Elbvertiefung vor Gericht, Staus auf Terminals, Konkurrenz im Nacken: Interview mit Gunther Bonz, Chef des Unternehmensverbandes Hafen Hamburg
Hamburg. Deutschlands größter Seehafen steht mächtig unter Druck. Über die seit Jahren geplante Vertiefung und Verbreiterung der Elbe muss das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig entscheiden. Zugleich streiten sich die Unternehmen der Logistikbranche über ständige Verzögerungen am größten Containerterminal der Stadt, dem Burchardkai der HHLA. Das Abendblatt sprach mit Gunther Bonz, 58, Eurogate-Manager und einflussreicher Präsident des Unternehmensverbandes Hafen Hamburg (UVHH) darüber, wie Hamburgs Hafen seine Konkurrenzfähigkeit bewahren und ausbauen kann.
Hamburger Abendblatt:
Herr Bonz, der niedersächsische Umweltminister Stefan Wenzel von den Grünen hat sich diese Woche im Abendblatt gegen eine weitere Elbvertiefung ausgesprochen, noch während die Richter des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig den Fall prüfen.
Gunther Bonz:
Der Mann weiß nicht, wovon er in der Sache spricht. Sein Horizont reicht offenbar nur von Goslar bis zum Oberharz. Das überrascht mich nicht. Die Grünen in Niedersachsen und in Hamburg sind Ideologen. Sie arbeiten seit 20 Jahren gegen den Ausbau der Elbe. Interessant finde ich, dass sich Minister Wenzel diese Meinung bildet, ohne dass er im Juli auch nur eine Minute bei der öffentlichen Anhörung am Bundesverwaltungsgericht in Leipzig verbracht hätte. Was er da tut, ist Kirchturmpolitik, mit der sich das Land als einer der Hauptprofiteure des Hamburger Hafens selber schaden würde.
Welchen Eindruck haben Sie nach der fünftägigen Anhörung, bei der die Argumente der Planungsbehörden und jene der klagenden Umweltverbände BUND und Nabu gegeneinander standen?
Bonz:
Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass ich den Verlauf und den Inhalt des Verfahrens nicht kommentieren möchte. Nur so viel: Ich habe die Anhörung an jedem Tag verfolgt und bin tief beeindruckt davon, wie sich das Gericht in diese Materie eingearbeitet hat. Nun muss man die Richter gewähren lassen, damit sie zu einem Urteil kommen.
Das Gericht musste mehr als 2600 Seiten Planungsunterlagen aufarbeiten. Bestandteil des Verfahrens waren zudem eine ebenso umfassende Gerichtsakte wie auch ergänzende Gutachten. Was lernt man als Beobachter aus der Systematik eines solchen Prozesses?
Bonz:
Nach der deutschen Einheit hat der Gesetzgeber beschlossen, Planungsverfahren zu beschleunigen. Das führte unter anderem dazu, dass das Bundesverwaltungsgericht als höchste und zugleich einzige Instanz Verfahren wie die Fahrrinnenanpassung der Elbe beurteilen muss. Aus damaliger Sicht mag das richtig gewesen sein: Man konnte wegen des immensen Nachholbedarfs etwa bei Verkehrswegeprojekten in den 1990er-Jahren nicht das Risiko eingehen, dass sich Klageverfahren 20 oder 30 Jahre hinziehen. Heute zeigt sich aber auch: Das Bundesverwaltungsgericht ist mit Verfahren wie jenen zur Elbe oder zur Außenweser hochgradig belastet. Es liegt zu viel bei diesem einen Gericht. Wir müssen zurückkommen zu mehrstufigen Verfahren. Auch deshalb, weil die Oberverwaltungsgerichte von vornherein intensive regionale Kenntnisse zu möglichen Streitthemen besitzen.
Aus der Politik gibt es allerdings keine Signale dafür, dass das Verbandsklagerecht – Grundlage etwa für die Klagen gegen die Elbvertiefung – oder auch die Verkürzung des Instanzenzuges wieder zurückgenommen werden könnte.
Bonz:
Gesellschaft, Politik und Wirtschaft müssen sich darüber klar werden, dass der deutsche Drang zu immer detaillierteren Gesetzen– auch im Umweltrecht – solche Verfahren immer komplexer macht. Zugleich bekommen wir aus Europa unausgegorene Gesetze wie etwa die Wasserrahmenrichtlinie, die sich als nicht richtig anwendungsfähig erweisen. Das Bundesverwaltungsgericht muss nun sehen, wie es damit umgeht. Das kann und darf doch nicht die Folge eines verbesserten europäischen Umweltrechts sein.
Die Umweltverbände fühlen sich vom Verlauf des Leipziger Verfahrens darin bestätigt, ein Projekt wie die Vertiefung und Verbreiterung der Elbe zu beklagen.
Bonz:
Die Umweltverbände missbrauchen meines Erachtens den Umweltschutz, um auch Politik zu machen und um Wirtschaft- und Industrieprojekte zu Fall zu bringen. Wer steht eigentlich hinter dem WWF, der offenbar wiederum die Klagen des Nabu und des BUND finanziert? Die Hamburger Hafenarbeiter müssen doch wissen, wer gegen sie ist. Kommt das Geld am Ende womöglich von Hamburgs Hafenkonkurrenten? Wo bleibt da jene Transparenz, die die Umweltverbände zum Beispiel beim Planverfahren zur Elbvertiefung ständig eingefordert haben?
Hat Ihre harte Haltung gegen die Umweltverbände dazu beigetragen, das Verfahren zur Fahrrinnenanpassung zu eskalieren und in die Länge zu ziehen? Ende 2012 hatten Sie gefordert, der Stiftung Lebensraum Elbe staatliche Mittel zu streichen, weil deren Arbeit dazu beitrug, die Elbvertiefung vor Gericht zu bringen.
Bonz:
Dazu stehe ich nach wie vor. Aber um eines ganz deutlich zu sagen: Mir liegt der Umweltschutz am Herzen. Die Hafenwirtschaft und die Umweltverbände könnten an der Elbe gemeinsam so viel erreichen. Nach der verheerenden Sturmflut des Jahres 1962 ist die Unterelbe stärker eingedeicht worden. Die Kanalbildung, die sich daraus auf der Fahrrinne ergab, hatte ohne Zweifel negative Auswirkungen für die Umwelt. Durch Rückdeichung und die Schaffung neuer Überflutungsflächen könnte man das in den kommenden Jahren und Jahrzehnten teilweise revidieren. Ein Teil soll ja bereits im Zusammenhang mit der Fahrrinnenanpassung der Elbe realisiert werden. Die Umweltverbände selbst haben aber vor einigen Jahren die geplante Rückdeichung an der Haseldorfer Marsch verhindert. Stattdessen liefern wir uns einen jahrelangen Rechtsstreit um den Schierlingswasserfenchel und die Baltische Plattmuschel.
Beim Elbe-Verfahren geht es um Tier- und Pflanzenarten, die vom europäischen Umwelt- und Naturschutzrecht eindeutig geschützt werden.
Bonz:
Das ist ja völlig unstrittig. Die Frage ist doch: Welche Auswirkungen haben Projekte zur Infrastruktur an der Elbe tatsächlich? Als das Mühlenberger Loch Anfang der 2000er-Jahre für die Erweiterung der Airbus-Werft teilweise verfüllt wurde, hieß es, bei der geringsten Lärmemission durch die Bauarbeiten würde die Löffelente verbrämt, ihr Bestand akut gefährdet. Tatsächlich saß die Löffelente auf einer Spundwand, als die Fundamente gerammt wurden, und sah den Bauarbeiten von dort aus zu. Das ist dokumentiert.
Das Verfahren zur Elbvertiefung und -verbreiterung ist das komplexeste, das wir in den vergangenen Jahrzehnten bei einem Verkehrsprojekt in Deutschland hatten. Wie nehmen Sie die politische Bewertung dieses Prozesses wahr?
Bonz:
Ich nehme vor allem wahr, dass weder ein hochrangiger Vertreter des Bundesverkehrsministeriums noch der Chef der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes der Anhörung in Leipzig beigewohnt hat, um sich vor Ort selbst einen Eindruck von der Dimension dieses Verfahrens zu verschaffen. Das macht mich einigermaßen ratlos.
In den vergangenen Wochen gab es im Hamburger Hafen extreme Abfertigungsprobleme. Was läuft hier schief?
Bonz:
Auch andere Häfen haben ihre Probleme. Das hängt mit der Größenentwicklung der Schiffe und der besonderen Situation der Terminals zusammen, die in kürzester Zeit riesige Ladungsmengen abarbeiten müssen. Ich will aber betonen, dass es auch Containerterminals in Hamburg gibt, die das im Griff haben: Im gleichen Zeitraum wurde das Hamburger Containerterminal von Eurogate als bestes Terminal in Europa ausgezeichnet.
Dennoch gab es einen Aufschrei der Spediteure. Containertrucker wollten für Hamburg einen Stauzuschlag erheben, und die Bahn forderte eine Krisensitzung. Gab es da nicht erhebliche Defizite in der Kommunikation mit den Kunden?
Bonz:
Sicher hat es Versäumnisse gegeben, und es konnte die Kundenfreundlichkeit nicht in dem geforderten Maße hergestellt werden – aus welchen Gründen auch immer. Das ändert sich aber jetzt. Ich möchte hinzufügen, dass die eigentlichen Betroffenen die Containertrucker waren und sind: die Jungs und Deerns, die stundenlang in einer Lkw-Schlange stehen, ohne einmal zur Toilette gehen zu können.
Früher mussten 2000 Boxen je Schiff umgeladen werden, heute sind es 6000, irgendwann 8000. Die Containerschiffe werden immer größer, und die Häfen betreiben einen riesigen Aufwand, um sich darauf einzurichten. Die Elbvertiefung kostet immerhin 500 Millionen Euro. Muss man da volkswirtschaftlich gesehen nicht irgendwann aufhören?
Bonz:
Es ist kein Größenwahn, dass die Schiffe immer größer werden, sondern es folgt ökonomischen Skaleneffekten. Größere Schiffe bringen mehr Effizienz. Sich diesem Trend entgegen stellen zu wollen ist wirklichkeitsfern.
Was ergibt sich daraus?
Bonz:
Wir dürfen der nächsten Generation keine Steine in den Weg legen. Das heißt, wir müssen den Hafen so ausbauen, dass er allen Anforderungen seiner Kunden genügt. Wir müssen auf der Wasserseite, beim Umschlag an Land und vor allem beim Abtransport ins Hinterland die notwendige Effizienz sicherstellen. Noch sind wir in Deutschland gut. Nicht umsonst nennt man uns Logistik-Weltmeister. Aber die anderen Häfen holen mächtig auf, bauen kräftig aus. Wollen wir unseren Vorteil behalten, müssen wir Jahre vor den anderen sein, und das sehe ich im Moment nicht.
Was muss sich also ändern?
Bonz:
Die Schiffe kommen, wann sie kommen. Wir müssen dafür sorgen, dass nicht nur im Hafen rund um die Uhr gearbeitet wird, nicht nur beim Umschlag selbst, wo wir das heute schon haben, sondern auch bei der Abfuhr, den Lagerhäusern und Containerpack-Stationen sowie Logistiklägern.
Die Lagerhäuser sagen, wenn sie ihr Personal noch nachts beschäftigen müssen, sind die Lohnkosten so hoch, dass der Betrieb nicht mehr wirtschaftlich ist.
Bonz:
Es gibt durchaus Lagerhäuser, die schon jetzt nachts geöffnet sind. Und: Wenn die Tarifverträge ein Problem sind, muss man mit den Gewerkschaften reden. Ich bleibe dabei: Auch viele Logistikläger müssen flexiblere Abfertigungszeiten entwickeln, das entzerrt die Verkehrsbelastung auf den Straßen.
Dennoch wird die Größenentwicklung der Schiffe irgendwann dazu führen, dass Hamburg an seine Grenzen stößt. Muss man da nicht doch darüber nachdenken, mit Wilhelmshaven zu kooperieren?
Bonz:
Ich war schon in meiner früheren Funktion als Wirtschaftsstaatsrat der Meinung und bin es noch, dass Hamburg sich damals an dem Tiefwasserhafen in Wilhelmshaven hätte beteiligen müssen. Ich bin für eine Funktionsteilung der deutschen Seehäfen – aber nicht für eine aufgezwungene Hafenkooperation, wie sie einem Minister aus Niedersachsen vorschwebt.
Sie meinen den mit dem Horizont von Goslar bis zum Oberharz?
Bonz:
Ja.