Helgoland. Millionen-Investitionen und neue Arbeitsplätze: Die Energiewende macht Helgoland zur Service-Insel. Ein Hotel ist für zehn Jahre ausgebucht.
Die besten Zeiten hatte Deutschlands einzige Hochseeinsel vor Jahrzehnten. Dann sanken auf Helgoland lange Jahre die Besucherzahlen. „Fuselfelsen“, das leicht angestaubte 1950er-Jahre-Image, Abwanderung junger Menschen - die Insel stand vor einer ungewissen Zukunft. Jetzt versucht Helgoland, von dem Boom der Offshore-Windkraft zu profitieren.
In diesem Jahr sollen die drei Offshore-Windparks nördlich von Helgoland fertig werden. Weit über drei Milliarden Euro haben die drei Energieversorger Eon, RWE und WindMW investiert. Ein kleiner, aber wichtiger Teil der Investitionen landete auf der Insel, 40 Kilometer vor der Küste. Weltweit erste Offshore-Service-Insel, nannte sich Helgoland ab 2011. Die Energieversorger haben hier für mehr als 15 Millionen Euro Servicezentralen gebaut, weiteres Geld soll in den Ausbau der Hafenstruktur fließen.
Aber auch die öffentliche Hand investierte: „Insgesamt sprechen wir von einer Gesamtinvestition von 32 Millionen Euro“, sagt Bürgermeister Jörg Singer. Die Gemeinde habe sich mit etwa acht Millionen Euro verschuldet. Der Rest kommt von Land, Bund und EU. „Die Unternehmen mieten die Flächen, sie zahlen Liegegelder, Anlandeentgelte. Darüber werden wir das refinanzieren“, ist Singer überzeugt. Singer ist seit 2011 Insel-Bürgermeister.
Ende der sechziger Jahre, Anfang der siebziger Jahre kamen bis zu 800.000 Besucher im Jahr auf die Insel. „In den Hochzeiten hatten wir hier die höchste Kneipendichte Deutschlands, erinnert sich der parteilose Politiker. „Dann halbierte sich die Besucherzahl schrittweise. Die letzten Jahrzehnte war es hier sehr, sehr ruhig.“
Vor dem Offshore-Projekt war ein Anlauf gestrandet, die Insel aus dem Dornröschenschlaf zu wecken. 2011 scheiterte ein Bürgerentscheid über ein Projekt, Helgoland und die Düne mit einer Spundwand zu verbinden und Land aufzuschütten. Mancher fürchtete um die Beschaulichkeit der Insel. Autos, Mopeds und sogar Fahrräder sind hier in der Touristenzeit verboten. Besucher und Kegelrobben genießen die Ruhe.
Mit dem Projekt „Offshore-Service-Insel“ kommt der Wandel doch, wenn auch anders. Die neuen Gebäude, 30 Prozent mehr Betrieb im Hafen, „dazu etwa 150 bis 200 Techniker. Mehr als 20 neue Arbeitsplätze seien entstanden, sagt Singer. Er rechnet mit dauerhaft 150 Arbeitsplätzen im Offshore-Bereich. „Im Umfeld der Servicestationen der drei Energieversorger haben sich andere Unternehmen angesiedelt. Fast die Hälfte davon sind Helgoländer.“
Börte-Boote werden ausgebootet
Einer von ihnen ist Marten Frier. Er ist auf Helgoland geboren und aufgewachsen. Nach Abitur und Studium auf dem Festland ist er jetzt wieder auf der Insel - zumindest arbeitet er dort. Der 23-Jährige ist Offizier auf der „Seewind I“. Der Hochgeschwindigkeits-Katamaran bringt Offshore-Mitarbeiter von Helgoland zu dem Windkraftfeld.
„Ohne die Entwicklung der Offshore-Branche hätte ich wohl keine Arbeit auf Helgoland gefunden“, sagt Frier. Seine Eltern leben noch hier, von seinem Schuljahrgang sei allerdings keiner geblieben. „Die Windenergie ist gut für die Insel“, sagt Frier.
Der 48 Jahre alte Helgoländer Thilo Denker war 25 Jahre „von der Insel runter“. Als er mit seiner Frau hier Arbeit suchte, gab es nur Saison-Jobs. Jetzt, da die Mitarbeiter der Windenergie-Unternehmen das ganze Jahr über da sind, hat die Frau eine Ganzjahresstelle im Hotel gefunden. Denker selbst arbeitet bei einer Service-Firma, die die Windanlagen für mindestens zehn Jahre wartet.
Beliebt war Helgoland schon lange bei Sportschiffern, die hier mal steuerfrei auftanken konnten. Jetzt steigt der Verbrauch kräftig. „Früher waren wir alle vier Wochen hier“, sagt Klaus Stadler, Kapitän des Tankschiffs „Ebba 2“. Jetzt kommen wir jede Woche. Die Offshore-Schiffe brauchen ordentlich Stoff.“
Der Bevölkerungsschwund ist gestoppt, sagt der Bürgermeister. Mit den Neubürgern und steigenden Ansprüchen wächst aber der Wohnungsmangel. Zudem stehen so gut wie sämtliche Gebäude der Insel unter Denkmalschutz. Das erschwert Umbauten und Erweiterungen. Auf dem Oberland sollen nun 100 neue Wohnungen entstehen.
Ob die Windbranche die langfristigen Hoffnungen vieler Helgoländer erfüllen kann, ist noch nicht ausgemacht. Ein Energieunternehmen hat ein ganzes Hotel für zehn Jahre gemietet. Und dann? Wenn die Bauphase in diesem Jahr ende und die Arbeiter abreisten, werde es wohl eine „kleine Delle“ geben, sagt Singer. Natürlich hofft die Gemeinde auf sprudelnde Gewerbesteuereinnahmen. Der Bürgermeister rechnet mit einer Vervielfachung der Einnahmen.
Die Touristen scheinen die Umbauten und Neuerungen nicht zu stören, im Gegenteil. Im vergangenen Jahr stieg die Zahl der Übernachtungsgäste auf 73.500, 20 Jahre vorher waren es nur halb so viele. Für Helgoland könnte es eine Reise zurück in die Zukunft werden, wie es Singer gerne formuliert.
Am Ostufer soll ein 200-Betten-Wellness-Hotel entstehen, die Kurpromenade wird umgebaut, vor den Hummerbuden entsteht eine Marina. Und im Sommer nimmt die neue Helgolandfähre den Betrieb auf. An weiteren Ideen feilt der BIC Helgoland, der Business Improvement Club, ein Zusammenschluss von Unternehmern. So könnte es bald Strandsaunen auf der Düne geben, kleine mobile Saunen in Badekarren.
Der Offshore-Windpark vor Helgoland besteht aus drei Windparks der Energieversorger Eon („Arumbank West“), RWE („Nordsee Ost“)und WindMW („Meerwind Süd/Ost“). Sie liegen zwischen 23 und 53 Kilometern nördlich Helgolands. Die letzten Windräder sollen bis Herbst 2015 am Netz sein. Zusammen können sie rechnerisch mehr als 900.000 Haushalte mit Strom versorgen. Eon und RWE haben nach eigenen Angaben je eine Milliarde Euro investiert, WindMW sogar 1,3 Milliarden Euro. Mehr als 200 Turbinen sind installiert, manche sind von der Wasseroberfläche bis zur Rotorspitze 160 Meter hoch und überragen damit den Kölner Dom.