Die Regierung hatte mit einem anderen Ausgang gerechnet. Jetzt übt sie sich in Erklärungsversuchen. Derweil wetzt die Opposition die Messer. Die FDP wirft dem Bürgermeister sogar vor, gegen den Amtseid verstoßen zu haben.

Hamburg/Leipzig. Im Frühjahr 2015 wollte die Stadt Hamburg mit den Baggerarbeiten zur Elbvertiefung beginnen. Bis zuletzt hatten der Bund und der Senat daran geglaubt, dass das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig der Elbvertiefung mit weiteren Auflagen zustimmen würde. Entsprechend geschockt war die SPD-Regierung darüber, dass nun erst der Europäische Gerichtshof (EuGH) befragt werden soll. Die Entscheidung des Gerichts hatte die Politiker kalt erwischt. Die Hängepartie für den Senat und die Hamburger Hafenwirtschaft geht weiter.

„Gott mit uns“ stand über dem Torbogen, unter dem sich Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftssenator Frank Horch (parteilos) am Mittag mit ernster Miene der Öffentlichkeit stellten. „Wir hätten uns eine andere Entscheidung erhofft“, sagte Scholz. Das Gericht wolle aber eine Entscheidung des EuGH zur EU-Wasserrahmenrichtlinie abwarten, die eine Verschlechterung der Wasserqualität durch Baumaßnahmen verbietet. Dieses sei zu respektieren, sagte Scholz und er machte deutlich, dass es dabei um eine „schicksalhafte“ Frage für viele Städte in Europa gehe.

Diese hätten sich wie Hamburg an Flüssen angesiedelt, hier wären Kulturlandschaften entstanden und Industrie aufgebaut worden. „Und die Frage ist, ob die Städte diesen Lebensraum weiter nutzen können“, sagte Scholz. Der Bürgermeister erklärte aber auch, er sei weiter zuversichtlich, dass die Elbvertiefung genehmigt wird. „Das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner heutigen Entscheidung ausdrücklich festgestellt, dass alle sonstigen Frage nicht zur Aufhebung der Planfeststellungsbeschlüsse führen würden“, sagte er immer wieder.

Auch Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) ist zuversichtlich, dass die Elbvertiefung am Ende kommen wird. Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig habe in seinen Darlegungen zur Aussetzung des Verfahrens deutlich gemacht, dass es im Planfeststellungsverfahren keine grundsätzlichen Fehler gebe, die nicht heilbar wären, sagte Dobrindt am Donnerstag in Kiel beim Abschluss der Verkehrsministerkonferenz der Länder. Deshalb könne man optimistisch auf die endgültige Entscheidung warten. „Es handelt sich um eine Verzögerung, aber die Tür ist nicht zu.“ Das Aussetzen „wirft uns allerdings in unserem gedanklichen Zeitplan zurück“.

Wirtschaftssenator Horch, fast verlegen wirkte, hob noch einmal die Bedeutung des Hamburger Hafens für den deutschen Export hervor. Im Hinblick auf die Wettbewerbssituation mit anderen Häfen wie Rotterdam sei die Entscheidung des Gerichts nicht förderlich, aber zu akzeptieren. „Wir haben eine Verzögerung vor uns, glauben aber weiterhin, dass wir inhaltlich Recht bekommen“, sagte er im Rathaus.

Sein niedersächsischer Kollege, Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) bezeichnete es hingegen als einen „Fehler“, jetzt nur auf die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes zu warten. Er plädierte erneut für eine norddeutsche Hafenkooperation. „Völlig unabhängig vom ungewissen Ausgang der Verfahren brauchen wir eine intensivere Kooperation der norddeutschen Seehäfen“, sagte Lies fast zeitgleich in Hannover.

Dem schloss sich die Linksfraktion in der Bürgerschaft an. Der Senat habe das europäische Wasserrecht nicht ausreichend berücksichtigt, aber das ist kein Hafenuntergang“, sagte deren hafenpolitischer Sprecher Norbert Hackbusch. Hamburgs Hafen sollte sich stattdessen „auf seine Stärken besinnen“ und schon jetzt an zukunftsfesten Lösungen im Rahmen einer Hafenkooperation arbeiten. Der Konkurrenzkampf Hafen gegen Hafen sei nicht mehr zeitgemäß, so Hackbusch.

Andere Teile der Opposition warfen dem Senat Versagen vor. „Schwerwiegende Mängel in dem von Olaf Scholz verantworteten Planungszeitraum führen jetzt zum Stopp der Elbvertiefung“, sagte der Fraktionschef und designierte Bürgermeisterkandidat der CDU für die Bürgerschaftswahl Dietrich Wersich. Er sprach von einem „Desaster“ für den Hamburger Hafen und die ganze Wirtschaft. „In einer der wichtigsten Fragen unserer Stadt und seiner Amtszeit als Bürgermeister hat Olaf Scholz sein Versprechen vom ordentlichen Regieren nicht einlösen können“, attackierte Wersich den Bürgermeister.

Der SPD-Senat habe es völlig verschlafen, eine erfolgreiche Strategie gegen die Klage der Naturschutzverbände zu entwickeln, sagte auch die Fraktionsvorsitzende der FDP, Katja Suding. „Bürgermeister Scholz und Wirtschaftssenator Horch müssen sich angesichts dieser Katastrophe mit Ansage fragen lassen, ob sie ihren Amtseid des Handelns zum Wohle Hamburgs nicht verletzt haben.“ Scharf war aber auch Sudings Kritik an den Umweltverbänden. „NABU und BUND führen gegen jede Vernunft mit juristischen Mitteln einen ideologischen Feldzug gegen den Hamburger Hafen, seine Unternehmen und Beschäftigten.“

Der Fraktionschef der Grünen, Jens Kerstan, bezeichnete die Äußerungen des Bürgermeisters als „hilflose Reaktionen“. Den Planern und dem Senat seien bei der Prüfung der Umweltverträglichkeit schwere handwerkliche Fehler unterlaufen, deren Behebung womöglich Jahre dauern kann.

Der Präses der Hamburger Handelskammer äußerte sich auffallend moderat zu der Entscheidung der Leipziger Richter: „Die Hamburger Wirtschaft begrüßt, dass das Bundesverwaltungsgericht grundsätzlich den Bestand der Planfeststellungsbeschlüsse bestätigt hat.“ Sie bedauere aber die weitere zeitliche Verzögerung durch die notwendige Beseitigung von Mängeln und das Warten auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs im Weser-Verfahren. „Es geht voran, aber leider langsamer als erwartet“, sagte Melsheimer.

Der Präsident des Unternehmensverbands Hafen Hamburg, Gunther Bonz kritisierte hingegen die EU. Eine Grundsatzentscheidung zur Auslegung ihrer Wasserrahmenrichtlinie sei offenkundig unumgänglich. „Dies ist ein deutlicher Beleg dafür, dass das Planungsrecht auch auf europäischer Ebene zu komplex und handwerklich unsauber ausgestaltet ist“, sagte Bonz.

Weniger zurückhaltend reagierten andere Wirtschaftsverbände wie der Industrieverband Hamburg, die Jungen Unternehmen oder der Verein Hamburger Spediteure. Sie sprachen von einem herben Rückschlag mit fatalen Folgen für den Logistikstandort Hamburg. Wegen der „beispiellosen juristischen Hängepartie“ seien viele Unternehmen gezwungen, wichtige Investitionen aufzuschieben, bis endlich Klarheit zur Zukunft des Hafenstandorts herrscht, hieß es.

Und Christian Koopmann, Vorsitzender des Zentralverbands deutsche Schiffsmakler, meinte: „Leider geht von der heutigen Entscheidung in erster Linie das Signal an die überwiegend ausländische Hafenkundschaft aus, dass infrastrukturelle Großprojekte in Deutschland nur sehr schwer realisierbar sind. Das wird in den Unternehmenszentralen auf der ganzen Welt sehr genau wahrgenommen.“

Völlig anders war die Stimmung bei den Gegnern der Elbvertiefung. Nachdem der Vorsitzende Richter am Bundesverwaltungsgericht, Rüdiger Nolte, Mängel in der Umweltverträglichkeitsprüfung festgestellt hat, sehen sie sich in ihrer Auffassung bestätigt, dass die Planer der Elbvertiefung wichtige Vorschriften des Umweltrechts missachtet haben. „Es ist ein Zwischenerfolg für die Elbe und für den Gewässerschutz in ganz Deutschland“, sagte der Hamburger Geschäftsführer des Bundes Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Manfred Braasch nach dem Beschluss der Richter in Leipzig.

„Man kann nicht Maßnahmen zur Standortsicherung, die sowieso nötig sind, als Ausgleichsmaßnahmen in das Planverfahren aufnehmen. Das sieht das Gericht ebenso wie wir, die klagenden Verbände.“

In einer gemeinsamen Erklärung verwiesen die im Aktionsbündnis Tideelbe zusammengeschlossenen klagenden Umweltverbände BUND, Nabu und WWF darauf, dass es nötig sei, die deutsche Flusspolitik neu auszurichten. „Alle als Bundeswasserstraße genutzten Flüsse in Deutschland sind in einem schlechten oder mäßigen ökologischen Zustand, die Elbe ist hier keine Ausnahme.“

Weitere Strombaumaßnahmen und Vertiefungen würden dem gesetzlichen Verbesserungsgebot entgegenstehen, denn die Mitgliedsstaaten der EU seien durch die europäische Wasserrahmenrichtlinie verpflichtet, bis zum Jahr 2015 einen guten ökologischen Zustand der Gewässer wiederherzustellen.

Der federführende Anwalt der Umweltverbände Rüdiger Nebelsieck jubelte: „Auf der Skala von ganz enttäuscht bis sehr begeistert bin ich zu 80 bis 85 Prozent begeistert.“ Die Planungsbehörden bei der Elbvertiefung hätten Ausgleichsmaßnahmen zur Verbesserung der Umweltsituation an der Unterelbe nach den Baggerarbeiten aufgeführt, die sie nach europäischem Recht sowieso hätten umsetzen müssen. Das habe das Gericht klar zurückgewiesen. Nebelsiek geht davon aus, dass es auch im kommenden Jahr keine Entscheidung geben wird. „Das Jahr 2015 wird voraussichtlich für Maßnahmen zur Analyse der Lebensumstände der geschützten Arten verstreichen. Das können die Planungsbehörden ja nicht im Winter machen.“

Der Chefplaner des Bundes, der Präsident der Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt, Hans-Heinrich Witte, meinte hingegen: Das Ziel der Kläger, den Planfeststellungsbeschluss zur Elbe aufzuheben, wurde nicht erreicht. Zwar habe das Gericht einige Mängel aufgezeigt, diese seien aber behebbar. „Das stimmt uns optimistisch.“

Und der SPD-Fraktionschef im Rathaus, Andreas Dressel, wies die Kritik am Senat zurück. Anders als die Umweltverbände geht er davon aus, dass die Verzögerungen nur kurz sein werden. „Wir setzen jetzt auf eine rasche Entscheidung durch den Europäischen Gerichtshof, sodass wir im nächsten Frühjahr endlich Planungssicherheit haben.“

Terminankündigungen sind bei dem Verfahren Elbvertiefung allerdings selten eingehalten worden. Das weiß auch Dressel.