Der Staat hat 10,6 Billionen Dollar geliehen. Das Mittel gegen die Krise: noch mehr Schulden. Ein Risiko.

Hamburg. Arnold Schwarzenegger muss noch einmal kämpfen. Diesmal helfen ihm allerdings weder Muskeln noch großkalibrige Waffen. Denn die Gegner des Gouverneurs von Kalifornien sind nicht, wie früher auf der Leinwand, irgendwelche brutalen Finsterlinge: Arnie, der "Gouvernator", muss den US-Bundesstaat vor der drohenden Pleite retten, muss mit den Abgeordneten des Parlaments in Sacramento um Steuererhöhungen und Ausgaben ringen, "sonst haben wir schon im Februar kein Geld mehr." Bereits jetzt fehlen im Haushalt des bevölkerungsreichsten Bundesstaats, Heimat von Weltkonzernen wie Apple, Intel und Google, elf Milliarden Dollar - mit rasant steigender Tendenz. Die Arbeitslosigkeit ist infolge der Wirtschaftskrise auf gut acht Prozent angestiegen, die Steuereinnahmen gehen zurück.

Vor einem ähnlichen Problem, nur um ein Vielfaches größer, steht Barack Obama, der neue Hoffnungsträger der USA. Die wichtigste Volkswirtschaft der Welt steckt in der Rezession. Allein im November sind mehr als eine halbe Millionen Arbeitsplätze verloren gegangen. Experten rechnen für 2009 mit einem Anstieg der Arbeitslosenquote auf bis zu neun Prozent. Derzeit liegt sie bei 6,7 Prozent, dem höchsten Stand seit 15 Jahren. Und manche Beobachter erwarten, dass die diversen Rettungs- und Stützungspakete das Haushaltsdefizit der Regierung von aktuell 455 Milliarden Dollar auf zwei Billionen Dollar hochschnellen lassen.

Wachstum auf Kredit Dabei erleben die USA gerade einen Absturz aus einer beachtlichen Fallhöhe: Noch vor wenigen Jahren waren Wachstumsraten der Wirtschaft von mehr als drei Prozent die Regel. Für eine etablierte Industrienation ist das ein sehr guter Wert. Nur: "Das war ein Wachstum auf Pump", sagte Wolfgang Pflüger, Chefvolkswirt der Berenberg Bank, dem Abendblatt. Zu rund 70 Prozent beruht das US-Bruttoinlandsprodukt auf den Konsumausgaben der privaten Verbraucher - doch die konsumierten deutlich mehr, als sie verdienten. So beträgt die Verschuldung der Haushalte laut einer Studie der Deutschen Bank im Schnitt rund 180 Prozent des verfügbaren Jahreseinkommens. Zum Vergleich: In Deutschland liegt diese rechnerische Größe bei etwa 100 Prozent. Noch deutlicher zeigt sich der Unterschied bei der Sparquote: Während die Deutschen im Schnitt mehr als elf Prozent ihres verfügbaren Einkommens auf die Seite legen, sparen die US-Bürger nur rund ein Prozent davon.

Vor allem die jahrelang gestiegenen Immobilienpreise machten das Konsumwunder möglich. "Die Amerikaner haben ihr Haus als Geldautomat genutzt, indem sie sich die Wertsteigerung von den Banken als Kredit auszahlen ließen", erklärt Carsten Klude, Chefökonom beim Privatbankhaus M.M. Warburg. Auch diese Zahl illustriert die Einstellung der US-Verbraucher zum Schuldenmachen: Im Durchschnitt verfügt jeder Haushalt über neun Kreditkarten. Doch gegen Jahresende 2006 ist die Immobilienpreisblase geplatzt. Damit war die Party vorbei, gleichzeitig war dies der Auslöser für eine weltweite Finanzmarktkrise.

Wie der Bürger, so der Staat Aber nicht nur die Bürger lebten auf großem Fuß, auch der Staat tat das. Anfang Oktober gingen der digitalen "Schuldenuhr" am New Yorker Times Square, die die Staatsverschuldung der USA anzeigt, die Ziffern aus, weil der Betrag auf mehr als zehn Billionen Dollar sprang. Als man den Zähler 1989 installierte, lag das Defizit erst bei 2,7 Billionen Dollar. Umgerechnet auf jeden einzelnen Kopf der Bevölkerung liegt die aktuelle Verschuldung bei etwa 35 000 Dollar oder rund 27 700 Euro - in Deutschland sind es 19 000 Euro pro Kopf.

Ein Viertel der US-Schuldenpapiere wird von ausländischen Staatsbanken gehalten, an erster Stelle stehen dabei China und Japan. "Wir leihen uns Geld in China und kaufen damit Öl in Saudi-Arabien", brachte Obama die Sache auf den Punkt und versprach, damit Schluss zu machen - aber das war vor seinem Wahlsieg.

Tatsächlich ist das sogenannte Leistungsbilanzdefizit der USA auf mehr als 700 Milliarden Dollar angeschwollen. Um diesen Betrag liegt der Wert importierter Waren und Dienstleistungen über dem der Exporte.

... und noch mehr Schulden Fest steht jedoch, dass es jetzt zumindest mit der ungehemmten Schuldenmacherei der privaten Verbraucher in Amerika vorbei ist - und damit eine der Säulen der dortigen Wirtschaft wegbricht. "Diese Lücke muss nun der Staat füllen", sagt Pflüger, "es muss staatliche Ausgabenprogramme geben, um die Konjunktur zu stützen." Mehr als 500 Milliarden Dollar könnten ausgegeben werden, um neue Straßen und Schulen zu bauen und um marode Brücken zu sanieren. All das geschähe natürlich wieder auf Pump, denn der Staatshaushalt ist ohnehin ausgereizt. Die Amerikaner sollten sich darüber in den nächsten Jahren keine großen Sorgen machen, empfahl Obama, zunächst komme es darauf an, die Wirtschaft zu stabilisieren. "Man versucht, die Krise mit genau den Mitteln zu bekämpfen, die sie ausgelöst haben", sagt Klude, "aber was ist die Alternative?"

Folgen für Deutschland Nach einhelliger Meinung der Experten werden diese Gegenmaßnahmen jedoch nicht verhindern können, dass die USA im kommenden Jahr tiefer in die Rezession rutschen. So rechnet Klude mit einer Abnahme der Wirtschaftsleistung um 1,5 Prozent - mit entsprechenden Folgen auch für Deutschland. So sind die Verkäufe deutscher Autobauer in den USA zuletzt schon drastisch gesunken.

Zwar liegt der US-Anteil an den deutschen Exporten nur noch bei sieben Prozent. "Aber die Weltwirtschaft ist in den vergangenen Jahren sehr stark zusammengewachsen", sagt Klude. "Wenn es Amerika schlecht geht, können China und andere Länder weniger dorthin exportieren und werden in der Folge auch weniger Güter bei uns einkaufen." Aus diesen Gründen prognostiziert Klude für Deutschland einen Rückgang des deutschen Bruttoinlandsprodukts 2009 um 1,6 Prozent. Wie lange die Krise anhalte, sei schwer abzusehen: "Die meisten ökonomischen Indikatoren können sechs bis neun Monate in die Zukunft schauen. Bisher liefern sie keine Anzeichen für eine Erholung."

Langfristige Risiken Auch wenn die Wirtschaft Ende 2009 oder auch erst 2010 auf den Wachstumspfad zurückkehren dürfte, weisen Experten auf längerfristige Risiken der enormen Verschuldung Amerikas. So warnte Stephen Roach, früherer Chefvolkswirt der Investmentbank Morgan Stanley, bereits 2004 vor einem "ökonomischen Armageddon", also einer endzeitlichen Entscheidungsschlacht, als Folge der globalen Ungleichgewichte durch die immensen US-Defizite. Wenn eines Tages die ausländischen Investoren das Vertrauen in die Kreditwürdigkeit verlören, dann müsste Amerika die Zinsen drastisch anheben, um noch weiter Käufer für Staatsanleihen zu finden - und damit die eigene Wirtschaft abwürgen.

Zwar ist dieser Zeitpunkt nach Einschätzung der meisten Marktkenner noch nicht in Sicht. Aber die US-Notenbank baute schon vor - sie erklärte sich bereit, im Notfall der Regierung Staatsanleihen abzukaufen.