Investoren ziehen Gelder ab. Kreditlast für Firmen und Verbraucher steigt. Experten sagen lange Durststrecke voraus.

Hamburg. Hohe Wachstumsraten, konsumfreudige Verbraucher und lukrative Absatzmärkte: Viele Jahre war Osteuropa eine Boomregion und zog im Zuge der Globalisierung immer mehr Investoren an. Die Fertigung von Handys erschien wie im Fall Nokia in Rumänien lukrativer als in Nordrhein-Westfalen. Doch mit der Finanzmarktkrise gerät die Region immer stärker unter Druck. Die aufstrebenden Volkswirtschaften dort drohen zum "zweiten Epizentrum der globalen Finanzkrise" zu werden, warnt die Investmentbank Morgan Stanley. Denn neue Autos, die eigenen vier Wände, zweistellige Lohnzuwächse und hohe Zuwächse beim Bruttoinlandsprodukt waren nur möglich dank eines gigantischen Kreditwachstums.

Mit dem Versiegen des Geldflusses begann ein Teufelskreislauf, dessen sichtbarstes Zeichen der Verfall der Landeswährungen ist. Die Investoren zogen ihre Geldbestände ab und Rubel, Zloty und Forint begannen mit dem Sinkflug. So hat der polnische Zloty innerhalb eines halben Jahres 37 Prozent an Wert gegenüber dem Euro verloren. Der ungarische Forint wertete um 21 Prozent ab. Dem Rubel droht gar eine Bruchlandung. "Die beschleunigte Abwertung wird eine weitere Kapitalflucht auslösen", erwartet Ulrich Leuchtmann von der Commerzbank. Das bringt die Währungen noch mehr unter Druck, Importe werden teurer die Schulden steigen und die Wirtschaft gerät ins Trudeln. Mit Ungarn musste erstmals ein EU-Staat Hilfe des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank in Anspruch nehmen, um seine Zahlungsverpflichtungen erfüllen zu können.

Wovon hierzulande jedem Verbraucher abgeraten wurde, lag in Osteuropa voll im Trend: Kredite in Fremdwährungen, weil die Zinsen niedriger sind. Häuser und Autos wurden mit Krediten in Euro und Schweizer Franken finanziert. "In Bulgarien, Ungarn und Rumänien liegt der Anteil der fremdwährungsfinanzierten Kredite zwischen 50 und 57 Prozent", sagt Hans-Harwig Wild, Osteuropa-Experte beim Bankhaus Metzler. Das geht nur so lange gut, wie der Wechselkurs halbwegs stabil bleibt.

Sinkt der Außenwert der heimischen Währung gegenüber dem Euro, so steigt gleichzeitig die Kreditlast des Schuldners an. Beispiel Ungarn: Mussten Anfang 2008 230 Forint für einen Euro gezahlt werden, sind es jetzt bereits 290 Euro. "So kommen viele Verbraucher und Unternehmer in Zahlungsschwierigkeiten, die Ausfälle wachsen", sagt Wild.

Das trifft die ohnehin geschwächten Banken, die mit hohen Kreditausfällen rechnen müssen. Auch das ist kein lokales Problem mehr, "denn die Bankenlandschaft wird von westlichen Banken dominiert", sagt Wild. So haben die Banken Österreichs in den Schwellenländern Osteuropas rund 300 Milliarden Dollar an Krediten vergeben. "Die größte Gefahr geht von den osteuropäischen Ländern für die Banken in Westeuropa aus", sagt Gunter Deuber, Experte für Osteuropa bei Deutsche Bank Research.

Doch "Osteuropa ist kein einheitliches Gebilde mehr", sagt Deuber. Dafür spricht auch, dass die baltischen Staaten ihre Währung fest an den Euro gebunden haben - im Gegensatz zu Polen und Ungarn. Die Währungsverluste dürften nicht überbewertet werden. "Der polnische Zloty war extrem stark", sagt Deuber. Immerhin wollte das Land 2012 den Euro einführen. Das dürfte jetzt nicht mehr zu schaffen sein. Für Polen und Tschechien sieht er gute Chancen, dass sich diese Länder schnell wieder fangen. "Durch die Abwertung haben sie Vorteile auf der Exportseite und sie sind nicht so stark durch Fremdwährungskredite belastet", sagt der Experte.

Besonders dramatisch ist die Lage in Ungarn und Rumänien. "Ungarn ist extrem verschuldet und hat schon mehr als ein Jahrzehnt über seine Verhältnisse gelebt", sagt Deuber. Der Abbau der hohen Leistungsbilanzdefizite werde ein langer Prozess. Für Lettland wird erwartet, dass die Wirtschaftsleistung über drei Jahre schrumpfen wird. "Osteuropa wird sich wieder erholen, aber eine Rückkehr zu den alten Boomzeiten wird es nicht geben", sagt Deuber. Ein schwerer Schlag auch für die deutsche Exportindustrie, die nach Osteuropa mehr ausführt als in die USA.

Während die Mitgliedsländer der EU mit Unterstützung der Gemeinschaft rechnen können, sind Länder wie Russland und die Ukraine weitestgehend auf sich allein gestellt, auch wenn man sie nicht miteinander vergleichen kann. "In der Ukraine haben die Zentralbank und die Regierung weitgehend die Kontrolle über die Währung verloren", sagt Deuber. Russland habe sich zu lange gegen eine Abwertung des Rubels gestemmt, weil das ein Politikum ist. Erinnerungen an die Russland-Krise von 1998 werden wach. Die Notenbank setzt auf eine straffere Geldpolitik und hält jetzt den Rubel, der an einen Währungskorb von Dollar und Euro gekoppelt ist, mit Devisenreserven noch unter Kontrolle.