Wir vertrauen ihnen unsere Kinder an. In manchen Fällen auch unser Leben. Die Arbeit von Beschäftigten in sozialen Berufen ist unbezahlbar. Warum ist der Gesellschaft dieser Dienst am Menschen nicht mehr wert?
Kindergärtnerin. Der Begriff sagt eigentlich schon alles: Die Damen gärtnern und spielen ein bisschen herum mit den Kindern, bevor die kleinen Racker wieder von ihren Eltern abgeholt werden. Keine große Sache, leicht verdientes Geld.
Die Gesellschaft weiß zwar, dass „Erzieher/-in“ – so die korrekte Berufsbezeichnung – ein harter Job und ehrenwerter Job ist. Nur: Davon kaufen können sich die Erzieher nichts. Sie fühlen sich schlecht bezahlt.
So geht es vielen der 4,2 Millionen Beschäftigten in den sogenannten sozialen Berufen – jeder zehnte Erwerbstätige in Deutschland arbeitet im sozialen Bereich. Betroffen sind Gesundheitsdienstberufe von der Krankenschwester bis zum Therapeuten und sozialpflegerische Berufe von der Erzieherin bis zum Sozialarbeiter. Sie kümmern sich um unsere Kinder. Sie behandeln uns, wenn wir krank sind. Und sie pflegen uns, wenn wir alt sind. Sie tun Dienst am Menschen. Ihre Leistung ist unbezahlbar. Und trotzdem sind sie zu Recht enttäuscht, wenn sie ihre Lohnabrechnung lesen.
Warum ist das so – und welche Lösungsansätze gibt es?
Wenig Anerkennung
„In der gesellschaftlichen Wertschätzung von Arbeit haben technische Berufe einen höheren Stellenwert als personenbezogene Berufe“, sagt Reinhard Bispinck von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Vielleicht auch, weil sie keine Autoreifen oder Lebensmittel produzieren. Die Arbeitsleistung und ihr Erfolg sind nicht unmittelbar festzustellen – im Gegensatz zu anderen Berufen.
Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, sieht die späte Professionalisierung sozialer Berufe als Grund für niedrige Löhne. Während das Handwerk schon seit Jahrhunderten klare Ausbildungswege zur Pflicht macht, herrschte in Deutschland lange die Meinung vor, dass jeder erziehen oder pflegen könne. „Das ist natürlich Unfug“, sagt Schneider, „Doch erst in den 1970er-Jahren etablierte sich ein differenziertes Berufsbild, das klare Anforderungen und Ansprüche mit klaren Lohnforderungen verbinden konnte.“
Hinzu kommt: Soziale Berufe sind Frauenberufe. 85 Prozent der Beschäftigten in sozialen Berufen sind weiblich. „Frauen werden in Bezug auf ihre Löhne auch im 21. Jahrhundert leider immer noch gegenüber Männern benachteiligt“, sagt der Hamburger Ver.di-Chef Wolfgang Abel. Laut Böckler-Stiftung liegen deutsche Frauen mit ihrem Lohn bei gleicher Arbeitszeit 21 Prozent unter dem der Männer. Vorschläge, dass offene Stellen im sozialen Bereich mit Langzeitarbeitslosen besetzt werden können, sehen viele Beschäftigte als Herabsetzung ihres Berufsstands. Sie haben eine jahrelange Ausbildung gemacht und sind der Meinung, dass eben nicht jeder für ihren Beruf geeignet ist.
Keine Lobby
Die Tabaklobby hat einen klaren Auftrag: Sie will das Rauchen fördern und raucherfeindliche Regeln verhindern. Und die Soziallobby? „Es gibt weit verteilte Interessen und zu viele Forderungen. Der Nutzen dieser Forderungen ist so diffus, dass man nicht sagen kann, wann oder in welcher Form er eintritt“, sagt Gesundheitsökonom Ingo Fiedler von der Universität Hamburg. Wenn etwa mehr Erzieher eingestellt werden, so könne man die Kosten dafür sehr gut darstellen. Aber den Nutzen? „Man kann nicht genau sagen, wie es sich auszahlt, wenn man mehr Erzieher einstellt“, sagt Fiedler.
Ver.di-Chef Wolfgang Abel sagt, dass Beschäftigte in sozialen Berufen mehr Lobbyarbeit in eigener Sache machen müssen: „Die Haltung, sich zu organisieren und gemeinsam für bessere Löhne zu kämpfen, ist in diesen Berufen – von Ausnahmen abgesehen – nicht so ausgeprägt, wie es wünschenswert wäre“, sagt er.
Lohn-Dilemma
Der Sozialbereich boomt: Auf Pflege werden immer mehr Deutsche angewiesen sein. Auch bei den Kitas läuft es gut: Die Stadt Hamburg garantiert jedem Kind einen Platz. Fachkräfte werden dringend gesucht: 43 Prozent aller deutschen Betriebe im sozialen Bereich hatten im vergangenen Jahr Probleme bei der Besetzung von Stellen. Allein im Pflegebereich werden nach Berechnungen des Wirtschaftsforschungsinstituts RWI bis zum Jahr 2030 rund 200.000 Fachkräfte fehlen.
Doch der Boom geht an den Beschäftigten vorbei. Denn: „Der Sozialbereich ist in Deutschland oft in staatlicher Hand“, sagt Alexander Kubis vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Die Einnahmen der Betriebe sind gedeckelt – für eine Leistung, etwa eine Krankenbehandlung oder einen Kitaplatz, gibt es feste Sätze. Folge: Die Löhne entwickeln sich nicht mit der Nachfrage. Ver.di-Chef Abel kritisiert: „Dass die Refinanzierungskosten gedeckelt sind, zeigt auch eine gesellschaftspolitische Fehlentwicklung in der Bewertung von sozialer Arbeit.“
Folge der Entwicklung: Die Betriebe müssen sparen, weichen immer häufiger vom Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes ab, heißt es im Jahrbuch von „Wohlfahrt Intern“, in dem Gehälter von 1000 Organisationen, Trägern und Vereinen verglichen werden. Während eine Erzieherin in einem Caritas-Kindergarten rund 3100 Euro brutto im Monat verdient, bekommt eine Kollegin, die in einer Kita des christlichen Jugenddorfwerks in Ostdeutschland arbeitet, nur rund 1800 Euro.
Der Tarifkonflikt
Dementsprechend klein ist der Verhandlungsspielraum bei den Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst, die am kommenden Donnerstag beginnen. Ver.di fordert ein Gehaltsplus von 100 Euro für alle Beschäftigten. Anschließend soll der neue Lohn noch einmal um 3,5 Prozent erhöht werden. Die Arbeitgeber weisen diese Forderung zurück. Joachim Finklenburg wird für den Verband der Kommunalen Arbeitgeber am Verhandlungstisch sitzen. „Besser bezahlen kann man jeden Mitarbeiter. Aber wir müssen insgesamt 2,5 Millionen Beschäftigte im Blick haben. Erhöhen wir den Krankenschwestern die Löhne, müssen wir auch die anderen höher bezahlen. Es wird sicher schwierig, nur eine Berufsgruppe herauszugreifen“, sagt er. Finklenburg ist Chef einer Klinik in Gummersbach. Weil die staatlichen Zuwendungen gedeckelt sind, musste er Jahr für Jahr Pflegestellen abbauen. Wenn die Löhne um drei Prozent steigen, werden erneut Stellen wegfallen, sagt er. 70 Prozent der Kosten im Gesundheitsbereich seien Personalkosten. „Wenn die Krankenkasse besser zahlen soll, dann müssen auch die Krankenkassenbeiträge steigen. Das ist bei den Bürgern nicht populär“, sagt er. Finklenburg findet aber auch, dass soziale Berufe aufgewertet werden müssen. Es geht nicht nur um Geld, sondern auch um bessere Arbeits- und Ausbildungsbedingungen. Die Ausbildung soll so gestaltet werden, dass sich Mitarbeiter mit unterschiedlichen Schulabschlüssen unterschiedlich entwickeln können. So soll es bessere Aufstiegsmöglichkeiten in besser bezahlte Positionen geben.
Der politische Streit
Höhere Löhne für soziale Berufe – das fordert auch die Linkspartei. Parteichef Bernd Riexinger kritisiert, dass seit Jahrzehnten die reale Steuerlast der Unternehmen und Vermögenden sinke. Weil der Mut fehle, den Reichen in die Tasche zu greifen, greife man den Krankenpflegern und Sozialarbeitern in die Lohntüte. Und deshalb fordert er: die Reichen stärker besteuern. „Jetzt ist das obere Zehntel der Gesellschaft mit Teilen dran“, sagt Riexinger gegenüber dem Abendblatt.
Steuern erhöhen für die Krankenschwester oder den Erzieher? Ulrich Schneider vom Paritätischen Wohlfahrtsverband glaubt nicht daran, dass die Bundesregierung von Union und SPD diesen Schritt gehen wird: „Schwarz-Rot hat eine höhere Belastung der Spitzenverdiener zum Tabuthema erklärt.“ Der stärkste Blockierer für bessere Löhne sei eben diese Bundesregierung. „Ohne höhere Steuereinnahmen haben wir schlicht keine Ressourcen, um die Bezahlung von Pflegern und Erziehern spürbar zu verbessern.“
Familienministerin Manuela Schwesig (SPD), zuständig sowohl für Kitas und Jugendeinrichtungen als auch für die älteren Menschen der Republik, will sich zu den anstehenden Tarifverhandlungen nicht äußern. Ihr Ministerium verweist lieber auf andere: „Die Bundesregierung kann keine Löhne und Gehälter festlegen, dies ist Sache der Tarifpartner.“ Also ein Streitpunkt zwischen Gewerkschaften und Berufsverbänden sowie Kommunen, Kirchen und freien Trägern von Kitas oder Altenheimen. Was die Bundesregierung aus Sicht des Familienministeriums tun könne und angeblich auch schon getan hat: Imagewerbung für Pfleger und Erzieher machen, um Fachkräfte werben.
Geiz-ist-Geil-Mentalität
Politiker und Tarifpartner werden weiterstreiten. Streiks von Erzieherinnen werden stets wohlwollend von der Öffentlichkeit begleitet, sagt Reinhard Bispinck von der Böckler-Stiftung. „Aber nach den Streiks kommt es nie zu einer strukturellen Verbesserung.“ Ver.di-Hamburg-Chef Wolfgang Abel sieht die Verantwortung für die Lage der Beschäftigten im sozialen Bereich, aber auch in einer gesellschaftlichen Fehlentwicklung bezüglich einer nach wie vor vorhandenen Geiz-ist-Geil-Mentalität. Jeder Bürger könne etwas tun: „Wer für sich zu Recht faire Arbeitsbedingungen als Arbeitnehmer beansprucht, sollte auch bei der Auswahl von Dienstleistungsanbietern diejenigen unterstützen, die ihrerseits faire Arbeits- und Einkommensbedingungen anbieten“, sagt er.
Am heutigen Sonnabend übrigens demonstrieren Hamburgerinnen und Hamburger ab 12 Uhr auf dem Rathausmarkt für den Erhalt des Berufsstandes und die Versorgung durch Hebammen.