Ausbau der Windkraft durch Bürger – Schleswig-Holstein geht voran. Die Energiewende in Deutschland läuft auf vollen Touren. Bundesweit 650 neue Turbinen errichtet. Ein Besuch in „Bordelum“.
Bordelum. Ein warmer Wind aus Nordwesten bläst über die Deiche bei Bordelum, Stärke vier bis fünf Beaufort. Das freut die Windmüller auf der Wiese, die auf ihre neuen Anlagen der Typen Vestas und Enercon blicken. Denn im wirtschaftlichen Sinne ist das, was da über ihnen die Rotoren kreisen lässt, ein warmer Regen. „Das Geld, das wir mit dem Windpark verdienen, wird zu einem großen Teil wieder in der Gemeinde investiert, etwa in den Ausbau von Breitband-Internetverbindungen“, sagt Norbert Möllgaard, einer der Geschäftsführer des neuen Bürgerwindparks „Bordelum 3“, der im April eingeweiht wurde. „Allein aus den Gewinnen von ,Bordelum 3‘ werden wir im Jahr außerdem rund 70.000 Euro an die Gemeinde spenden können, Geld, das dort auch sozialen Zwecken zugute kommt. Zum Beispiel der Einrichtungen von Kindertagesstätten.“
Die Energiewende in Deutschland läuft auf vollen Touren, doch vielerorts rumpelt sie bedenklich. Der Ausbau der Solarenergie kommt die Stromverbraucher viel teurer als vor Jahren gedacht, neue Stromnetze stoßen auf Widerstand wie auch der Auf- und Ausbau von Windparks speziell in Süddeutschland. Der Norden hingegen ist Pionierland beim Ausbau der Windkraft, der günstigsten Technologie, mit der in Deutschland Strom aus erneuerbaren Quellen erzeugt werden kann. 650 neue Windturbinen an Landstandorten wurden in Deutschland im ersten Halbjahr 2014 neu errichtet, teilte der Bundesverband Windenergie (BWE) am Dienstag mit. Die neu installierte Leistung von rund 1700 Megawatt liegt um 66 Prozent über dem Wert des ersten Halbjahrs 2013. Allein ein Viertel davon entfällt auf Schleswig-Holstein. Insgesamt steht das nördlichste Bundesland hinter Niedersachsen und Brandenburg bei der installierten Windkraftleistung auf Rang drei – hinter zwei Ländern mit deutlich größerer Fläche.
Während Bayern die Mindestabstände von Windparks zu Siedlungen vergrößert und viele geplante Projekte damit abwürgt, während in Rheinland-Pfalz Naturschützer gegen die Errichtung von Windturbinen kämpfen, geht der Ausbau der Windkraft im Norden flott voran: getragen vom Land, von den Kommunen und vor allem von den Bürgern selbst. Für den Windpark „Bordelum 3“ trugen 700 der 2000 Einwohner mehrere Millionen Euro Eigenkapital zur Gesamtinvestition von 72 Millionen Euro bei. Die Größe der Einlage reicht von 1000 bis 21.000 Euro. Mit 17 Windturbinen und rund 50 Megawatt Leistung ist „Bordelum 3“ einer der größten Bürgerwindparks in Deutschland. Schon in den 1990er-Jahren setzten die Bordelumer mit ihrem ersten eigenen Windpark auf erneuerbare Energien. Seither wuchs die Zahl der Teilhaber mit jedem der bislang vier Windparks an den Deichen gegenüber der Gemeinde. Und auch die Expertise derer, die als Geschäftsführer neben ihren Hauptberufen die komplizierte Organisation der Bauarbeiten, die Auswahl der Windturbinen, die Verbindung mit dem regionalen Stromnetz organisieren. „Wir sehen als Betreiber von Bürgerwindparks unsere Verantwortung für die gesamte Energiewende“, sagt Geschäftsführer Möllgaard, der hauptberuflich als Landwirt arbeitet. „Wir werden in den kommenden Jahren deshalb auch in Energiespeicher investieren und dazu beitragen, die Versorgung noch stabiler auf erneuerbare Energien umzustellen.“
Der Anteil der erneuerbaren Energien am Bruttostromverbrauch in Deutschland ist im ersten Halbjahr 2014 auf voraussichtlich 28,5 Prozent gestiegen, gegenüber 24,6 Prozent im ersten Halbjahr 2013, teilte der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) am Dienstag mit. Bedingt war der Anstieg auch durch günstige Wetterverhältnisse und durch einen wegen des milden Klimas geringeren Stromverbrauch. Den größten Anteil innerhalb der erneuerbaren Energien steuerte erneut die Windkraft bei, vor allem Windparks an Landstandorten. Insgesamt sind in Deutschland mittlerweile gut 24.200 Windturbinen am Netz mit einer Gesamtnennleistung von 35.400 Megawatt. Gut 3100 Anlagen mit etwa 4300 Megawatt Nennleistung stehen in Schleswig-Holstein.
Die Erzeugung aus Windkraftwerken aber schwankt mit dem Windaufkommen so wie jene von Solaranlagen mit dem Sonnenschein – deshalb geht es mehr denn je auch darum, die erneuerbaren Energien mit einer besseren Abstimmung von Verbrauch und Erzeugung, mit modernen Netzen und mit leistungsfähigen Energiespeichern in das Versorgungssystem zu integrieren.
„Wir müssen bei der Energiewende in den kommenden Jahren völlig neue Allianzen bilden“, sagt Hermann Albers mit Blick auf die Windturbinen vor Bordelum. „Wie können Energieerzeuger und Verbraucher enger zusammenarbeiten, aber auch die Verteiler von Strom und Wärme? Nur so kann der Markt den Erfordernissen einer Versorgung mit erneuerbaren Energien angepasst werden.“ Albers, Landwirt in Simonsberg gut 20 Kilometer südlich des Bürgerwindparks „Bordelum“, prägt die Energiewende seit Jahrzehnten in erster Reihe mit. Als Präsident des Bundesverbandes Windenergie (BWE) vertritt er an drei Tagen in der Woche die Interessen seiner Branche, die mittlerweile rund 140.000 Beschäftigte in ganz Deutschland zählt und die das Rückgrat der Energiewende bildet.
Für die politische Arbeit in Berlin ergibt sich daraus einiges Gewicht. Selbstbewusstsein in den harten Debatten zur Energiewende bezieht Albers, 54, aber auch daraus, dass er persönlich zu ihren Pionieren zählt. „In den 1980er-Jahren begannen wir mit dem Aufbau von Windturbinen. Ich selbst habe mit meinen drei Mitinvestoren die Anlagen um meinen Hof herum mittlerweile bereits einmal gegen größere Maschinen ausgetauscht“, sagt er. „Unsere elf alten Anlagen erzeugten im Jahr jeweils insgesamt 14 Millionen Kilowattstunden, die vier neuen erzeugen insgesamt 48 Millionen Kilowattstunden.“
Die Energiewende vor seiner eigenen Haustür sieht Albers in einem weiten Kontext mit der Historie des deutschen Küstenlandes. Die großen Sturmfluten früherer Jahrhunderte, die sogenannten Groten Mandränken, der Kampf um Land und Deiche, mache die Menschen in Schleswig-Holstein sensibel für das Thema Klimaschutz. Denn ein wärmeres Klima bringt höhere Meeresspiegel und stärkere Sturmfluten. Aber die auch die wirtschaftliche Kraft der erneuerbaren Energien begründet aus Albers’ Sicht, warum Bürgerwindparks in Schleswig-Holstein verbreitet sind: „Bürgerwindparks verwurzeln die Energiewende in der jeweiligen Region. Das schafft eine völlig andere Grundlage, als würden anonyme Investoren mit Sitz irgendwo auf der Welt hier in Windparks investieren.“
Bürgerwindparks prägen die Entwicklung von Gemeinden mit
Die Verengung der Energiedebatte auf höhere Strompreise und auf die Kritik an den Einspeisevergütungen für Ökostrom findet der BWE-Präsident, wen wundert es, falsch. Die Bürgerwindparks in Schleswig-Holstein liefern ihm Beispiele, die man überall in Deutschland – auf regional optimierte Weise – mit erneuerbaren Energien nachvollziehen könne, sagt Albers: „Die Vorteile von Bürgerwindparks gehen über die Energieversorgung weit hinaus. Sie prägen den Fortschritt von Dörfern und Gemeinden mit, weil die Beteiligten – zumeist Genossenschaften – mit der Erzeugung von Strom Geld verdienen können. Damit die Banken den Genossenschaften weiterhin Windkraftwerke finanzieren, brauchen wir verlässliche Einspeisevergütungen.“