Viele deutsche Unternehmen wollen ein Drittel ihrer Führungsposten weiblich besetzen. Bei AstraZeneca in Wedel haben Frauen eine gute Chance, ihre Karriereziele zu verwirklichen.

Julia Büchner kennt die Frage. „Meinst du, dass es gut für deine beiden Kinder ist?“ Auch wenn der Tonfall ehrliche Sorge signalisieren soll, weiß die 38-Jährige selbstbewusst zu reagieren: „Meine Töchter erleben eine Mutter, die beides kann: die Familie führen und ein Team im Büro.“

Nicht das schlechteste Vorbild, möchte man meinen. Und doch versteht sich Julia Büchner, die bei dem Medikamentenhersteller AstraZeneca in Wedel in Teilzeit arbeitet und als Führungskraft ein 15-köpfiges Team leitet, als Teil einer Übergangsgeneration. „Meine Mutter war Hausfrau, aber ich gehöre zu den Frauen, die studiert haben und beruflich etwas erreichen wollen.“ An die eine oder andere despektierliche Frage hat sie sich gewöhnt, auch weil sie merkt, keine Ausnahme mehr zu sein. In der Kita ihrer Töchter gebe es eine Reihe von Müttern, die einen Job haben.

Tessa Wolf ist eine Kollegin von Julia Büchner. Auch die 43-Jährige gehört bei AstraZeneca zum Führungspersonal, hat einen fünfjährigen Sohn, leitet das siebenköpfige Team „Governmental Affairs“ und arbeitet in Teilzeit. Ihr Alltag ist streng durchorganisiert. „Aufstehen, frühstücken, Zähne putzen und gegen halb acht im Kindergarten.“ Danach geht es weiter ins Büro.

„Eng wird’s, wenn ich dienstlich nach Berlin muss“, sagt sie. Um 6.52 Uhr geht der Zug ab Hamburg-Hauptbahnhof. „Betreuung ab 6.30 Uhr zu organisieren ist nicht immer leicht. Aber ich kann mich auf mein soziales Netz verlassen.“

Die beiden Hamburgerinnen gehören zu den 17,7 Millionen berufstätigen Frauen in Deutschland. Unterhält man sich mit ihnen, wird rasch die Selbstverständlichkeit deutlich, mit der sie Beruf und Familie miteinander vereinbaren. „Mir war immer klar, dass ich ein Kind wollte“, sagt Tessa Wolf. „Aber ich arbeite auch gern.“

Über die Berufstätigkeit von Frauen und ihre Chancen auf eine Führungsposition wird derzeit heftig diskutiert. Viele deutsche Unternehmen haben sich zwar zum Ziel gesetzt, zwischen 20 und 30 Prozent ihrer Chefposten mit Frauen zu besetzen. Die Realität sieht – betrachtet man die 30 DAX-Konzerne – anders aus. Ende vergangenen Jahres waren dort 6,3 Prozent der Vorstandsmitglieder Frauen.

Deutlich positiver ist die Situation bei mittelständischen Unternehmen. Einer Untersuchung der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) zufolge stehen in rund 20 Prozent der etwa 3,6 Millionen mittelständischen Unternehmen in Deutschland Frauen an der Spitze. Bei 65 Prozent aller Mittelständler arbeiten Frauen in Führungspositionen.

Diese Zahlen und die Selbstverständlichkeit, mit der Julia Büchner und Tessa Wolf das Miteinander von Familie und Beruf leben, stehen im Widerspruch zu der aufgesetzten Hitzigkeit politischer Debatten. Ihre beiden Kinder zu haben und zugleich arbeiten gehen zu können, bezeichnet Julia Büchner als ganzheitlichen Lebensentwurf. „Mein Lebensglück lässt sich weder auf das Kinderhaben noch auf meine Berufstätigkeit reduzieren.“

Mutterschaft und Beruf forderten unterschiedliche Facetten von Fähigkeiten und Persönlichkeit ab. „Das Gefühl von Zufriedenheit und Glück, wenn ich im Büro ein cooles Projekt zu Ende bringe, ist ein gänzlich anderes als das, was ich am Nachmittag empfinde, wenn ich mit meinen Kindern spiele oder etwas unternehme“, sagt die 38-Jährige. Sich auf beiden Ebenen Erfüllung zu verschaffen sorgt für Balance.

Tessa Wolf macht keinen Hehl daraus, dass sie viel Zeit für das Zusammensein mit ihrem Sohn aufbringen will. „Ich habe ein Jahr Elternzeit genommen“, erzählt sie. Danach verzichtete sie auf ihre alte Führungsposition. „Die war mit vielen Reisen verbunden, ich wollte aber mein Kind nachmittags aus dem Kindergarten abholen.“ Ihrem Unternehmen lag an ihrer Führungskraft, und Tessa Wolf konnte ein anderes Team übernehmen. Jetzt arbeitet sie 25 Stunden die Woche. „Am Nachmittag ist im Büro in der Regel um 15 Uhr für mich Schluss.“

„Anfangs hatte ich Sorge, beides – Mutter zu sein und als Führungskraft zu arbeiten – nicht unter einen Hut zu bekommen.“ Diese Sorge ist sie rasch losgeworden. Prioritäten setzen nennt Tessa Wolf es, wenn sie auf weniger wichtige Dienstreisen verzichtet, um dafür mit ihrem Sohn zum Sport oder zur Musikschule gehen zu können.

Auch Julia Büchner hatte anfangs die Sorge, dass die Geburt ihrer beiden Töchter „in eine Art berufliche Sackgasse führen könnte“. Karriere bedeute ja nicht allein, die Stufenleiter hoch zu steigen. „Es gab Themen, die mir am Herzen lagen und die ich jetzt – trotz Teilzeit – weiter betreuen kann.“

Die Selbstverständlichkeit, das jemand unabhängig von seinen häuslichen Verpflichtungen seinen Job exzellent macht, zeichne die Atmosphäre in ihrem Team aus. „Wenn es wichtig ist, bin ich verfügbar.“ Klar ist auch: „Termine, bei denen ich dabei sein muss, werden nicht nach 16 Uhr gemacht.“

Flexibel sein: „Ich bin bereit, mich abends an den Computer zu setzen“

Julia Büchner lebt ihre Führungsrolle bewusst. „Als Chefin bin ich Vorbild.“ Interessanterweise habe sie selbst erst erkennen müssen, dass ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht erwarteten, dass sie jeden Tag morgens die Erste und abends die Letzte im Büro ist. „Wichtig ist, dass ich gerecht bin, dass ich Entscheidungen treffe, Dinge vorantreibe.“ Wichtig sei, dass die Flexibilität, die ihre Firma ihr entgegenbringe, auch Teil ihres Lebens ist. „Ich bin bereit, mich abends an den Computer zu setzen oder ein wichtiges Telefonat zu führen.“

Die Diskussion über Teilzeit für Frauen in Führungspositionen blendet aus, dass der Tag von Tessa Wolf und Julia Büchner auch nur 24 Stunden hat. Insofern ist die Möglichkeit für Frauen, in Teilzeit zu arbeiten – egal ob in einer Führungsposition oder nicht –, immer auch an die Solidarität der Gesellschaft gebunden, dieses zu ermöglichen. Der Vorschlag des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, für Eltern die 35-Stunden-Woche einzuführen, geht in die richtige Richtung.

Julia Büchner versucht, das Problem der „Vorhaben-Konkurrenz“ dadurch zu lösen, dass „Zeit mit ihren Kindern verbringen“ die oberste Priorität hat. „Dabei geht es mir darum, die Zeit mit meinen Kindern von allem anderen frei zu halten, wie etwa Alltagsbesorgungen.“ Vielleicht schärft die Limitierung der gemeinsamen Zeit aber auch die Aufmerksamkeit füreinander.

Klar ist aber auch: Frauen müssen eigene Ideale korrigieren. Ein Beispiel: die verbreitete negative Einstellung zur Macht. Macht könne „die Freiheit, zu gestalten und schöpferisch tätig zu sein“, bedeuten, schreibt KfW-Expertin Margarita Tchouvakhina..

Zudem müssen Frauen sich mehr als bisher dagegen wehren, ihr berufliches Vorankommen als Folge von Bevorzugung zu interpretieren. „Mein Weg bis an die Spitze eines kleinen Konzerns von Rehakliniken war kein Nine-to-five-Job“, schreibt die Vorstandsvorsitzende der Celenus-Kliniken, Susanne Leciejewski, im „Handelsblatt“. „Hohes persönliches Engagement und mancherlei Abstriche bei zahlreichen Freizeitvergnügungen sind dabei unumgänglich, was allerdings auch mit einem hohen Arbeitsethos und Verantwortungsbewusstsein verbunden ist.“

Auch Julia Büchner und Tessa Wolf sind davon überzeugt, dass sie ihre Führungsjobs wegen ihrer Fähigkeiten haben. „Es spielt keine Rolle, dass ich Frau oder Mutter bin“, sagt Julia Büchner. „Entscheidend ist, dass ich gut bin in dem, was ich tue.“ Für Tessa Wolf ist entscheidend, Bedingungen zu schaffen, unter denen Frauen nach der Geburt ihrer Kinder in ihren Job zurückkehren können. „Ob jemand geeignet ist, als Führungskraft zu arbeiten, hängt von der Leistungsfähigkeit der Person und ihrem Potenzial ab, aber nicht davon, ob sie Kinder hat.“

Studien haben gezeigt, dass ein Management, in dem Frauen und Männer gleichermaßen vertreten sind, bessere Geschäftsentscheidungen trifft. Sabine Boerner, Professorin für Management, Strategie und Führung an der Universität Konstanz, ist sogar davon überzeugt, dass in einem Unternehmen Innovationsfähigkeit und Kreativität von einem ausgewogenen Verhältnis zwischen Frauen und Männern in Führungspositionen profitieren.

Das Institut für Beschäftigung und Employability (IBE) fand durch die Befragung von 550 Führungskräften heraus, dass durch eine personelle Vielfalt die Wünsche von Kunden besser erfüllt würden. Was nur allzu logisch ist: Schließlich besteht oft die Hälfte der Kundschaft aus Frauen. Zudem wird es angesichts des sich abzeichnenden Mangels an Fachkräften für Unternehmen wichtiger, auch für Frauen ein attraktiver Arbeitgeber zu sein. Gleiche Chancen beim beruflichen Vorankommen sind da ein wichtiges Kriterium.Vor allem aber können Unternehmen von den „familiären“ Erfahrungen ihrer Angestellten profitieren. „Prioritäten setzen und für klare Planung sorgen – das habe ich rasch gelernt“, sagt Tessa Wolf. Sie reckt ihre Hände in die Luft und verschiebt imaginäre „Schachteln“, während sie erzählt. „Wenn ich mein Kind zum Kindergarten bringe, dann die Telefonkonferenz anfange, schaffe ich es, dieses Problem erledigt zu haben, bis ich in meinem Büro bin.“

Durch ihre Kinder habe sie auch gelernt, klarere Ansagen zu machen

Verlässlichkeit und eine offene Kommunikation seien ebenfalls wichtige Werte, die für ein intaktes Familienleben nötig sind. „Ich will nicht sagen, dass mein Team meine Familie ist“, erzählt Tessa Wolf. „Aber ich merke, dass Dinge, die mir privat wichtig sind, auch in meiner Führungsarbeit Einzug gehalten haben.“

Julia Büchner erzählt von der Gelassenheit, „schwierige Konfliktsituationen“ zu meistern. „Ich habe eine hohe Stressresistenz, seit meine Kinder da sind.“ Fast nichts bringe sie aus der Ruhe. Durch die Kinder habe sie auch gelernt, klarere Ansagen zu machen. „Dinge, die im Umgang mit meinen beiden Töchtern zum Alltag gehören.“

Notwendig sind, das ist gesellschaftlich weitgehend anerkannt, attraktive Kinderbetreuungsmöglichkeiten. Dabei rückt für arbeitende Mütter vermehrt die Qualität in den Fokus. Eine Kita, die bis 18 Uhr geöffnet hat, flexibel reagiert, wenn Unvorhergesehenes passiert, und die in den Schulferien auf ist – das sind die Anforderungen. Sowohl Tessa Wolf als auch Julia Büchner könnten ihre Jobs so nicht machen, wenn es diese öffentliche Betreuung nicht gäbe.

Und doch ist es das „familiäre Netz“, wie Tessa Wolf es bezeichnet, das oftmals trägt und das Arbeiten für sie möglich macht. Julia Büchner schwärmt geradezu von ihren beiden „tollen“ Omas. Das schaffe für sie Flexibilität. Aber, und das – so der Eindruck – scheint ihr wichtiger zu sein: „Bei den Omas weiß ich, dass meine beiden Töchter gut aufgehoben sind und sich wohlfühlen.“