Trotz hoher Spezialisierung und langer Tradition bleibt der Wettbewerb für die Norderwerft hart. Pünktlichkeit bei der Fertigstellung der Aufträge sei die Basis des Unternehmens.

Hamburg. Um die Entwicklung der Norderwerft zu illustrieren, zieht Stephan Friedrich einen einfachen Vergleich: Er zeigt den Besuchern zwei Werkstätten auf dem weitläufigen Gelände am Reiherstieg. Eine der Hallen wurde in jüngerer Zeit komplett modernisiert, die andere zeigt noch den Zustand vergangener Jahrzehnte – zwei Epochen Seite an Seite. „Hier wurde vor unserer Übernahme lange nicht mehr investiert. Das muss man jetzt in einer vernünftigen Reihenfolge organisieren“, sagt Friedrich, 53, kaufmännischer Geschäftsführer der Norderwerft Repair GmbH. „Die Norderwerft hat lange Zeit von ihrer Substanz gezehrt. Wir wollen die Werft Zug um Zug sanieren, modernisieren und dadurch die Produktivität für Kunden erhöhen.“

Beim ersten Blick am Eingang vermittelt die Norderwerft einen musealen Eindruck. Die Fassaden der Gebäude zeigen den Baustil der 1950erund 60er-Jahre und ebenso auch mancher holzvertäfelte Innenraum in den alten Kontoren des Unternehmens. Die Vergangenheit ist hier so präsent, dass die Norderwerft in den 2000er-Jahren schon mal als Kulisse für TV-Produktionen diente, etwa über die große Sturmflut des Jahres 1962 an der Elbe.

Die Fassade aber täuscht darüber hinweg, dass die Werft als reine Reparaturwerft seit Jahrzehnten arbeitet. Gegründet 1906, gehörte sie seit den 1970er-Jahren zu Sietas in Neuenfelde. Im Oktober 2012 übernahm die Bremer Lürssen Gruppe die Norderweft, nachdem Sietas Insolvenz angemeldet hatte. „Lürssen hat die Norderwerft seinerzeit vor allem übernommen, um die Reparatur von Handelsschiffen als zusätzliches Geschäftsfeld in die Gruppe aufzunehmen“, sagt Friedrich, der seit 1996 für Lürssen arbeitet. „Wir können hier neben dem Kerngeschäft, der Reparatur von Handelsschiffen, auch Marineschiffe, Spezialschiffe und Yachten reparieren. Der Schwerpunkt liegt aber bei Handelsschiffen, bei Frachtern und zunehmend auch bei Tankern.“

Bis zu 200 Meter lange Schiffe kann die Norderwerft docken. Im Schnitt arbeitet die Werft jährlich gut 400 Reparaturaufträge ab, darunter sind gut 70 Dockungen. An diesem Tag liegt in einem der Schwimmdocks das Forschungsschiff „Meteor“, das von der Universität Hamburg im Auftrag des Bundes betrieben wird. An einer Pier ist ein Containerzubringerschiff vertäut und daneben der Einsatzgruppenversorger „Bonn“, der größte Schiffstyp der Deutschen Marine. Mit etwa 100 Mitarbeitern ist die Belegschaft seit Jahren konstant, trotz einer lang anhaltenden Krise in der Schifffahrt und im Schiffbau: „Wir haben hier eine Topmannschaft übernommen, die es gewohnt ist, schnell, flexibel und präzise zu arbeiten“, sagt Friedrich im Dock unter dem frisch überholten Rumpf der „Meteor“. „Unsere Mitarbeiter sind nicht nur auf der Werft tätig, sondern erledigen bei Bedarf Reparaturen an Bord im Hamburger Hafen oder in jedem anderen Hafen weltweit.“

Während der Krise der norddeutschen Werftindustrie in den vergangenen Jahren geriet die Norderwerft zumeist aus dem Blick. Deutschlands älteste Werft Sietas in Neuenfelde wurde nach mehr als zweijähriger Insolvenz im März vom russischen Schiffbauunternehmen Pella übernommen, unmittelbar vor dem drohenden Untergang des 379 Jahre alten Unternehmens. Hamburgs letzte Großwerft Blohm + Voss wiederum gehört seit 2012 dem britischen Finanzinvestor Star Capital Partners, nachdem der vorherige Eigner, der Stahlund Industriekonzern ThyssenKrupp, aus dem Geschäft mit Zivilschiffen ausgestiegen war.

Auch die Norderwerft musste gegen die Krise ankämpfen. Aber das geschah weitaus unauffälliger als bei den beiden prominenteren Hamburger Schiffbaubetrieben. Nach der Übernahme vereinbarte Lürssen mit der Belegschaft am Reiherstieg einen Sanierungstarifvertrag, der unter anderem 39 statt 35 Wochenstunden Arbeitszeit ohne Lohnausgleich beinhaltet. Er gilt für die Jahre 2014 bis 2016. „Der Gesellschafter Lürssen investiert in die Modernisierung der Werft, und die Mitarbeiter tun es ebenfalls, durch ihren Beitrag im Rahmen des Sanierungstarifvertrages“, sagt Friedrich. „Dadurch haben wir ein gutes Stück der Wettbewerbsfähigkeit zurückgewonnen.“

Lürssen hofft darauf, dass die Krise der Handelsschifffahrt nach mittlerweile fast sechs Jahren Dauer in absehbarer Zeit zu Ende geht, dass die Reedereien manche aufgeschobene Investition an ihren Frachtern und Tankern nachholen. „Die anhaltende Krise im Handelsschiffbau führt zu einem rückläufigen Reparaturvolumen. Die Folge sind ein schwieriges Umfeld und ein äußerst dynamischer Wettbewerb“, sagt Hans-Joachim Theile, 51, technischer Geschäftsführer der Norderwerft. „Uns verpflichtet das, neue Wege zu gehen. Wir befassen uns zum Beispiel intensiv mit der Nachrüstung von Abgasreinigungsanlagen, sogenannten Scrubbern, sowie von Reinigungsanlagen für die Wasserballasttanks auf Schiffen.“ Vor allem die Ausrüstung mit Abgasreinigern – ein wichtiges Thema auch bei der weltgrößten Schiffbaumesse SMM diese Woche in Hamburg – haben die Reedereien großen Nachholbedarf. Denn schon von Anfang 2015 an gelten auf Nord- und Ostsee deutlich strengere Grenzwerte für den Ausstoß von Schwefeldioxid und Stickoxiden aus Schiffsmotoren. Viele Schifffahrtsunternehmen hatten gehofft, dass der Stichtag für die Grenzwerte aufgeschoben wird – und dass damit auch der Druck zur Nachrüstung sinkt. Doch die Europäische Union hielt am 1. Januar 2015 fest.

Trotz hoher Spezialisierung und langer Tradition bleibt der Wettbewerb auch für die Norderwerft hart. Die Konkurrenz sitze vor allem an der Weser und im Ausland, sagen die Geschäftsführer etwa mit Blick auf die Unternehmen Bredo oder Lloyd-Werft in Bremerhaven. „Die Schiffsreparatur – insbesondere in der Handelsschifffahrt – ist ein extrem dynamisches und zeitsensibles Geschäft“, sagt Theile. Anders als etwa Marineschiffe oder Yachten werden Frachter und Tanker von ihren Reedern oft sehr kurzfristig auf eine Reparaturwerft geschickt. Dann muss es schnell gehen, um die Schiffe zügig wieder in ihre Dienste zurückführen zu können. „Um hier zu bestehen, setzen wir auf Termintreue, Qualität und die langjährige Erfahrung unserer Mitarbeiter“, sagt Theile. Pünktlichkeit bei der Fertigstellung der Aufträge sei die Basis des Unternehmens. Darüber soll auch der erste Eindruck nicht hinwegtäuschen, dass die Zeit auf der Norderwerft stehen geblieben sein könnte.