Das teilte der größte deutsche Stahlkonzern am Montag bei der Sitzung des Aufsichtsrats mit. Die Kritik an Gremiumschef Cromme wird lauter.
Essen. ThyssenKrupp hat im Geschäftsjahr 2011/2012 unter dem Strich einen Verlust von fünf Milliarden Euro eingefahren. Der Fehlbetrag sei damit noch um 3,2 Milliarden Euro höher als im Vorjahr ausgefallen, teilte das Unternehmen am Montagabend nach einer Sitzung des Aufsichtsrats in Essen mit. Im verlustreichen amerikanischen Stahlgeschäft habe der Konzern Abschreibungen von 3,6 Milliarden Euro vorgenommen. Analysten hatten ohne Abschreibungen auf die Stahlwerke unter dem Strich einen Verlust von rund einer Milliarde Euro erwartet. Eine Dividende werde der Konzern für 2011/12 nicht zahlen. Im laufenden Geschäftsjahr will der Konzern einen bereinigten Gewinn vor Zinsen und Steuern (Ebit) von rund einer Milliarde Euro erzielen. Im Jahr 2010/2011 hatte der Konzern bereits ein Minus von 1,8 Milliarden Euro zu verzeichnen.
In der Krise des Konzerns wird die Kritik an Aufsichtsratschef Gerhard Cromme immer lauter. Der Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre forderte am Montag angesichts der Milliardenverluste des Unternehmens einen völligen Rückzug des Aufsichtsratschefs. „Cromme muss zurücktreten“, sagte Verbands-Geschäftsführer Markus Dufner. Er verwies auf die Milliardenverluste mit den neuen Stahlwerken in Übersee, Kartellabsprachen und Korruptionsvorwürfe. Cromme macht dafür hingegen das frühere Management mitverantwortlich. Vorstandschef Heinrich Hiesinger dürfte auf der Bilanzpressekonferenz am Dienstag hohe Verluste präsentieren.
Der Traditionskonzern ist in der schwersten Krise seit der Fusion von Thyssen und Krupp im Jahr 1999. Cromme gilt als einer der einflussreichsten Manager Deutschlands. Zwei Jahre hatte er ThyssenKrupp zusammen mit Ekkehard Schulz geführt, ehe er 2001 in den Aufsichtsrat wechselte. Den Bau der neuen Stahlwerke in Brasilien und den USA hat er maßgeblich begleitet. In seine Zeit fielen zudem Fälle illegaler Preisabsprachen ThyssenKrupps mit anderen Aufzugs- und Schienenherstellern.
„Wenn Cromme davon wusste, muss er zurücktreten. Wenn nicht, dann ist er als Chefkontrolleur unfähig“, sagte Dufner. Der 69-Jährige solle sich aus dem Gremium verabschieden und auch nicht an die Spitze der Krupp-Stiftung wechseln, die einen Anteil von 25 Prozent am Unternehmen hält. Dort will Cromme die 99-jährige Konzernlegende Berthold Beitz beerben. Beitz hat bei wichtigen Entscheidungen immer noch das letzt Wort. Vor wenigen Tagen hatte bereits die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) gefordert, die Rolle Crommes und des Aufsichtsrats zu überprüfen. Die DSW vertritt Aktionäre mit rund einer Millionen ThyssenKrupp-Papieren, die Kritischen Aktionäre sprechen für Anleger mit 100.000 bis 150.000 Papieren. Insgesamt hat ThyssenKrupp 514 Millionen Aktien ausstehen.
ThyssenKrupp lehnte eine Stellungnahme zu den Rücktrittsforderungen an Cromme ab. Dem Konzern drohen neben weiteren Milliardenabschreibungen auf die Stahlwerke und hohen Verlusten im Geschäftsjahr 2011/12 Schadenersatzforderungen in dreistelliger Millionenhöhe. In der vergangenen Woche hatte ThyssenKrupp die drei Vorstände Edwin Eichler, Olaf Berlien und Jürgen Claassen geschasst – die Hälfte des Führungsgremiums. Zudem lässt Cromme untersuchen, ob Ex-Chef Schulz, Eichler sowie der frühere Stahlchef Karl-Ulrich Köhler im Aufsichtsrat mit falschen Angaben das Stahlwerks-Desaster verschleiert haben. Trifft dies zu, wird ihr alter Arbeitgeber wohl Schadenersatz fordern.
Im Arbeitnehmerlager hat Cromme viele Fürsprecher. Auch sie sehen die alte Führung in der Verantwortung. „Das war schon ein Management-Fehler“, hatte Konzernbetriebsratschef Wilhelm Segerath in der vergangenen Woche gesagt. Sorgen macht zudem nicht nur Übersee, sondern auch das europäische Stahlgeschäft.
2000 Mitarbeiter sind in Kurzarbeit. ThyssenKrupp stellt den Bereich derzeit auf den Prüfstand. Dies werde aber in allen Sparten jedes Jahr gemacht, sagten mehrere mit der Angelegenheit vertraute Personen aus dem Unternehmen. Von einer Abspaltung des Stahlgeschäfts oder einem Börsengang sei nicht die Rede.
Die Arbeitnehmervertreter fordern ein Ende der Negativschlagzeilen. „Die Leute sind es einfach satt, den ganzen Kram in der Presse zu lesen“, sagte der Gesamtbetriebsratschef von ThyssenKrupp Steel Europe, Günter Back. Die Kollegen müssten wegen der Vorfälle teilweise im privaten Bereich Häme über sich ergehen lassen. Das Management müsse sich auf seine eigentlichen Aufgaben konzentrieren – Arbeitsplätze und Standorte sichern.