Apensen. Eine Fabrik vor den Toren Hamburgs beliefert Discounter und Supermärkte in ganz Europa mit Speiseeis. Nun wird kräftig investiert.
Es ist Sekundensache. Im Rundgefrierer läuft das Vanilleeis in eine schmale längliche Form. Die Eismasse friert schnell von außen nach innen, während sie weiter stark herabgekühlt wird. Wenn sie im Inneren noch etwas weich ist, wird automatisch der Stiel hineingeschossen. Die vielen Eisformen der Maschine drehen sich in einer Kühlflüssigkeit im Kreise. „Es kommt wirklich auf die Sekunde an“, sagt Helmut Klehn, Geschäftsführender Gesellschafter der Eisbär Eis GmbH in Apensen bei Buxtehude. „Das Eis darf nicht mehr zu weich sein, damit der Stiel nicht schief sitzt, aber auch noch nicht zu fest.“ 30.000 Stück schafft die Anlage in einer Stunde.
Nur wenige Schritte weiter wird auf einem anderen Produktionsband Spaghetti-Eis in die Verpackung gepresst. Aus weiteren Düsen kommen die Erdbeersoße und die geraspelte weiße Schokolade, bevor die flachen Packungen der Kälteschock trifft. Sie rutschen in einen minus 40 Grad kalten Tunnel, in dem sie bis zu anderthalb Stunden gekühlt werden, bevor sie in Kartons verpackt im Kühllager auf den Weitertransport in den Handel warten. Nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa.
Zehn Millionen Euro steckt das Unternehmen in die neue Anlage
„Es gibt keine Kühltruhe im deutschen Einzelhandel, in der nicht mindestens ein Produkt von uns ist“, sagt Geschäftsführer Martin Ruehs. Auf sieben Anlagen in Apensen, die rund um die Uhr laufen, können täglich zwei Millionen Portionen Eis für Handelsmarken produziert werden. Das reicht vom Minihörnchen mit 30 Millilitern Erdbeereis bis zur Ein-Liter-Familienpackung. Doch das ist offensichtlich noch nicht genug. In der nächsten Woche beginnen in Apensen die Bauarbeiten für eine neue Produktionshalle, in die eine weitere Anlage für extrudiertes Eis kommen wird. Bei dieser Herstellungsart wird eine flüssige Eismischung in einem Strang produziert, von dem sich am Ende die einzelnen Portionen abschneiden lassen. „Je nach Bedarf können wir darauf Sandwich-Eis, Stieleis oder auch mal Zimtsterne herstellen“, sagt Klehn. Rund zehn Millionen Euro wird das Familienunternehmen investieren. Die neue Anlage, die Anfang 2016 in Betrieb gehen soll, ist sehr flexibel und hat einen hohen Automatisierungsgrad. Mit der Erweiterung entstehen auch 20 neue Arbeitsplätze. Bereits jetzt arbeiten 250 Beschäftigte in Apensen.
„Wir wachsen mit unseren Kunden, denn wir sehen den Bedarf im Markt“, sagt Klehn. Die Namen nennt er nicht, weil seine Kunden das nicht gern in der Zeitung lesen. Aber natürlich geht es um die großen Handelsketten wie Rewe, Edeka, Lidl, Aldi oder Penny. Auch die Produktion ist verräterisch: Wenn die Gelatelli-Packung vom Produktionsband läuft, dann weiß der aufgeklärte Verbraucher, dass sie später in der Kühltruhe bei Lidl liegen wird. Den Test kann beim nächsten Einkauf jeder selbst machen. Wenn sich auf der Packung die drei Buchstaben LEE finden, dann kommt das Eis aus Apensen und bei der Kennung LED ist die Packung aus dem Schwesternwerk in Ribnitz-Damgarten, wo ebenfalls 250 Beschäftigte arbeiten.
„Wir betreiben keinen direkten Export nach Europa, sondern beliefern unsere deutschen Kunden dort“, sagt Klehn. „Für uns ist die Expansion wichtig, da auch unsere Kunden immer größer werden.“ 250 verschiedene Produkte stellt Eisbär Eis für die Handelsketten her. Der Exportanteil liegt bei 30 Prozent.
In Deutschland stagniert der Eisverbrauch. Seit Jahren liegt der jährliche Verzehr bei knapp acht Liter pro Kopf. 20 Prozent davon gönnen sich die Deutschen in den Eisdielen und Konditoreien. Der Großteil des Verbrauchs entfällt auf das Supermarkt-Eis, wozu auch die Handelsmarken gehören. Knapp zwei Milliarden Euro wurden 2014 mit Eis in Deutschland umgesetzt. Um vier Prozent zurückgegangen ist der Absatz von Impulseis, also ein Eis, das man zum sofortigen Verzehr kauft. „Das ist stark vom Wetter abhängig“, sagt Ernst Kammerinke vom Bundesverband der Deutschen Süßwarenindustrie, denn es wird vor allem im Schwimmbad, im Biergarten oder im Zoo verkauft. Außerdem sieht er auch andere Produkte wie Kaffee oder Eistee als Konkurrenz für das Eis.
Den einzigen Zuwachs im vergangenen Jahr verzeichneten die Multipackungen im Einzelhandel. Das sind mehrere, häufig kleine Portionen in einer Packung. Auch bei Eisbär Eis laufen gerade viele solcher Packungen vom Band. Zwölf kleine Waffelhörnchen gefüllt mit Schokolade und Erdbeereis fallen in einen Karton. Eine Mitarbeiterin rüttelt sie mit der Hand zurecht, bevor sie verschlossen werden. „Die Nachfrage in diesem Bereich steigt seit Jahren“, sagt Kammerinke. „Für die Verbraucher ist das auch preislich sehr attraktiv.“
Eisbär Eis legt seit Jahren zu. 60 bis 70 Millionen Liter Eis werden jährlich produziert. 2014 betrug der Umsatz 130 Millionen Euro. „In den vergangenen zehn Jahren haben wir unseren Umsatz verdoppelt“, sagt Klehn.
An solche Dimensionen war nicht zu denken als 1955 zwei Brüder in einem Kellerraum in Neukloster die Firma gegründet haben. Einer davon war Klehns Vater, der Gaststätten und Schwimmbäder mit seinem Eis belieferte. Es wurde per Hand hergestellt und eingewickelt. Die eigene Marke Eisbär hat heute nur noch einen Anteil von zehn Prozent. „Wir verkaufen sie an kleine Händler, die sich keine eigene Marke leisten können“, sagt Klehn, der gelernter Konditor ist. Ruehs heiratete die Tochter des anderen Gründers. Der studierte Betriebswirt schnupperte kurz beim Otto-Versand rein, bevor er vor 25 Jahren bei Eisbär Eis anfing.
Der große Aufstieg der Firma begann, als der Einzelhandel zu Beginn der 1980er-Jahre eigene Eismarken wollte. Seitdem ging es für Eisbär Eis immer nur nach oben. Dabei sind sie der kleinste Produzent unter den Großen. „Wir wachsen stets nur aus eigener Kraft“, sagt Ruehs. „Firmenaufkäufe gehören nicht zu unserer Politik“, ergänzt Klehn. „Es gibt viele Beispiele, wo die Zusammenführung von Firmenkulturen gescheitert ist.“
Inzwischen ist die Branche in Deutschland sehr übersichtlich, und Eisbär Eis ist das einzige verbliebene Familienunternehmen. Die anderen sind Aktiengesellschaften oder Genossenschaften. „Es gab einen starken Konzentrationsprozess“, sagt Ruehs. Vor 20 Jahren existierten noch 25 Hersteller, inzwischen sind es nur noch fünf. Nur zwei davon sehen die Apenser als direkte Konkurrenten: DMK in Everswinkel und R&R Ice Cream in Osnabrück. Letzterer ist nach eigenen Angaben Europas größter Eiscremehersteller für Handelsmarken. Schöller und Langnese als Markenhersteller sieht Klehn nicht als direkte Wettbewerber. Aber Konkurrenz wächst im Ausland. Der belgische Hersteller Ysco verfügt in seinen zwei Fabriken über eine dreimal so große Kapazität wie die Apenser. Auch in Spanien gibt es mit ICFC noch einen großen Hersteller. Während sich die Eismarken wie Langnese oder Schöller 45 Prozent des Marktes in Deutschland teilen, haben die Handelsmarken einen Anteil von 55 Prozent. Rund 20 Prozent davon entfallen auf Eisbär.
Im Sommer wird viermal so viel Eis ausgeliefert wie sonst
Eine solche Position will verteidigt sein. Ohne laufende Investitionen wäre die Stellung schnell verloren. Vor fünf Jahren entstand das voll automatisierte Kühllager, denn nur eine große Vorproduktion macht es möglich, den Bedarf im Sommer zu decken. „Dann wird viermal so viel Eis ausgeliefert wie in der übrigen Zeit“, sagt Ruehs. „Die Firmen müssen sehr innovativ sein und sich ständig auf neue Anforderungen einstellen“, sagt Branchenexperte Kammerinke. Neben neuen Geschmacksrichtungen und Rezepturen sind das auch mehr Kleinpackungen für Singles. „Wir entwickeln im Jahr rund 150 Artikel, davon kommen 40 bis 50 in die Produktion“, sagt Klehn. Während sich früher ein Mitarbeiter um neue Produkte kümmerte, hat die Entwicklungsabteilung inzwischen sieben Beschäftigte, die neue Geschmacksrichtungen, Formen und Zusammensetzungen kreieren.
Minze ist ein solcher Trend, kombiniert mit weiteren Geschmacksrichtungen wie Kokos. Die drei beliebtesten Sorten sind seit Jahren unverändert Vanille, Schoko und Stracciatella. „Aber die Produzenten setzen zudem auf neue Sorten, die mit Schokoladen-, Frucht-, Keks- oder Baiserstückchen verfeinert werden“, sagt Kammerinke. Auch vom Retrotrend profitieren die Eishersteller. Alte Sorten wie das Stiel-eis werden neu aufgelegt. Die Apenser wollen den Eiskuss aus den 90er-Jahren wieder zurückbringen.
Klehn kann es bald etwas ruhiger angehen lassen. „Meine Tochter sitzt nebenan und bereitet sich auf die Übernahme meines Teils der Geschäftsführung vor“, sagt der 65-Jährige. „Wir sind froh, dass das Unternehmen in Familienhand bleibt. Deshalb fällt es uns nicht schwer, immer wieder in die Firma zu investieren.“