Hamburg. HWWI-Studie zur digitalen Wirtschaft: 70.000 Arbeitsplätze in Hamburg vor deutlichen Veränderungen. Harte Einschnitte im Großhandel.

Was wärmt besser, Leinen und Baumwolle, Kamelhaar oder Mikrofaser? Und warum bietet ein Luxusbett 900 Taschenfedern pro Qua­dratmeter? Bei Marc Böhle von Betten Rumöller wird die Frage nach dem guten Schlaf mit wissenschaftlicher Akribie beantwortet. Seit zwei Jahren hat der Hamburger Händler auch eine Homepage, auf der sich die Kunden mit Fotos, Texten und sogar Videos über ihre zukünftige Schlafstatt informieren können. „Jeder dritte Kunde hat sich vor dem Besuch bei uns im Internet informiert“, berichtet Marc Böhle über seine Erfahrungen mit den Bettenkäufern. Der Vorteil für den Unternehmer: Wer weiß, dass die Matratze in mehreren Hundert Arbeitsschritten in Handarbeit hergestellt wird, ist auch bereit, dafür mehr Geld auszugeben als für ein Standardindustrieprodukt.

Bei Betten Rumöller gehen stationärer Handel und die Chancen der digitalen Welt eine glückliche Verbindung ein. Andererseits blicken Millionen Kaufleute mit Sorge auf die wachsende Marktmacht von Amazon. Der US-Konzern hat in Deutschland 2014 einen Umsatz von 11,9 Milliarden Dollar erzielt – 1,5 Milliarden mehr als im Vorjahr. In einer aktuellen Studie kommt das Hamburgische WeltWirtschaftsInstitut (HWWI) zu dem Schluss, dass die Digitalisierung den Handelsplatz Hamburg in Zukunft noch weiter unter Druck setzen wird. „Ein Großteil der 76.000 Arbeitsplätze im Hamburger Groß- und Einzelhandel müsse sich im Tätigkeitsprofil deutlich verändern“, fordert HWWI-Chef Christian Growitsch. „Durch die digitale Transformation entstehen durchaus neue Jobs. Bei vielen besteht aber auch ein Risiko, durch digitale Technologien ersetzt zu werden.“ In der Summe werde die Zahl der Arbeitsplätze im Handel zugunsten der Logistik zurückgehen, stellt das HWWI in der für die Haspa erstellten Analyse fest.

Insider: Online-Anteil wird weiter ansteigen

Marktinsider gehen davon aus, dass der Online-Anteil am gesamten Einzelhandel in den nächsten zehn Jahren auf 25 Prozent ansteigen wird. Die Wissenschaftler des HWWI sehen für die Geschäfte daher die Notwendigkeit, ebenfalls eine eigene Präsenz im Netz zu etablieren. „Selbst kleine Läden sollten zumindest eine Homepage erstellen, auf der sie ihre Lage in der Stadt, ihre Öffnungszeiten und ihr Sortiment darstellen“, ergänzt Wolfgang Linnekogel, Geschäftsführer des Einzelhandelsverbands Nord. Etliche Kunden würden zunächst im Internet schauen, wo in der Nähe der nächste Baumarkt zu finden ist, bevor sie sich in der realen Welt auf die Suche machten. Der Handelsexperte rät bei dem Weg in die digitale Welt allerdings zu Augenmaß. Sich gleich einen eigenen Online-Shop aufzubauen, könne Einzelkämpfer überfordern. Der E-Commerce stelle hohe Anforderungen an das Personal und die Logistik.

Anders als im Einzelhandel, wo bereits viele Unternehmer das Internet nutzen, gibt es im Großhandel nach Angaben des HWWI großen Nachholbedarf im Netz. Denn der Anteil der Online-Aktivitäten spiele hier bislang nur eine untergeordnete Rolle: 2012 wurden lediglich 3,5 Prozent des Umsatzes online abgewickelt. „Der Kampf um Marktanteile im Internet kommt bei Groß- und Zwischenhandel erst jetzt richtig in Schwung“, sagt Growitsch. Globale Anbieter wie Ebay und Amazon seien auf dem Sprung, den deutschen Markt auch in diesem Segment aufzumischen. Wie im Online-Einzelhandel werde es dabei schnell zu Marktkonzentrationen kommen. Schon zwischen 2008 und 2013 seien im Großhandel in Hamburg über 3000 Arbeitsplätze verloren gegangen. Das entspreche einem Minus von 6,5 Prozent. Dennoch seien hier in Zukunft noch weitere harte Einschnitte zu befürchten.

Die Behauptung, die Bedrohung durch die Digitalisierung sei eine vorübergehende Erscheinung, könne unflexiblen Händlern die Existenz kosten. So sieht Growitsch es als Wettbewerbsvorteil etwa für Importeure an, im Internet ihre Lieferanten bewerten zu können. Diese Transparenz liefere wertvolle Marktinformationen. Dass dies nicht nur im Großhandel gilt, beweist Rumöller mit seiner Info-Internetseite. Denn auch im Bettenhandel schläft die Konkurrenz nur nachts.