Fiskus entgehen 2015 zehn Milliarden Euro. DGB Hamburg warnt vor Verteufelung.
Hamburg. Der seit Jahresbeginn geltende Mindestlohn bekommt immer neue Kritiker. Einer wirtschaftswissenschaftlichen Prognose zufolge wird der Mindestlohn dieses Jahr in Deutschland zu einem weiteren Anstieg der Schwarzarbeit um 1,5 Milliarden Euro führen – und verhindert somit einen weiteren Rückgang von Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung. Der Anteil der Schwarzarbeit am Bruttoinlandsprodukt (BIP) bleibt damit unverändert bei 12,2 Prozent. Dies ermittelte das Tübinger Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung (IAW) und die Universität Linz in einer Studie. Insgesamt war die Schwarzarbeit in der Bundesrepublik seit 2003 mit Ausnahme des Krisenjahres 2009 stetig zurückgegangen.
Gewerkschafter warnen jedoch davor, den Minimallohn zu verteufeln. „Das Argument Schwarzarbeit wird immer wieder missbraucht, um den Mindestlohn zu diskreditieren. Der Zusammenhang ist keineswegs bewiesen“, sagte die Vorsitzende des DGB Hamburg, Katja Karger, dem Abendblatt. „Der Mindestlohn von 8,50 Euro bricht keinem Unternehmen das Genick oder drängt es in die Schwarzarbeit. Aber er sichert Millionen Arbeitern einen minimalen Lebensstandard.“
Für sich genommen müssten die robuste Konjunktur und Lage auf dem Arbeitsmarkt eigentlich für einen Rückgang der Schattenwirtschaft sorgen, sagte IAW-Direktor Bernhard Boockmann. Doch der Mindestlohn sowie steigende Beiträge zur Pflegeversicherung verhinderten dies. Die Begründung dafür liefert der Linzer Wirtschaftsprofessor Friedrich Schneider im Abendblatt: „Die Mindestlohnempfänger freuen sich, dass sie mehr Geld verdienen und auch mehr ausgeben können – unter anderem für Schwarzarbeiter. Die Arbeitgeber müssen für einfachere Arbeit ihren Mitarbeitern mehr Lohn bezahlen. Um ihre Kosten wieder zu senken, werden die Unternehmen auch wieder mehr Schwarzarbeiter beschäftigen.“
Insgesamt arbeiten in Deutschland etwa sieben bis zehn Millionen Menschen schwarz. Die meisten sind in der offiziellen Wirtschaft fest angestellt, arbeiten jedoch zudem in ihrer Freizeit, um etwas dazuzuverdienen, beschreibt Schneider. Meistens handelt es sich um gut verdienende Fachleute aus allen Berufsgruppen. Besonders häufig sind Schwarzarbeiter am Bau, in Gaststätten, Hotels und in der Landwirtschaft anzutreffen. „Der deutsche Fiskus nimmt durch Schwarzarbeit etwa zehn Milliarden Euro weniger ein. Die größten Verlierer sind die Sozial- und Krankenkassen, die etwa 20 bis 25 Milliarden Euro weniger erhalten, gleichzeitig aber dieselben Leistungen bei geringeren Einnahmen tragen müssen.“
Generell warnt Schneider davor, Schwarzarbeit nur schlechtzureden: „Schattenwirtschaft ist für jedes Land wohlfahrtssteigernd. Sie erhöht allein das deutsche Bruttoinlandsprodukt um etwa 250 Milliarden Euro. Ohne Schwarzarbeit ginge es uns viel schlechter.“ Im Vergleich mit anderen OECD-Ländern nimmt Deutschland einen Platz im Mittelfeld ein – ähnlich wie Frankreich und die skandinavischen Länder. In Griechenland, Italien und Spanien liegt der Anteil der Schwarzarbeit am BIP zwischen 18 und 22 Prozent und damit am höchsten. Am niedrigsten ist sie laut Studie in den USA mit 5,9 Prozent.