Hamburg/Kiel. Zwei BWL-Studenten aus Kiel stecken hinter der Geschäftsidee. Den Rohstoff für my Boo liefert ein soziales Projekt in Ghana.
Gartenbesitzer haben an Bambus zumeist nur kurz Freude. Denn die meisten Arten aus der Pflanzenfamilie der Süßgräser wuchern auch unterirdisch, und die kräftigen Triebe sind kaum zu stoppen. Fachleute empfehlen daher den Einbau einer Bambussperre rund um die Pflanze. Am besten einen Meter tief ins Erdreich. Für Maximilian Schay, 24, und Jonas Stolzke, 22, dagegen ist Bambus das Material der Zukunft – und zwar ihrer ganz persönlichen Zukunft als junge Unternehmer.
Schay und Stolzke sind in den wachsenden deutschen Fahrradmarkt eingestiegen und bereits ein großes Stück vorangekommen. Die Produktion läuft, neulich hat Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) für eine Stunde im Laden vorbeigeschaut, Talkmaster Jörg Pilawa hat zwei Bambusfahrräder gekauft, die Jungunternehmer haben Arbeitsplätze geschaffen und sich selbst ein Gehalt genehmigt. „Ein bisschen“, sagt Schay.
Alles begann vor gut drei Jahren, als sich die beiden Schleswig-Holsteiner an der Universität Kiel zum Studium der Betriebswirtschaftslehre einschrieben und bei der Wohnungssuche zufällig kennenlernten. „Wie viele andere BWL-Studenten hatten wir beide von vornherein das Ziel, selbst Gründer zu werden, haben Ideen ausgetauscht und diskutiert.“
Dann kam ein Tipp aus Ghana: Ein Kumpel, der für ein Jahr in dem westafrikanischen Land lebte, schickte Fotos von Fahrrädern mit Rahmen aus Bambus statt aus Stahl, die in einem sozialen Projekt gefertigt wurden. „Uns war schnell klar, dass da ein großes Produktpotenzial ist. Ein nachwachsendes und sehr stabiles, dabei leichtes Rohmaterial in Kombination mit einem sozialen Projekt, das war vielversprechend. Nur genügten die Rahmen nicht den europäischen Qualitätsansprüchen“, sagt Maximilian Schay.
Ein Business Angel half mit Tipps und einer Anschubfinanzierung
Die Idee, Bambusfahrräder für den deutschen Markt zu fertigen, war geboren. Fortan halfen die schon bestehenden privaten Kontakte zu Hans Helmut Schramm, Chef der Schramm-Group, deren Firmen unter anderem den Brunsbütteler Hafen und Schlepper betreiben. Schramm, sagen Schay und Stolzke, habe sofort an die Idee geglaubt. Er wurde ihr sogenannter Business Angel, half mit Ratschlägen und einer Anschubfinanzierung im höheren fünfstelligen Bereich, Ingenieure aus der Schramm-Group arbeiteten zudem für die Gründer.
Erste Aufgabe: Die Konstruktion einer sogenannten Rahmen-Lehre, in der die Bambusstäbe von der Dicke eines Kinderarms zu einem geraden und stabilen Grundgerüst eines Fahrrads zusammengefügt werden. Im April 2013 flogen die Kieler Studenten erstmals nach Ghana und nahmen die Rahmen-Lehre mit zu einem von einem Einheimischen gegründeten sozialen Projekt im Dorf Yonso. Dort werden die Rahmen der Bambusräder aus Kiel bis heute gefertigt. Im Yonso-Projekt, das Mikrokredite an Frauen vergibt und Schulstipendien finanziert, sind nun nicht mehr drei Ghanaer beschäftigt, sondern etwa zehn allein in der Rahmenfertigung. Der Bau eines neuen Werkstattgebäudes in Yonso wurde aus Kiel finanziert und für jedes verkaufte Rad wird der Schulbesuch eines ghanaischen Kindes für ein Jahr bezahlt.
My Boo heißt die Firma und das ist auch der Name der Fahrradmarke. Der Name war die Idee eines Freundes und hat doppelte Bedeutung: Zum einen nimmt my Boo die zweite Silbe des englischen Wortes „Bamboo“ (Bambus) auf, zum anderen ist es im amerikanischen Englisch ein Kosewort und bedeutet „mein Liebling“. Doch bevor das erste Lieblingsrad aus Bambus über deutsche Straßen rollte, war noch sehr viel zu tun: Tauglichkeitstest in einem Prüfinstitut, Konstruktion weiterer Rahmen-Lehren für die unterschiedlichen Modelle, Auswahl der zugekauften Anbauteile, Suche nach einem Montagepartner, Markttests. Am Rande der Cyclassics 2013 präsentierten Schay und Stolzke in Hamburg ihre Prototypen erstmals der Öffentlichkeit.
Mit einem sehr ermutigenden Ergebnis: „An unserem Stand war super viel los.“ Einen Monat später waren die Gründer noch einmal für mehrere Wochen in Ghana, das erste My-Boo-Rad verkauften sie im April 2014. Bis heute sind es gut 150, für dieses Jahr kalkuliert die Firma mit etwa 200 Verkäufen. Weil jeder Rahmen nummeriert ist, fällt es leicht, den Überblick zu behalten. Gerade ist Rahmen 250 aus Yonso in Kiel eingetroffen.
Dort werden die My-Boo-Räder inzwischen in Eigenregie montiert. Vor einem halben Jahr hat die Firma in der Nähe des Kieler Marinestützpunktes die Werkstatt und Teile der Verkaufsräume eines vom Besitzer aufgegebenen Fahrradhauses bezogen. Ein willkommener Vorteil: Die mittlerweile drei festangestellten Mechaniker bauen nicht nur die Bambusfahrräder in derzeit vier unterschiedlichen Varianten mit jeweils fünf Rahmenhöhen, sondern reparieren auch herkömmliche Zweiräder. „Unsere Fahrräder sind individuell, technisch absolut konkurrenzfähig, extrem robust und haben gute Fahreigenschaften“, sagen die Gründer selbstbewusst. Aber mit Preisen ab 1980 Euro – ohne Schutzbleche, Beleuchtung und Gepäckträger – ist ein My-Boo-Rad auch nicht eben günstig.
„Es gibt einen Markt für Exoten“
Wer kauft sowas? „Leute, die viel Wert auf ein individuelles und langlebiges Fahrrad legen. Menschen, die ein nachhaltiges Produkt aus nachwachsenden Rohstoffen möchten und wissen wollen, unter welchen Bedingungen es hergestellt wurde. Und die Wert auf soziales Engagement legen“, sind Schay und Stolzke überzeugt. Die Worte nachhaltig, sozial und einzigartig nehmen in ihrer Außendarstellung viel Raum ein, im Produktprospekt 2015 wird der Dalai Lama zitiert. Dort finden sich als Sonderzubehör unter anderem Schutzbleche, Handgriffe und Pedalen aus Holz. Mit farbigen Reifen und Sonderlackierungen lässt sich ein Bambusrad weiter individualisieren.
„Es gibt einen Markt für Exoten, für sehr individuelle und für hochpreisige Räder“, sagt David Eisenberger, Sprecher des Zweirad-Industrie-Verbandes, in dem die großen Hersteller zusammengeschlossen sind. Die Branche hat hohe Zuwachsraten. Im Jahr 2014 wurden bundesweit 4,1 Millionen Fahrräder und E-Bikes verkauft, das waren 7,9 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Der Umsatz mit Fahrradverkäufen wuchs um 9,6 Prozent auf 2,16 Milliarden Euro. Der Markt für teure Elektro-Fahrräder verzeichnete sogar zweistellige Zuwachsraten. Es ist ein guter Zeitpunkt für ein Start-up, mit einem Nischenprodukt wie dem Bambusrad aufzutauchen. Derzeit gut 50 deutsche Fachhändler, seit Kurzem auch drei in Hamburg, vertreiben das my Boo. Auch im benachbarten Ausland sind erste Händler akquiriert und Bambusfahrräder verkauft. Im Wochenrhythmus sind Schay und Stolzke im In- und Ausland unterwegs, um neue Vertriebspartner zu gewinnen, sich auf Messen zu präsentieren. Zudem läuft ein Langzeitbelastungstest: Ein junges Hamburger Ehepaar ist seit Herbst 2014 auf Bambusrädern aus Kiel auf dem Weg ins chinesische Shenzen. „11.000 Kilometer haben sie schon geschafft, ohne Schaden“, sagt Maximilian Schay.
Gleichzeitig läuft die Erweiterung der Produktpalette. Von 2016 an nimmt my Boo zusätzlich ein Rennrad, ein etwas günstigeres Einsteigermodell, ein sogenanntes Singlespeed ohne Gangschaltung sowie das erste Elektrobike mit Bambusrahmen ins Angebot auf.
Und wo wollen die beiden geschäftsführenden Gesellschafter, die wie Business Angel Schramm jeweils ein Drittel der Anteile halten, in fünf Jahren stehen? „Erstmal geht es darum, my Boo als Kernmarke zu etablieren“, sagt Stolzke. Maximilian Schay kann sich vorstellen, dass sich das Gründer-Duo irgendwann auch anderen nachhaltigen und innovativen Produkten zuwendet. „Die müssen noch nicht mal aus Bambus sein.“
Erstmal aber ist da auch noch das Studium. An der Universität werden Maximilian Schay und Jonas Stolzke zwar nicht mehr sehr häufig gesehen, aber die für den Abschluss notwendigen Scheine und Prüfungen haben sie fast schon zusammen. Vor Klausuren wird etwas weniger gearbeitet und umso intensiver gelernt. Im Frühjahr 2016 wollen sie ihre Bachelor-Arbeiten schreiben. Am Thema arbeiten sie seit drei Jahren: my Boo.