Es braut sich etwas zusammen über Europa. Die Finanzkrise, die viele lange für ein lokales Phänomen der US-Banken hielten, hat längst die...

Es braut sich etwas zusammen über Europa. Die Finanzkrise, die viele lange für ein lokales Phänomen der US-Banken hielten, hat längst die Realwirtschaft erreicht. Schon dieser Begriff zeigt, wie abgehoben, ent-, ja verrückt die Spieler auf den Finanzmärkten agierten. Inzwischen grassiert der Vertrauensverlust als Virus in der Weltwirtschaft - und anders als in früheren Zeiten erfasst dieses Virus alle Kontinente zugleich. Parallel hat es die Kraftzentren USA, Europa und Fernost befallen. Nun breitet es sich weiter aus und beginnt, nach der Volkswirtschaft auch die Gesellschaft zu erfassen. Den Börsen folgen die Hirne.

In Island, dem Land am Rande des Staatsbankrotts, haben die Bürger ihre Regierung aus dem Amt gejagt. Im Baltikum, in Griechenland, selbst in Russland kommt es zu gewalttätigen Protesten gegen die Regierung, junge Demokratien geraten in Turbulenzen. Und in Großbritannien rebellieren Gewerkschaften gegen die Beschäftigung ausländischer Arbeiter. Inzwischen droht ein Rückfall hinter die Errungenschaften der europäischen Integration. Viele Regierungen verschärfen das Problem, weil sie ihr Heil in der Renationalisierung der Politik und im Protektionismus suchen. Ausgerechnet in der Krise werkelt jede an ihrem eigenen Konjunkturpaket und Bankenrettungsplan. Dabei sind gerade Europa und die europäische Einigung nicht Teil des Problems, sondern Teil seiner Lösung.

Es ist kein Zufall, dass die Euro-Staaten bislang besser durch die Krise gekommen sind als Staaten mit eigener Währung. Europa darf keine Schönwetterveranstaltung sein: Längst sind die Probleme zu ernst, als dass eine Regierung sie allein meistern könnte. Helmut Kohl hat 1996 die Frage der europäischen Einigung als Frage von "Krieg und Frieden" definiert und dafür viel Häme geerntet. Er fügte hinzu: "Nationalstaaten alter Prägung können die großen Probleme des 21. Jahrhunderts nicht lösen." Darüber zumindest kann heute keiner mehr lachen.