Nach Urteilen zur Pendlerpauschale und Arbeitszimmer wächst die Kritik am Steuersystem. Der Politik drohen weitere Schlappen vor Gericht.

Der Finanzminister hat kein Glück. Das Bundesverfassungsgericht kippte diese Woche die Regelung, wonach die Kosten für ein häusliches Arbeitszimmer nur noch beschränkt abzugsfähig sind. Die Regierung muss damit eine weitere teure Niederlage einstecken, nachdem dasselbe Gericht bereits die Neuregelungen zur Entfernungspauschale verworfen hatte. „Das Urteil ist eine erneute Ohrfeige für den Gesetzgeber“, sagt Uwe Rauhöft vom Neuen Verband der Lohnsteuerhilfevereine. Auch der Bund der Steuerzahler begrüßt das Urteil, das „ein weiteres deutliches Signal an den Gesetzgeber“ sei, nicht „willkürlich Steuergesetze zur Einnahmenvermehrung zu ändern“.

Was Finanzminister Schäuble ärgert, verschafft den Steuerzahlern finanziellen Spielraum. Viele dürfen nun mit Rückzahlungen rechnen, vor allem Lehrer, Professoren und Außendienstmitarbeiter. Aber auch andere profitieren vom Urteil der Karlsruher Richter. Entscheidend ist jedoch, dass die Steuererklärungen der vergangenen Jahre noch nicht rechtskräftig sind. Und auch einige Details bei der Anrechenbarkeit der Kosten des Arbeitszimmers sind zu beachten.

Das Urteil ist bereits das dritte in einer Reihe von Korrekturen, mit denen die Politik zur Räson gerufen wird. Bereits Ende 2008 hatte das Bundesverfassungsgericht die Kürzung der Pendlerpauschale gekippt. Die Begründung damals: Es verstößt gegen das Gleichheitsprinzip, dass Arbeitnehmer, die mehr als 21 Kilometer zu ihrem Job zurücklegen müssen, ihre Ausgaben von der Steuer absetzen dürfen, die anderen aber nicht. Und bei der Mehrwertsteuer wird schon seit Langem über Sinn und Unsinn der Aufteilung in ermäßigten und vollen Satz diskutiert. Nun mahnte der Bundesrechnungshof eine Reform an.

Dass der Staat in Steuerfragen zunehmend von anderen Instanzen zurückgepfiffen werden muss, hat seinen Grund in den leeren Staatskassen. In den wirtschaftlich guten Jahren wurden die Defizite nicht zurückgeführt, und dann kam die Finanzkrise. Hunderte Milliarden Euro – die er freilich nicht hatte – gab der Staat für die Rettung der Banken, die Sicherung von Arbeitsplätzen und andere Konjunkturmaßnahmen aus. Nun versucht er mit zweifelhaften Entscheidungen im Steuerrecht, die Kassenlage wenigstens ein bisschen aufzubessern.

Nachdem der Fiskus nun auch noch mit der Absetzbarkeit des Arbeitszimmers gescheitert ist, könnte die nächste Schlappe bereits bevorstehen. Durch das aktuelle Urteil ermutigt, setzt etwa der Bund der Steuerzahler nun auch auf ein Aus für den Solidaritätszuschlag. Karl-Heinz Däke, Präsident der Institution, sagte, der Soli sei mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Das niedersächsische Finanzgericht hatte Ende 2009 den seit 1995 erhobenen Soli infrage gestellt. Das Verfassungsgericht soll nun auf Wunsch des Gerichts prüfen, ob der seit 15 Jahren zu entrichtende Soli verfassungswidrig ist.

Die Erfolgsaussichten dafür müssen nicht einmal schlecht sein. Gerade die Auseinandersetzung um die Absetzbarkeit des Arbeitszimmers zeigt, wie wenig durchdacht und getrieben von purer Finanznot das Vorgehen des Fiskus ist. Eine nachvollziehbare Begründung für seinen Standpunkt blieb er im Verfahren schuldig.

Ob der Soli abgeschafft wird oder nicht: Jetzt müssen die Bürger erst einmal das aktuelle Urteil in ihre Steuererklärungen einarbeiten. Seit 2007 konnten sie dem Finanzamt die Ausgaben für das private Arbeitszimmer nur noch dann in Rechnung stellen, wenn dieses den „Mittelpunkt“ der gesamten beruflichen Tätigkeit bildet. Diese Bedingung erfüllen etwa Anwälte oder Versicherungsvertreter, die ihre gesamte berufliche Tätigkeit in ihrem häuslichen Arbeitszimmer ausüben. Sie können dem Finanzamt die anteiligen Kosten für Miete, Nebenkosten, Reparaturen und Reinigung in Rechnung stellen.

Die rund eine Million Bundesbürger, bei denen das Arbeitszimmer eben nicht den „Mittelpunkt“ der beruflichen Tätigkeit darstellt, können aufatmen. Steuerexperten gehen davon aus, dass der Gesetzgeber die Regelung einführt, die bis 2007 bestand. Danach dürften die 800.000 Lehrer und rund 200.000 andere Arbeitnehmer für vergangene Jahre Geld zurückbekommen.

Quelle: Welt Online