Orca Maritime bringt auf Stahloberflächen Folien anstelle von Lack auf. Das Hamburger Unternehmen arbeitet weltweit. Reedereien sparen mit der Technologie Zeit und schonen die Umwelt.
Um den Bug der MS „Aurora“ herum steht ein Gerüst mit weißen Planen daran. Für die Werft Blohm + Voss ist das Routine, für die Mitarbeiter des Hamburger Unternehmens Orca Maritime eine Herausforderung: „Unter einer Abdeckung einen Schiffsbug zu bekleben ist praktisch Blindflug“, sagt Manfred Haack, Miteigner und Geschäftsführer von Orca Maritime. „Denn wir sehen das Ganze erst nach der Demontage von Planen und Gerüsten.“ Die Mitarbeiter des Hamburger Unternehmens versehen das rund 50 Meter lange Vorschiff mit einem Union Jack. Mit der stolzen Nationalflagge voraus, soll die MS „Aurora“ kommende Woche in Southampton einlaufen, dem Sitz der britischen Reederei P&O Cruises. Das Schiff ist das erste der P&O-Flotte, das mit dem neuen Design der Reederei ausgestattet wird. „Da muss jeder Millimeter in der Linienführung stimmen“, sagt Haack.
Im Jahr 2008 verlegte Haack gemeinsam mit seinem Co-Gesellschafter Michael Sens das Unternehmen von Norwegen nach Hamburg, für das beide zuvor als Repräsentanten gearbeitet hatten. Mittlerweile beklebt Orca Maritime weltweit große Stahlstrukturen mit seiner Spezialfolie: Schiffe vom Kreuzfahrer bis zur Superyacht, Offshore-Installationen, Öltanks oder auch Windturbinen. Von Australien bis Brasilien, von Europa bis zu den USA. „So große Flächen wie wir beklebt sonst keine andere Firma auf der Welt“, sagt Florian Kelling, der als General Manager zahlreiche Projekte vor Ort koordiniert, auch die Aufbringung des Union Jacks auf die MS „Aurora“.
Der Bug des Schiffes musste eingerüstet werden, weil die Folienbahnen sonst nicht so kleben würden, wie es nötig ist. Heizstrahler blasen warme Luft zwischen die Planen und den Rumpf. „Durch die dreidimensionale Verformung des Schiffsrumpfes ändert sich auch die Linie der Dekoration – das müssen wir beim Bekleben vorher mitdenken und berücksichtigen“, sagt Kelling. „Normalerweise arbeiten wir von bis zu 60 Meter langen Auslegern von Hubsteigern aus, die auf dem Kai stehen. Von dort aus kann man sehr gut korrigieren, weil der Schiffsrumpf dann üblicherweise nicht abgedeckt ist.“
Mehr und mehr setzt sich die Folie von Orca Maritime in der Schifffahrt und in anderen Anwendungsgebieten durch. Entwickelt wurde das inklusive Klebeschicht nur 120 Mikrometer – etwas mehr als ein Zehntel Millimeter – dünne Material speziell für die extremen Bedingungen auf See: salzhaltige Luft, Feuchtigkeit, wechselnde Temperaturen, Sonneneinstrahlung. Zwei Vorteile verbindet die Folie: Sie verhindert die Bildung von Rost, wenn sie auf einen sauberen und trockenen Untergrund aufgetragen wird. Und sie verursacht weitaus weniger Aufwand als das Lackieren und Abschleifen riesiger Flächen. „Die Folie kann mit neuer Folie überklebt, aber auch übermalt und später auf der Farbe bei Bedarf wieder beklebt werden“, sagt Haack.
Wo das Material hergestellt wird, lässt sich Haack bis auf den Hinweis „in Deutschland“ nicht entlocken, ebenso wenig genaue Zahlen über Umsatz und Gewinn. Zu groß ist die Sorge in dem kleinen Unternehmen, dass mögliche Konkurrenten sich das Erfolgsgeheimnis der Hamburger genauer anschauen könnten. „In diesem Jahr ist der Umsatz im Vergleich zu 2013 um 70 Prozent gestiegen“, sagt Haack. „Seit etwa einem Jahr fahren wir gute Zahlen ein.“ Permanent arbeitet Haack mit seinem Team an der Akquisition neuer Aufträge. „Wir verhandeln derzeit über die Arbeit an insgesamt 17 Kreuzfahrtschiffen“, sagt der Unternehmer. Möglicherweise kommt auch ein Auftrag für die „Queen Mary 2“ und ihre Schwesterschiffe „Queen Elizabeth“ und „Queen Victoria“ der britischen Reederei Cunard Line zustande.
Das Geschäftsmodell von Orca Maritime funktioniert, weil es einfach und praktikabel ist. Die Folien, die im Endzustand viele Quadratmeter bedecken, werden von handlichen Rollen herunterverarbeitet. Insgesamt beschäftigt das Unternehmen derzeit nur acht fest angestellte Mitarbeiter. „Bei unseren Projekten arbeiten wir praktisch immer mit professionellen, freien Verklebern, die zum Beispiel aus dem Bereich der Werbedekoration kommen“, sagt Haack. „Wir versuchen immer die Besten zu bekommen. Die werden dann von uns auf die Verarbeitung der Folien geschult. Der kritische Punkt ist, für diese Anforderungen schnell hoch qualifizierte Leute vor Ort zu finden.“
Die Arbeit an Schiffen oder anderen großen Stahlstrukturen ist anspruchsvoll. Und meist bleibt nicht viel Zeit, um einen Auftrag auszuführen. Auf der MS „Aurora“ arbeiten bei Blohm + Voss zeitgleich rund 1400 Mitarbeiter aller nur denkbaren Gewerke. Im Theater wechseln Polsterer die Bezüge Hunderter Sitze aus, in den Treppenhäusern und auf den Gängen werden Teppiche und Wanddekorationen erneuert. Die Mitarbeiter der Sicherheitsschleuse an der Gangway haben reichlich zu tun.
Am Rumpf der MS „Aurora“ prüft Sarah Busch das Ergebnis ihrer Arbeit. Die selbstständige Werbetechnikerin hat die britische Flagge auf das Schiff mit aufgeklebt. Rundherum bereiten Werftarbeiter bereits die Demontage des Gerüsts vor. Die Zeit drängt. „Normalerweise beklebe ich Autos oder Busse, jedenfalls kleinere Flächen“, sagt Busch, 24. „Das hier ist etwas Besonderes. Wir orientieren uns an Fixpunkten wie Schweißnähten. Bei Bedarf wird eine verklebte Folie nach dem Glattstreichen mit dem Grafikmesser korrigiert.“
Die Arbeit der Orca-Maritime-Experten ist bunt. Wenn es sein muss, werden Schiffe selbst während einer Kreuzfahrt neu dekoriert. „In jedem Hafen stellt die entsprechende Reederei dann Infrastruktur wie etwa Hubsteiger zur Verfügung. Wir kümmern uns darum, dass das nötige Material vor Ort ist“, sagt Haack. „Während der Liegezeiten arbeiten unsere Leute am Schiff und fahren dann mit zum nächsten Reiseziel. Das hat erhebliche Vorteile für die Reederei: Außerhalb von Werften dürfen heutzutage praktisch keine Lackierarbeiten mehr an Schiffen durchgeführt werden. Mit unserer Folie muss das Schiff aber nicht in die Werft – wir nutzen die wertvolle Zeit im Hafen.“
Auch bei der MS „Aurora“ darf nichts schiefgehen. Der Ablaufplan für die Generalüberholung ist eng getaktet. Noch während der Überführung nach Southampton wird an Bord weitergearbeitet. „Der Zeitdruck ist extrem hoch. Alles muss auf den Punkt genau sitzen“, sagt Kelling. Dazu gehört auch, dass das Gerüst am Bug zügig wieder abgebaut wird, um das Ergebnis in Augenschein nehmen zu können. „Sitzt perfekt“, sagt Haack bei der Begutachtung vom Kai des Docks aus. „Die Reederei freut sich schon auf das neue Design.“
Die Zahl der Referenzen steigt. Mehr als 100 Schiffe hat Orca Maritime bereits dekoriert, außerdem etliche andere Großstrukturen. Zudem versorgt das Hamburger Unternehmen die Serienfertigung von Windturbinen beim Hersteller Senvion in Bremerhaven, Husum und Berlin mit Klebedekor. Das schafft Selbstvertrauen. Haack ist als Chefvermarkter ständig unterwegs. „Im vergangenen Jahr habe ich Vorträge bei der US Navy über unsere Arbeit gehalten – wir hoffen, auch von dort Aufträge zu bekommen.“ Trotz der bei Großaufträgen üblichen Hektik auf der Werft ist Haack mit der Entwicklung des Geschäfts höchst zufrieden. „Im kommenden Jahr müssen wir zusätzliche Leute einstellen. Mittlerweile läuft es bei uns weltweit“, sagt er. „Wir kommen vor lauter Arbeit kaum hinterher.“