforderungen – zumal sie zu Dumpingpreisen unterwegs sind. Dem Staat entgeht ein hoher Millionenbetrag, weil für Fernbusse keine Autobahnmaut fällig wird. Außerdem ist es unfair, denn für jede Fahrt eines Zuges müssen wir Geld für die Benutzung von Schienen und Bahnhöfen zahlen und das in den Fahrpreis einkalkulieren. Beim ICE kostet uns allein die Trassengebühr 6 Euro pro Kilometer – das sind je Fahrgast fünf bis sechs Cent pro Kilometer.

In diesem Sommer hat man weniger als von technischen Problemen in Zügen wegen der Hitze gehört. Hat die Bahn das jetzt im Griff, oder haben Sie schlicht Glück mit dem Wetter gehabt?

Grube: Wir haben tatsächlich viel getan, um Komfortstörungen zu reduzieren. Dazu gehört auch eine Ertüchtigung der Klimaanlagen. Bei den bis zu 40 Jahre alten Intercity-Zügen ist das nur begrenzt möglich, aber die werden ja bald durch neue Züge abgelöst.

Obwohl der Fernverkehr ausgebaut werden soll, schränken Sie das Angebot auch ein. 2017 sollen die Autoreisezüge eingestellt werden, auch der gut gebuchte Autozug zwischen Hamburg und Lörrach.

Grube: Die Autoreisezüge rechnen sich einfach nicht – es ist ein reines Saisongeschäft. Außerdem sind die Transportwagen uralt. Wir dürften sie nur weiterbetreiben, wenn wir viele Millionen Euro für die Sanierung oder den Neukauf in die Hand nehmen. Dieses Geld können wir aber nicht in ein dauerhaft defizitäres Nischengeschäft stecken.

Die Autoreisezüge starten in Altona, der Fernbahnhof soll bis Ende 2023 verlegt werden. Werden dann in Berlin oder München Fernzüge nach „Hamburg-Diebsteich“ angekündigt?

Grube: Intern nennen wir das Projekt jetzt „Altona“. Das könnte auch der Name des neuen Bahnhofs werden. Die Stadt und wir können uns vorstellen, das neue Empfangsgebäude als eigenständiges Immobilienvorhaben zu entwickeln. Für den jetzigen Bahnhof Altona, der dann zu einer reinen S-Bahn-Station wird, suchen wir in Abstimmung mit der Stadt einen neuen Namen.

Nach der jüngsten Schätzung steigen die Kosten für die neue S-Bahn-Linie S 4 Richtung Bargteheide/Bad Oldesloe auf mehr als eine Milliarde Euro. Sehen Sie das als Gefahr für das Projekt?

Grube: Kalkuliert werden solche Projekte bei Planungsbeginn zu den aktuellen Preisen. Und je später man baut, desto teurer wird es dann. Aber keine Sorge: Die S 4 ist wegen der starken Pendlerströme ein ganz wichtiges Projekt. Der Bau wird frühestens 2019 beginnen und 2024 abgeschlossen sein. Wirtschaftssenator Horch und Verkehrsminister Meyer haben auch nach der neuen Kostenschätzung betont, wie bedeutsam die S 4 ist.

Noch eine persönliche Frage: Essen Sie seit Kurzem besser?

Grube: Ich esse mit Sicherheit bewusster. Ich kann ein gutes Essen besser von weniger gutem unterscheiden und weiß, wie wichtig der Einkauf guter Zutaten ist. Es wäre ja auch seltsam, wenn meine Frau mir nichts über das Essen beigebracht hätte.